Michael Baas

Das zumindest betonen Polizeisprecher Dietmar Ernst und der Geschäftsführer des Rettungsdienstes des Deutschen Roten Kreuzes in Lörrach, Svend Appler, unabhängig voneinander. Die regionalen Feuerwehren sind bislang dagegen kaum mit diesen sinkenden Hemmschwellen konfrontiert, schildert der Vorsitzende des Kreisfeuerwehrverbands, Günter Lenke.

Eine vergangenes Jahr erarbeitete Studie der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität in Bochum, an der sich mehr als 800 Einsatzkräfte beteiligten, kam zu dem Schluss, dass Angriffe auf und Beschimpfungen von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst in der Intensität zugenommen haben, dass Hemmschwellen gesunken sind. Diese Ergebnisse decken sich mit den Erfahrungen der Polizei und des Rettungsdienstes im Kreis.

„Das ist ein Problem“, sagt Svend Appler. Sichtbar werde das schon bei ganz normalen Rettungseinsätzen und reiche vom Bespucken der Rettungssanitäter über Tritte gegen Rettungswagen bis zum Versuch, diesen eigenmächtig wegzufahren, weil er vermeintlich im Weg stehe. In Einzelfällen stelle der Rettungsdienst mittlerweile auch Strafanzeigen gegen die Täter.

Dietmar Ernst berichtet ebenfalls, dass die Polizei seit längerem „negative Erfahrungen“ mit sinkenden Hemmschwellen und hoher Aggressionsbereitschaft mache. Da sprächen die Zahlen eine „deutliche Sprache“. Verzeichnete die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) 2013 beispielsweise noch 73 Fälle von Gewalt gegen Polizisten, waren es 2015 bereits 93 Delikte, 2016 dann 116 und 2017 zeichne sich eine weitere Steigerung ab. Im Übrigen lägen die Zahlen für den Kreis Lörrach höher als im Mittel des Polizeipräsidiums Freiburg, betont Ernst weiter.

Brennpunkte sind aus polizeilicher Sicht vor allem Städte wie Lörrach und Weil. So seien Polizisten, die zu einer Massenschlägerei abgeordert worden, durch das geöffnete Fenster des Streifenwagens angerülpst worden. In einem andern Fall wurde eine Streife im Anschluss an aus dem Ruder gelaufene Schulabschlussfeiern beschimpft und behindert. Aber Ernst weiß auch von Fällen, in denen sich Begleiter gefasster Ladendiebe mit diesen solidarisierten und die Festnahme verhinderten oder von Behinderungen der Ermittlungen wie an Silvester in Weil am Rhein, nachdem es bei einer Böllerei unter Kindern zwei Verletzte gab. „Kolleginnen und Kollegen müssen heute einiges aushalten und viel an Deeskalation aufbieten“, resümiert Ernst.

Auch die Feuerwehr sei bei Einsätzen oder Übungen inzwischen vereinzelt damit konfrontiert, dass das Verständnis für eine Einschränkung sinke, schildert der Vorsitzende des Kreisverbands der Feuerwehren, Günter Lenke. Beleidigungen seien da schon mal drin, ergänzt der stellvertretende Kommandant der Weiler Feuerwehr, Markus Utke. Indes sei ihm von „Übergriffen auf Feuerwehrleute im Einsatz im Kreis noch nichts zu Ohren gekommen“, zieht Günter Lenke ein noch etwas milderes Fazit als die anderen beiden Organisationen. Inzwischen haben sich aber alle darauf eingestellt, dass Hemmschwellen sinken.

„Eigenschutz geht vor Helfen“, skizziert Appler da die Linie beim Rettungsdienst. In einer Bedrohungslage zögen sich Einsatzkräfte zunächst zurück und warteten auf die Polizei. Diese schule ihre Leute inzwischen durch „situatives Handlungstraining“, berichtet Ernst. Sie setzt aber auch auf technische Hilfen wie Bodycams, die unter anderem im Revier Weil am Rhein getestet wurden und bald regulär eingesetzt werden.

Auch die Feuerwehr steckt zunehmend Ressourcen in Schulungen, erklärt Lenke – vom Erkennen gefährlicher Personen und Situationen bis zum selbstsicheren Auftreten. Markus Utke setzt zudem darauf, dass es gelingt, den „hohen Stellenwert“, den die Feuerwehr vor Ort genieße, zu erhalten: Auch das wirke dämpfend, vermutet er.

Eine genauere soziale Zuordnung der Aggressoren bleibt gleichwohl schwierig. Einen überproportional hohen Anteil von Migranten, wie ihn die Bochumer Studie ermittelt hat, beobachten die Akteure im Kreis jedenfalls nicht. „Das ist Quatsch“, kommentiert Svend Appler das ganz unverblümt. Zumal völlig unklar sei, wer überhaupt als Migrant gelte, ob der Nachkomme italienischer oder türkischer Gastarbeiter aus den 60er-Jahren oder der Spätaussiedler aus Russland da auch dazu gezählt werden. Mit Asylbewerbern gebe es jedenfalls keine auffälligen Probleme, betont Appler. Zwar steige der Anteil von Ausländern und Zugewanderten an den Gesamtstraftaten seit Jahren, erläutert Ernst. Eine Differenzierung hinsichtlich des Anteils an Gewaltdelikten gegen Polizeibeamte sei aber nicht möglich.

Ob die 2017 verschärften Gesetze und Strafen ausreichen, die Aggressivität gegen Einsatzkräfte einzudämmen, lasse sich einstweilen noch nicht beurteilen, befindet Ernst. Erfahrungsgemäß zeigten schärfere Sanktionen meistens einen Effekt in die erhoffte Richtung. Grundsätzlich aber reiche das Strafrecht alleine sicher nicht aus, um eine nachhaltige Verbesserung zu erreichen. Vielmehr spielten viele Faktoren eine Rolle. Hier seien viele in der Pflicht, dieser „Entwicklung entgegenzutreten“.

Die Verschärfung der Gesetze sei „sicher ein erster Schritt in die richtige Richtung“, befindet auch Markus Utke. Indes sei eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit über die Arbeit der Rettungsorganisationen ebenfalls ein Aspekt, der im Werben um Verständnis nicht zu vernachlässigen sei.