Es ist wie das Tor zu einer anderen Zeit. Kaum zu glauben, dass die letzte Bewohnerin des Zechenwihler Hotzenhauses im Murger Ortsteil Niederhof das Haus erst 1998 verlassen hat. Denn der Fortschritt der vergangenen Jahrhunderte hat es in diesem Haus nur bis zur Türschwelle geschafft. Durch den Erneuerungsdruck der vergangenen Jahrzehnte sind die meisten Hotzenhäuser stark umgestaltet oder abgerissen worden. Weil das 1748 erbaute Zechenwihler Hotzenhaus das letzte Hotzenhaus am angestammten Platz ist, gilt es heute als unersetzliches regionales Kulturgut.

Denn nicht nur die Baustruktur ist erhalten geblieben, sondern auch die komplette Ausstattung des 19. und 20. Jahrhunderts von Wohn- und Ökonomieteil. Gebaut hat das Haus Johann Lauber. Er galt damals als reichster Bauer in Zechenwihl, wie aus alten Kirchenbüchern hervorgeht. „Damals war eine Zeit, wo vieles in Bewegung war“, weiß Georg Kirschbaum, Vorsitzender des Vereins Zechenwihler Hotzenhaus.

Der Verein hat sich 2006 mit 34 Mitgliedern gegründet und hat dem Haus eine Lobby gegeben, das seit dem Auszug der letzten Bewohnerin Agnes Frommherz 1998 leer gestanden hatte und dem Verfall ausgesetzt war. 2012 hat die Gemeinde Murg das Haus gekauft, das bis zu diesem Zeitpunkt acht Generationen lang in der Hand einer Familie war. Der Kauf wurde durch eine großzügige Spende eines heimischen Industriellen möglich. 2013 schloss die Gemeinde mit dem Verein, der inzwischen auf 196 Mitglieder angewachsen ist, einen Nutzungsvertrag ab. Die Mitglieder haben seither den Auftrag, das Gebäude zu bewirtschaften.

Schwarzwaldhäuser sind anschauliche Zeugnisse unserer Kulturlandschaft, die in hohem Maße von den klimatischen Bedingungen und Erfordernissen der Höhenlandwirtschaft geprägt wurden und zu der Ausbildung des Eindachhauses geführt haben. Auch das Zechenwihler Hotzenhaus ist so ein typisches Schwarzwaldhaus mit seiner Firstständer-Konstruktion, dem Walmdach und den Ständer-Bohlen-Wänden. Es entstand 1748.

Doch das Hotzenhaus in Niederhof bietet zudem eine weitere Besonderheit. Denn die für 1748 typische Holzständerbauweise verbirgt sich hinter der für den Hotzenwald typischen gemauerten Schildwand, die unter der Traufe steht. Diese Schildwand aus dem späten 19. Jahrhundert ist die letzte Baumaßnahme, bei der dieses Haus veränderten Wohn- und Wirtschaftsverhältnissen angepasst wurde. Und darum führt uns das Zechenwihler Hotzenhaus auf beeindruckende Weise vor Augen, wie die Wohn- und Wirtschaftsweise vor 100 Jahren war.

Was das Zechenwihler Hotzenhaus so einmalig macht, ist, dass sich daran die bauliche Entwicklung eines Haustyps vom einfachen, archetypisch wirkenden Ständerbau mit Strohdach zum mehrfach erweiterten, als Hotzenhaus bezeichneten Vielzweckgebäude, ablesen lässt. Gegenüber dem ursprünglichen Kernbau bot dieses deutlich mehr Raum, besseren Komfort und erleichterte damit die tägliche Arbeit. Nach den bisherigen Kenntnissen dürfte der Kernbau von 1748 noch keinen Keller gehabt haben. Das änderte sich 1842. Weitere 34 Jahre später folgte ein Umbau des Wohnbereiches.

