Rheinfelden Sie ist nicht zu übersehen beim Vorbeigehen am Rheinuferrundweg Richtung Wasserkraftwerk: die 60 Meter lange blaue Mauer auf dem Besucherparkplatz nahe dem Wasserkraftwerk Rheinfelden. Auf der sind lauter Zitate über den Rhein zu finden. Zu lesen ist, was Menschen verschiedener Generationen aus dem Dreiländereck über den Fluss denken, der Grenze und verbindendes Element zugleich darstellt. „Der Rhein sorgt für ein Gefühl von Freiheit“, heißt es da. Oder: „Wer den Kopf unter Wasser hält, hört den Kies rollen. Es glisperlet“. Auch eine Aussage im Dialekt findet sich: „Chunsch a dr Rhi häsch Zitt zu lose häsch Zitt zum Sii“. Ein Beitrag auf Französisch ist ebenfalls angebracht: „Le Rhin est la frontière, Le Rhin c‘est notre sang“ (der Rhein ist die Grenze, der Rhein ist unser Blut). Alle diese Zitate zeigen, welche Bedeutung der Fluss für die Menschen in Rheinfelden und anderen Orten einnimmt und wie er sie inspiriert. Ein Spruch lautet kurz und sinnig: „Schuhe aus, Füße r(h)ein“. Die Künstlerin Ruth Loibl hat diese Wand künstlerisch neu gestaltet. Das Projekt, das von der Stadt Rheinfelden und den Firmen Energiedienst (heute Naturenergie) und Evonik getragen wurde, entstand im Rahmen der Initiative „Rheinliebe“, der Internationalen Bauausstellung Basel.
Die Stadt sei damals auf sie zugekommen, um zusammen mit der Bevölkerung etwas zu gestalten, erzählt Loibl. So gab es 2013 einen Workshop zum Thema „Rheinliebe entfachen“ im ehemaligen KWR-Verwaltungsgebäude, der „völlig offen“ für alle Interessierten war. Es ging darum, dass Menschen verschiedener Generationen und Nationalitäten sich mit persönlichen oder historischen Geschichten über den Rhein beteiligen. So erzählten die Teilnehmenden, welche Beziehungen zum Rhein sie haben. Loibl trug sämtliche Beiträge der Teilnehmer zusammen und gestaltete daraus ein Buch in besonderer Typografie, die das Fließende aufgreift. Der Rhein als Lebensraum, als Erholungsort, als Grenze, als Transportweg wurde thematisiert, vor allem ging es um Gefühle, Assoziationen, die der Fluss in den Menschen weckt.
Als nächster Schritt wurden 2014 einige Texte daraus auf die Mauer beim Kraftwerk aufgebracht. Ruth Loibl wählte die Farbgebung und typografische Gestaltung aus. Das Blau als Farbe stehe für Wasser, Fluss, Himmel. Aus der Vielzahl an Beiträgen, die im Rahmen des Workshops zusammengekommen waren, hat Loibl einige Texte herausgefiltert. Die Wahl sei ihr nicht leicht gefallen, sagt sie. Es sei ihr wichtig gewesen, dass es eine große Bandbreite abdeckt: Zitate von Kindern, von alteingesessenen Bewohnern von Rheinfelden ebenso wie von schweizerischer und französischer Seite. Zudem sollten es kurze und knappe Aussagen sein, wie „Schtei schiefere“. „So ist eine schöne Mischung entstanden“, erklärt Loibl. Für die Gestaltung entschied sie sich für die Johnston-Schrift, die seit Anfang des 20. Jahrhunderts für die Londoner Untergrundbahn verwendet wird. So zieht sich eine Textlandschaft über die lange Mauer, hinter der sich Industriegelände auftut. „Von der Fläche her ist es das größte Projekt, das ich je gemacht habe“, sagt die Künstlerin. Das Projekt zeige auch die Verbundenheit von Evonik und Naturenergie mit der Region und dem Rhein, aus dem Energie gewonnen wird. Geht es doch bei dieser Text-Wand auch darum, das Spannungsfeld von Natur, Industrie und Kunst zusammenzubringen.
Ruth Loibl hat in ihrem Schaffen viel mit Text und Schrift zu tun. Die gebürtige Nürnbergerin hat an der Kunstakademie Nürnberg Textilkunst und an der Hochschule der Künste Berlin Bildhauerei studiert. Mehr als 30 Jahre lang lebte und wirkte sie in Rheinfelden, hatte hier ihr Atelier und eine Bleisatz- und Buchdruckerwerkstatt. In der Stadt hat sich Loibl durch viele Projekte eingebracht. Eine Arbeit von Ruth Loibl findet sich auch vor dem Eingang zur Christuskirche, wo sie Texte aus der Bibel in Schriftplatten hat gießen lassen. Ein Schwerpunkt von Loibls Arbeit liegt bei Zeichnungen und Collagen, in denen sie Motive und Strukturen des Alltags, Muster und Ornamente verwebt und teils Worte und Texte ins Bild einbaut. 2020 ist sie in ihre Heimat Bamberg zurückgezogen, wo sie in der Ateliergemeinschaft Concordia arbeitet. Ab und zu kommt Ruth Loibl noch nach Südbaden. Etwa zu Ausstellungen der Freien Gruppe Hochrhein, deren Mitglied sie ist.