Die Augenbinde der Justitia symbolisiert nicht Blindheit, sondern Unparteilichkeit, also das Richten ohne Ansehen der Person. Doch dann und wann wäre es auch für Justitia besser, mal ein Auge zuzudrücken. Das hätte im April vor 29 Jahren eine Justizposse um einen Fisch-Wilderer verhindert und manch einen nicht der Lächerlichkeit preisgegeben.
Vor dem Kadi in Waldshut stand 1996 unter dem Vorwurf der Strafvereitelung ein 69-jähriger Oberamtsrat i.R. aus Tiengen, von dem der Staatsanwalt 1.300 Mark Geldstrafe forderte, ersatzweise 20 Tage Gefängnis. Doch der streitbare Pensionär wollte lieber in den Knast, als einen Bekannten „wegen einer Bagatelle denunzieren“.
Doch was war geschehen?
Bei einem Campingurlaub hatte die Familie des Pensionärs einen jungen Polen kennengelernt und zu einem Trip an den Hochrhein eingeladen. Wo sich der 16-Jährige im Sommer 1995 mit der Angel an die Wutach setzte, nicht wissend oder auch nur ahnend, dass der Fischgrund verpachtet war.
Von einem Gewässerwächter zur Rede gestellt, nahm der Junge kurzerhand Reißaus. Zurück ließ er das Fahrrad der Ehefrau des Pensionärs, das bei der Polizei landete. Dort wollte der Mann das Rad zurück, ausdrücklich nicht aber den Namen seines Schützlings verraten.
Anzeige wegen Fisch-Wilderei
Dem habe er versprochen, ihm wegen einer Kleinigkeit nicht den Weg für weitere Besuche in Deutschland zu verbauen. Weil aber der Gewässerwächter Anzeige wegen Fisch-Wilderei erstattet hatte, wollte der Staatsanwalt trotz Geringfügigkeit kein Auge zudrücken, sondern partout den Namen des 16-Jährigen wissen.
Doch der Pensionär hielt den Mund – und kassierte dafür den Strafbefehl des Staatsanwalts über 1300 Mark. Was wiederum der Pensionär nicht akzeptieren wollte.
Wie fiel das Urteil aus?
So kam es im Frühjahr 1996 zur Gerichtsverhandlung, die einem angesichts der immer wieder beklagten Überlastung der Justiz nur den Kopf schütteln ließ. Nach Wortgefechten über die Frage, ob Schweigen denn ein Verbrechen sein könne, stellte der Richter das Verfahren gegen Zahlung einer Geldstrafe von 500 DM an die BUND-Ortsgruppe ein – die einzige Gewinnerin dieser Posse.