Welche Eltern kennen das nicht? Das Kind liegt krank im Bett, hustet und die Nase läuft. Vor einigen Jahren schien der Fall klar: Der Verdacht ging zuerst in Richtung einer Grippe oder Erkältung. Heute aber denken viele sofort an Corona. Tatsache ist: Infekte und andere Erkrankungen haben aufgrund von Isolation, Lockdown und Corona-bedingten Schutzmaßnahmen im vergangenen Spätjahr eine Art „Pause“ eingelegt. Mit dem schrittweisen Abbau von Maßnahmen sind sie seit einigen Wochen wieder auf dem Vormarsch – in einigen Fällen sogar rasant.
Welche Krankheiten nehmen nun wieder zu?
Die Anzahl der akuten Atemwegserkrankungen war laut Bericht des Robert-Koch-Instituts in Deutschland Ende September doppelt so hoch wie in anderen Jahren zum gleichen Zeitpunkt. Inzwischen gebe es zwar wieder einen Rückgang der Fälle, allerdings sei die Anzahl immer noch höher als in der Vorsaison.
Unter diesen Erkrankungen fällt vor allem das Humane Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) auf, bei dem es bereits früh einen starken Anstieg gab. Kinderarzt Jochen Sperling aus Wehr bestätigt die starke Zunahme von Patienten mit diesem Virus in seiner Praxis. Aber auch andere Krankheiten nehmen wieder zu.

Michael Meisterhans, Pflegedienstleiter der Kinderklinik des Elisabethen-Krankenhauses Lörrach, sagt: „Passend zur Zunahme dieser Infektionen werden auch wieder mehr Kinder mit Gastroenteritis (Magen-Darm-Grippe) und obstruktiver Bronchitis aufgenommen.“
Auch das Gesundheitsamt Waldshut bestätigt: „Meldepflichtige Durchfallerkrankungen haben tatsächlich dieses Jahr etwas früher als gewöhnlich zugenommen“, so Tobias Hermann, Pressesprecher des Landratsamts Waldshut.
Kommen wieder mehr RSV-Patienten in die Kinderklinik?
„Jetzt sehen wir seit einiger Zeit tatsächlich wieder mehr Säuglinge und Kleinkinder mit RSV-Infektionen“, sagt Michael Meisterhans von der Kinderklinik des Elisabethen-Krankenhauses Lörrach.

Doch völlig anders als in der Praxis von Jochen Sperling oder gar im deutschlandweiten Bericht des RKI, stellt sich hier die Lage dar: „Außergewöhnlich viele Kinder mit RSV sind es allerdings nicht, und die Aufnahmezahlen erreichten auch nicht jene Werte wie vor der Pandemie, wo eine rapide und starke Zunahme der Anzahl an Fällen mit beginnendem Winter eben nicht außergewöhnlich war.“
Wie kam es nun zur Zunahme des RSV?
Das Phänomen erklärt Kinderarzt Jochen Sperling aus Wehr. Er macht klar, dass die Corona-Maßnahmen das Immunsystem, insbesondere von Kleinkindern, geschwächt hätten. Abschottung und fehlende soziale Kontakte, Bewegungseinschränkungen und Einsatz von Desinfektionsmitteln. Das habe zunächst dazu beigetragen, die Krankenlast durch Grippe und RSV vergangenen Winter auf einem niedrigen Niveau zu halten, was eine zusätzliche Überlastung des Gesundheitswesens vermieden habe.
Langfristig könne dies jedoch zu Problemen führen. „Wenn unter Kindern keine viralen und bakteriellen Infektionen zirkulieren, entwickeln sie keine Immunität, was wiederum später zu größeren Ausbrüchen führen kann“, erklärt der Kinderarzt.
Diese sogenannte „Immunitätsschuld“ könne Krankheiten sogar regelrecht explodieren lassen. „Das müssen derzeit unsere Jüngsten und deren Eltern erfahren“, so Sperling. Der Zeitpunkt des Auftretens von RSV in diesem Ausmaß sei dieses Jahr ungewöhnlich früh. RSV falle heute auf „fruchtbaren Boden“, auf Kinder, die noch niemals Kontakt mit dem Virus hatten. „Es ist zu erwarten, dass sich in nächster Zeit mit den Grippeviren eine ganz ähnliche Konstellation abzeichnet“, meint der Kinderarzt. „Auf Dauer ist es aber wichtig, unser Immunsystem, und gerade das von Kindern, „abzuhärten“ – nur so kann es ein „Immungedächtnis“ ausbilden und uns für potenzielle künftige Erreger wappnen.“
RSV in Zahlen
Auch das Gesundheitsamt Waldshut sowie das Robert-Koch-Institut teilen Sperlings Einschätzung, dass durch die Corona-Maßnahmen die anderen Infektionen im vergangenen Jahr fast vollständig vermieden werden konnten und es gerade dadurch nun einen außergewöhnlich starken Anstieg gibt.
Wie lassen sich Corona- und RS-Virus unterscheiden?
Es besteht eine gewisse Ähnlichkeit zwischen der Delta-Variante des Corona-Virus‘ und anderen Atemwegsinfektionen, etwa bei Fieber, Husten und Schnupfen, informiert Sperling. „Stille Infektionen“, also Erkrankungen ohne jegliche Symptome, seien bei Kindern häufiger als im Erwachsenenalter. „Insofern ist eine Unterscheidung tatsächlich gar nicht so leicht und oft erst durch Testung möglich“, erklärt der Kinderarzt.
Michael Meisterhans sagt dazu: „Die Symptome der typischen Atemwegserkrankungen sind bei leichten Verläufen sehr ähnlich. Schwere Corona-Infektionen bei Kindern sind allerdings selten. Eine genaue Unterscheidung auch zur Influenza ist häufig allerdings nur durch Virusnachweis möglich.“
Wozu rät der Kinderarzt?
„Leicht erkrankte, negativ getestete Kinder sollten in der Tageseinrichtung verbleiben, um das natürliche Zirkulieren von Krankheitserregern zur Stimulierung des Immunsystems zu ermöglichen“, sagt der Kinderarzt. Wichtig seien außerdem eine ausgewogene Ernährung mit viel Obst und Gemüse, Bewegung an der Luft, und nicht zu vergessen: „Gute Laune verbreiten, Lachen ist gesund und stimuliert nachweislich das Immunsystem.“