Günter Salzmann

In den 60er Jahren bewegte sich der Verkehr noch mitten durch die Stadt, in der die Volksbank ihr neues Domizil bezog. Bürgermeister Franz Schmidt übergab Stadthalle und Kläranlage ihrer Bestimmung. Und der FC Tiengen 08 baute ein Vereinsheim im altehrwürdigen Langensteinstadion jenseits der Wutach. Dort wo Fußball zelebriert wurde. Wo Generationen das Fußball-Ein-mal-Eins vermittelt bekamen. Die 60er Jahre waren beim FC Tiengen eine Epoche, die vielen in Erinnerung bleibt.

Gastspiel in der A-Klasse

So zum Beispiel auch Dieter Hart (79), dem Spielführer der damaligen ersten Mannschaft. "Wir spielten in der zweiten Amateurliga, hatten über Jahre hinweg eine Mannschaft, die aus Spielern unserer A-Jugend hervorging, mit solchen jedes Jahr ergänzt wurde. Trotzdem war 1966 der Abstieg in die A-Klasse nicht zu verhindern," so Hart, für den Abstieg und Wiederaufstieg zu einem nachhaltigen Erlebnis wurden. Grund war der Zusammenhalt der Mannschaft in- und außerhalb des Spielfeldes, so dass die A-Klasse nur zu einem einjährigen Gastspiel wurde.

Dieter Hart (79) war in den 60er Jahren ein Leistungsträger beim FC Tiengen.
Dieter Hart (79) war in den 60er Jahren ein Leistungsträger beim FC Tiengen. | Bild: Salzmann, Günter

Überhaupt herrschte beim FC Tiengen 08 damals Aufbruchstimmung. Die erste Mannschaft wurde mit Nachwuchstalenten wie Rüdiger Pöthke, Norbert Moritz, Werner Müller und Jürgen Auer verjüngt – ein frischer Wind wehte jetzt am Langenstein. "Und da passte es hervorragend, dass mit Henry Kessler, der früher beim Dresdener SC spielte, ein erfahrener Trainer neue Konzeptionen ins Spiel brachte", sagt Hart. Er war von Henry Kessler begeistert, weil er neuen Geist, neue Motivation und neue Spielfreude vermittelte.

FC Tiengen spielt das WM-System

Taktik spielte damals nicht die entscheidende Rolle. "Wir spielten – wie alle Mannschaften – das WM-System, das im Prinzip aus einem Torwart, zwei Verteidigern, drei Läufern und fünf Stürmern bestand. Wenn wir unter Druck standen, mussten die Halbstürmer zurückgezogen spielen und bei Kontern mit Steilvorlagen die schnellen Stürmer in Position bringen. Eine Dreier- oder eine Viererkette kannten wir damals nicht", erklärt Hart die Taktik der 60er Jahre.

Der große Rivale Waldshut steigt 1961 ab

Gegner waren unter anderem der FV Lörrach, der SV Weil, der FC Zell, der SV Todtnau, der FC Rheinfelden und der VfR Rheinfelden. Und bis zu 800 Zuschauer drängten sich durch die schmale Holzbrücke über die Wutach, wenn gegen die Sportfreunde Freiburg, den Freiburger FC II, Rhodia Freiburg oder den Bahlinger SC gespielt wurde. Der VfB Waldshut, großer Rivale in den 50er Jahren, stieg 1961 ab, bestritt viele Jahre keine Punktespiele gegen den FC Tiengen 08. Und der SV 08 Laufenburg fand erst 1971/72 in die zweite Amateurliga.

Vereinsheim in Eigenleistung

Viel Bewegung auch im Vereinsumfeld. Herbert Schwarz war Vorsitzender und Schriftführer der unvergessene Ferdinand Lüber, ein Hans-Dampf-in-allen-Gassen. Noch war der "Hirschen" das Vereinslokal, an dem im Vereinskasten jeden Samstag die Aufstellungen aller FC-Mannschaften zu lesen waren. Gleichzeitig wurde aber auch ein Vereinsheim am Platz gebaut, mit großen Eigenleistungen der Mitglieder, auch den Spielern der ersten Mannschaft.

