Karl-Wilhelm Frommeyer aus Wehr leitet im Vorstand der Telefonseelsorge Lörrach-Waldshut, die Koordination und Öffentlichkeitsarbeit. Er gibt im Interview einen Einblick in die Bedeutung der Telefonseelsorge.
Herr Frommeyer, die Telefonseelsorge gibt es in Deutschland seit 1956. Braucht es das Sorgentelefon in Zeiten modernster Kommunikationsmöglichkeiten überhaupt noch?
In größeren Städten wie Freiburg gibt es bereits Seelsorge-Chats. Aber tatsächlich sind die Anruferzahlen konstant hoch – und auch junge Menschen nutzen das Sorgentelefon. Unsere Zentrale, die für die Landkreise Waldshut und Lörrach zuständig ist, beantwortet pro Jahr rund 5000 Anrufe.
Die Sorgen und Nöte reichen von quälender Einsamkeit und chronischen Schmerzen bis hin zu akuten Situationen wie familiären Konflikten, Jobverlusten oder lebensverändernden Schicksalsschlägen. Wenn Hilflosigkeit und Ohnmachtsgefühle Menschen überwältigen, sind wir da.
Wie laufen die Gespräche ab?
Im Schnitt dauern die Gespräche zehn bis 30 Minuten. Das Sorgentelefon ist keine Psychotherapie, sondern in erster Linie bedeutet es zuhören, begleiten und da sein. Es geht ganz klar darum, niemandem Lösungen oder Ratschläge aufzudrängen.
Wenn aber nach Lösungen gefragt wird, können wir Kontakte zu Psychotherapeuten, Frauenhäusern oder Beratungsstellen vor Ort empfehlen.
Und wenn wirklich Gefahr im Verzug ist?
Alle Gespräche laufen anonym ab und können auch von uns nicht nachverfolgt werden. Vor Jahren gab es einen Fall, in dem tatsächlich ein Menschenleben bedroht war. Meiner Kollegin gelang es damals, die Adresse zu erfragen und den Notruf zu verständigen. Solche harten Fälle kommen aber sehr selten vor.
Meist nimmt es den Anrufenden schon einen riesigen Felsbrocken von den Schultern, wenn sie ihre Sorgen und Ängste aussprechen können. Wer eine Krebsdiagnose bekommt oder als Familienversorger gekündigt wurde, braucht manchmal erst eine neutrale Person, die dem Schicksalsschlag den ersten Schrecken nehmen kann.
Wie viele Mitarbeitende hat die Telefonseelsorge Lörrach-Waldshut?
Rund 50 Ehrenamtliche, darunter rund ein Viertel Männer, bedienen in drei Schichten das Sorgentelefon von unserer Zentrale aus. Im Schnitt beantwortet man rund vier Anrufe pro Schicht. Sie kommen aus dem gesamten Einzugsgebiet, von Bad Bellingen im äußersten Westen über Bernau, die komplette Hochrheinschiene bis hin nach Jestetten im tiefsten Osten.
Fahrtkosten und Getränke während der Schichten werden erstattet. Sind unsere regionalen Telefone gerade besetzt, wird der Anrufende an eine andere Zentrale in Baden-Württemberg weitergeleitet, die in etwa dem Sprachraum entspricht – damit man sich auch wohl und verstanden fühlt.
Sie haben den stellvertretenden Vorsitz und die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins erst im vergangenen Herbst übernommen. Welche Projekte haben Sie seither realisiert?
Ich war mein Leben lang in der IT-Branche tätig, deshalb war mein ersten Anliegen das Erstellen einer eigenen Internetseite – die gab es bisher noch nicht. Weil der Bedarf an Telefonseelsorgern groß ist und wir die Schichten gerne je mit einem weiteren Telefon besetzen würden, planen wir außerdem einen neuen Ausbildungs-Lehrgang, der am 16. September beginnt.
Wir suchen zehn bis 20 neue Mitarbeitende, die für die Menschen der Region da sein möchten und bereit sind drei Mal pro Monat drei Stunden das Sorgentelefon zu bedienen.
Was lernen die Telefonseelsorger in ihrer Ausbildung?
Wie man respektvoll und wertschätzend zuhört und auf Krisensituationen reagiert. Ob häusliche Gewalt, Alkoholismus, Depressionen oder Angstzustände – diverse Themen werden in der Ausbildung behandelt.
Unsere Ausbilder sind allesamt Psychologen mit pädagogischer Zusatzausbildung und Erfahrung in Stress- und Krisenbewältigung. Die Ausbildung dauert ein Jahr und umfasst neben theoretischen Inhalten auch Rollenspiele und Selbsteinschätzungskurse. Zum Abschluss findet ein Praktikum am Sorgentelefon mit Unterstützung eines erfahrenen Mentors statt.
Und was macht einen guten Telefonseelsorger aus?
Empathie und die Bereitschaft, dazuzulernen. Die meisten Mitarbeitenden bringen Lebenserfahrung mit, möchten sich in der Rente oder wenn die Kinder aus dem Haus sind, einer sinnvollen ehrenamtlichen Tätigkeit widmen. Manchen haben selbst Krisen in ihren eigenen Familien erlebt, andere möchten einfach nur für andere Menschen da sein. Jeder Interessierte, egal welchen Alters, Geschlechts oder beruflichen Hintergunds, ist willkommen.
Wie verarbeiten die Seelsorger das Gehörte?
Sie erfahren in der Tat oft sehr belastende Dinge, deshalb gibt es verpflichtende monatliche Supervisions-Gruppen. Hier können die Telefonseelsorger das eigene Gehörte und die Gefühle dazu gemeinsam besprechen und sich gegenseitig beistehen. Das ist wichtig, weil auch jeder Seelsorger ein Mensch mit Gefühlen ist, dem Reden hilft.
Gibt es auch Problemanrufer?
Mit dem Aufkommen der Handys vor rund 20 Jahren haben Telefonstreiche zugenommen – das ist ärgerlich, weil so wertvolle Zeit für echte Menschen in Not verloren geht. Es gibt auch Menschen, die immer wieder anrufen, und ihre Geschichte wieder und wieder erzählen.
Aber: Auch diese oft einsamen Menschen, die meist sehr belastende Dinge erfahren haben, möchten wir nicht einfach abwimmeln. Natürlich wäre eine professionelle Psychotherapie die bessere Wahl für langfristige Hilfe, aber jeden Kummer nehmen wir ernst und hören zu. Das sind keine Spaßanrufe!
Wie finanziert sich die Telefonseelsorge Lörrach-Waldshut?
In erster Linie über Spenden, Mitgliedsbeiträge und Zuschüsse der beiden großen Kirchen. Außerdem stellt uns die Deutsche Telekom kostenlos die Telefonnummern und die technischen Weiterleitungsmöglichkeiten zur Verfügung. Das ist toll, denn die 0800er-Nummern sind so für jeden Menschen in Not kostenlos erreichbar.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Sorgentelefons am Hochrhein?
Dass sich die positiven Erfahrungen der Tätigkeit besser transportieren lassen. Dadurch, dass alle Ehrenamtlichen anonym agieren, können wir in der Öffentlichkeit keinen Seelsorger zu Wort kommen lassen. Das Feedback der Mitarbeitenden ist aber einheitlich positiv: Die Tätigkeit gibt Kraft, ist sinnstiftend, erfüllt und lässt jeden einzelnen Helfer an Erfahrung und Resilienz wachsen.