Rheinfelden „Die Aggression gegen Tiere nimmt täglich zu“, sagt Hannelore Nuß zu Beginn der Tiersegnungen. „Solch ein Tag wie heute gibt mir viel Motivation, weiter dagegen zu kämpfen.“ Es ist Samstagvormittag und vor der Sankt Jakobuskirche am Adelberg in Rheinfelden haben sich etwa 20 Menschen versammelt, um ihre Tiere segnen zu lassen. Manche haben nur ein Foto ihres Tieres dabei, die meisten aber sind in Begleitung ihrer Tiere gekommen. Da gibt es ein Schaf, einen Fisch, eine Schildkröte, einen Siebenschläfer und ein zwei Monate altes Lämmchen. Aber vor allem sind es Hunde, teilweise entspannt neben ihren Menschen liegend, teilweise gestresst an den Leinen zerrend, hechelnd und überfordert mit den vielen Eindrücken, die auf sie einprasseln. Nicht jeder der Menschen scheint die Stressanzeichen des Tieres zu verstehen. So wird mancher Hund ins „Sitz“ gedrückt und oder ruckartig an Leinen gerissen.
Doch als Pfarrer Strenzl mit dem Weihwasser herumgeht und jedes Tier einzeln segnet, kehrt etwas Ruhe ein. Auch der kleine Niko aus Rumänien, der mit seiner Halterin etwas abseits des Trubels sitzt und – wie seine Halterin später erklärt – erst seit Kurzem in der Familie lebt, beruhigt sich. Das Wasser scheint ihm zwar nicht zu gefallen, aber Strenzls einfühlsame Art wirkt beruhigend. Auch Nikos Halterin strahlt Ruhe aus und so entspannt sich mit der Zeit auch Niko.
Es gehe darum, den Tieren ein Stück Würde zurückzugeben, sagt Nuß, „und uns der Bedürfnisse unserer Mitgeschöpfe anzunehmen“. Ihr Appell richtet sich an all jene, die Tieren Leid zufügen, sei es aus Unwissen oder aus voller Absicht. Oder weil dort, wo sie leben, Krieg herrscht, wie in der Ukraine, in die der Tierschutzverein Rheinfelden und Umgebung, dessen Vorsitz Nuß innehat, Medikamente und Nahrung schickt. „Eines ist klar“, sagt Nuß, „über die Qual von Tieren ist mit mir nicht zu spaßen.“
Mit dem altkatholischen Pfarrer Armin Strenzl organisiert die Tierschützerin seit 14 Jahren die Tiersegnungen. Dabei, das wird während der Veranstaltung deutlich, geht es den beiden auch darum, das Bewusstsein für den verantwortungsvollen Umgang mit Tieren zu stärken. „Tiere sind, ebenso wie wir Menschen, Geschöpfe Gottes“, betont Strenzl. Der Mensch habe als Abbild Gottes die Aufgabe, verantwortungsvoll mit der Schöpfung umzugehen. Das biblische Herrschaftsverhältnis sei oft missverstanden worden. Herrschen bedeute nicht, Tiere auszubeuten, sondern sich in ihren Dienst zu stellen, ihnen Lebensraum zu ermöglichen und ein Vertrauensverhältnis aufzubauen.
Einige der Tiere, sagt Nuß im Anschluss, hätten eine lange Leidensgeschichte hinter sich. Dass so viele Tiere da gewesen seien, gesund und mit Haltern, die, je nach ihren Möglichkeiten, das Beste für ihre Tiere wollen, sei ein großer Gewinn. Dass es für einige Tiere großer Stress sein kann, unter so vielen fremden Tieren eine Stunde lang still zu sitzen, sehe sie zwar, doch die Möglichkeit, Tier und Halter abzuholen und zu begleiten mag das aufwiegen.
Nuß kennt viele der Tiere schon seit Jahren und begleitet sie und ihre Halterinnen und Halter so gut sie kann. Sie scheut sich nicht, auch in die Familien zu gehen, hinzuschauen, aufzuklären und gegebenenfalls auch dafür zu sorgen, dass die Tiere aus den Familien genommen werden. „Aber nur, wenn es wirklich gar nicht mehr anders geht“, sagt Nuß. Häufig würden Tiere viel zu leichtfertig aus ihrer vertrauten Umgebung gerissen und ins Tierheim gebracht – was weder für den Halter noch für das Tier schön sei. Sehr oft gebe es andere Möglichkeiten. Eigentlich, das bejaht sie lachend, ist sie so etwas wie eine sozialpädagogische Familienhilfe, nur eben nicht im Bereich Kindeswohlgefährdung, sondern im Bereich Tierwohlgefährdung.
Auch für die Menschen seien diese Tiersegnungen eine Möglichkeit der Seelsorge, etwa, wenn sie ihre Tiere verloren hätten. So wie Liedermacher Klaus Böffert, der den Gottesdienst mit seinen Liedern begleitet. Er und seine Frau haben vor nicht allzu langer Zeit ihren Hund Theo verloren. „Es hat ein bisschen gebraucht“, erklärt Böffert, „aber mittlerweile durfte wieder ein Hund bei uns einziehen.“ Es ist der kleine Niko, der sich mittlerweile neben Böfferts Frau ins Gras gekuschelt hat. Er, der in Rumänien möglicherweise Schlimmes erlebt hat, scheint dabei zu sein, jenes Vertrauensverhältnis zu seinen neuen Bezugspersonen herzustellen, von dem Strenzl in seiner Predigt gesprochen hat.
Mehr Infos zum Tierschutzverein Rheinfelden sowie Spendenmöglichkeiten gibt es unter: www.tierschutz-rheinfelden.de