Die bestehenden zwei Kammern wurden in vier Räume aufgeteilt. In der Stube wurde ein Kachelofen mit doppelter Sitzbank und ein Schornstein eingebaut. „In dieser Umbauphase dürfte auch die Umdeckung von Stroh auf Ziegel fallen“, erklärt Georg Kirschbaum. Erst in das letzte Viertel des 19. Jahrhunderts fällt der Anbau der südlichen und westlichen Schildmauer. Dabei dürfte auch die Laube vor der Stube entstanden sein, die seit dieser Zeit als Werkstatt genutzt worden ist. Eine letzte, große Erweiterung fällt in das Jahr 1913 und umfasst die nördliche Traufseite. Im Erdgeschoss wurde ein Anbau mit Schweinestall angefügt sowie ein ebenerdiger Keller- und Wirtschaftsraum.

Kurz nach der Gründung des Vereins, haben die Mitglieder 2007 damit begonnen, das inzwischen leer stehende Haus zu inspizieren und auszuräumen. Vieles ist nach dem Auszug von Agnes Frommherz im Haus geblieben. Denn neben der baulichen Ursprünglichkeit ist es auch die vollständige Einrichtung des Hauses, die den kulturgeschichtlichen Wert ausmacht. „Wer das Haus betritt, bekommt den Eindruck, das Haus lebt noch und die Bewohner könnten jeden Moment wieder zurückkommen“, so Kirschbaum.

„Wir haben auch Dokumente aus unterschiedlichen Zeiten gefunden.“ Darunter auch Grundstückskäufe. In den Räumen stehen noch weitgehend die Möbel vergangener Jahrzehnte und Jahrhunderte, Gläser und Porzellan in den Vitrinen, Bettwäsche, Nachthemden, Zylinder und Gehröcke in den Schränken verstärken diesen bewohnten Eindruck. Bücher über modernen Ackerbau und Düngemethoden, über politische und soziale Fragen zeigen, dass sich die Bewohner stets weitergebildet haben, aber auch wohlhabend waren. Familienkorrespondenz, unter anderem aus dem Zweiten Weltkrieg, und andere Zeitdokumente zeugen von der lokalen Zeitgeschichte. Tausende Stunden wurden investiert, um das Haus zu reinigen.

Eine wichtige Aufgabe des Vereins bestand aber auch darin, das Hotzenhaus zu vermessen sowie die Abfolge und die zeitliche Einordnung der Bauphasen zu ermitteln. Vereinsangehörige Architekten, Vermessungsfachleute und freiwillige Helfer haben in den Jahren 2008 und 2009 diese Arbeit geleistet und das Zechenwihler Hotzenhaus zu einem der am besten dokumentierten Denkmäler in Baden-Württemberg gemacht. Sogar Studenten der Heidelberger Universität verbrachten einen Teil ihrer Ferien mit der Dokumentation des Hauses. Und von Anfang an mit im Boot: Die Denkmalschutzbehörde. „Das wir das gemacht haben, war genau der richtige Weg“, weiß Georg Kirschbaum heute. Der Verein erarbeitete ein Konzept, das 2018 den Denkmalschutzbehörden vorgestellt worden ist. Mit großem Erfolg: „Es hieß, unser Konzept sei beispielhaft für andere Gebäude in Baden-Württemberg“, freut sich der Vorsitzende über das Ergebnis.
Durch die Sanierung des Wirtschaftsteils, des Dachs und der Fassade soll künftig ein Veranstaltungsraum mit Platz für 200 Personen entstehen. Um diese neue Nutzung zu ermöglichen, wird eine zurückhaltende, moderne Stahlkonstruktion zur Herstellung der Standsicherheit eingebaut, woran das Haus quasi aufgehängt wird. Für diesen Teil der Arbeit gab es bereits einen Zuschuss von 150 000 Euro vom Denkmalschutzamt. Zuschüsse und Spenden bilden den Großteil der Finanzierung für die Arbeiten.

Voraussichtlich zum Jahresende soll diese Bauphase beendet sein. „Danach geht es weiter mit der sanften Sanierung des Wohnteils“, erklärt Kirschbaum. Auch im Wohnteil des Hauses soll ein kleiner Veranstaltungsraum mit Platz für 40 Personen entstehen. Außerdem ist das Zechenwihler Hotzenhaus ein Ort, in dem inzwischen standesamtliche Trauungen stattfinden. Weiter soll ein Teil der Exponate des Heimatmuseums, das vor dem Gebäudeabriss im Alten Rathaus untergebracht war, im Ökonomieteil des Hotzenhauses wieder einen Platz finden.