Jubel beim FC Tiengen 08. Nach dem 2:0-Sieg bei RW Weilheim war der FC Tiengen endgültig Bezirksligameister der Saison 2016/17. Die ...
Jubel beim FC Tiengen 08. Nach dem 2:0-Sieg bei RW Weilheim war der FC Tiengen endgültig Bezirksligameister der Saison 2016/17. Die Meistermannschaft 2017, stehend von links: Daniel Eichhorn, Betreuer Björn Winter, Marius Sava, Alberto Di Girolamo, Nico Ködel, Bruno Di Palma, Markus Stasniek, Daniel Albicker, Denis Michel, Paul Mendy, Robin Matt, Trainer Georg Isele, Betreuer Martin Dörflinger. Kniend, von links: Steffen Huber, Janis Pietzke, Thomas Masek, Jasmin Rastoder und Sven Maier. | Bild: Welte, Gerd

"Die Identifikation mit dem Verein war damals sehr groß", sagt Dieter Hart wie auch dessen Mannschaftskamerad Roland Strittmatter. Für beide hatte der Verein einen hohen Stellenwert im Freizeitbereich. Hart und Strittmatter erinnern sich gerne an den großen Zusammenhalt der Mannschaft. "Jeder half dem anderen, wo immer es ging. Der eine war Maler, der andere Automechaniker, wieder andere waren im Sanitärbereich oder im Einzelhandel tätig. Kurzum: Wir halfen uns gegenseitig in allen Lebenslagen."

Ein Kasten Bier war schon etwas Besonderes

Sponsoring war übrigens noch kein Begriff. Geld war Mangelware. Damals wie heute. Und das nicht nur beim FC Tiengen 08. "Wir freuten uns schon, wenn der Vereinsvorstand einen Kasten Bier oder ein Essen spendierte", sagte Hart, der nach seiner aktiven Laufbahn Trainer wurde und sich von 1986 bis 1993 als Vorsitzender des FC Tiengen verdient machte.

"Kessler machte völlig neue Dinge"

Dieter Hart war in den 60er Jahren ein Leistungsträger beim FC Tiengen. Später war Trainer und Vorsitzender. Der FC Tiengen war gewissermaßen sein Leben im Freizeitbereich. OIm Interview spricht er über die unvergesslichen Momenten rund um den FC und das alte Langensteinstadion, in dem es bis 1967 keine sanitären Anlagen gab.

Herr Hart, welche Bilder fallen Ihnen spontan ein, wenn Sie an Ihre Zeit als Aktivspieler und an das alte Langensteinstadion denken?

Das kleine Platzwarthaus zwischen Trainingsplatz und Holzbrücke. Dort war ein kleiner Umkleideraum, doch keine Waschgelegenheit. Wir nahmen nach Training und Spiel entweder kalte Bäder in der Wutach oder reinigten uns zu Hause.

Thema Wutach. Dort landeten sicher viele Bälle. Wurden denn alle eingefangen?

Nein. Aber ich sehe heute noch unseren Platzwart Arthur Spitznagel mit einer langen Stange an der ein Schöpfer befestigt war flussabwärts laufen, um sie einzufangen.

Sie sagten an anderer Stelle einmal, dass Trainer Henry Kessler (1966 bis 1969) einen nachhaltigen Eindruck auf sie machte. Warum?

Er machte völlig neue Dinge. Zum Beispiel packte er nach dem Training in der Umkleidekabine die Gitarre aus und forderte uns zum Singen auf. Er hat es auch charmant verstanden, die Spielerfrauen für unsere sportlichen Ziele zu begeistern.

Gibt es sonst noch eine Anekdote, die Ihnen spontan zum FC Tiengen 08 und zum Langensteinstadion einfällt?

Ja, gewiss. Denn ich erinnere mich noch gut daran, dass Anfangs der 90er Jahre nicht alle im Verein ein neues Stadion wollten, weil das alte Stadion jenseits der Wutach vielen lieb geworden ist. Vielleicht auch, weil dort fast jeder viel Eigenarbeit investierte. Nicht nur wegen dem Menhir ist deshalb heute noch das alte Langensteinstadion für viele ein Fußballplatz mit historischem Hintergrund.

"Ohne Computer geht nichts mehr"

Rainer Schillinger, Geschäftsführer des FC Tiengen 08, gibt Einblicke in den heutigen Fußball beim FC Tiengen und zieht Vergleiche zu den 60er Jahren.

Herr Schillinger, gesellschaftliche Veränderungen bleiben nicht ohne Auswirkungen auf die Vereine, die entsprechend reagieren, um ihre sportlichen Standarts zu halten. Wie reagiert der FC Tiengen 08?

Wir schwimmen mit, passen uns an. Zunächst einmal bauen wir auf unsere gute Jugendarbeit, dann auf eine gute Infrastruktur: Gute Trainer, gute Plätze und gutes Umfeld. Wir vom FC Tiengen 08 sind diesbezüglich gut aufgestellt. Trotzdem haben wir zuweilen Personalprobleme.

Vieles hat sich im Regelwerk, aber auch im Umfeld des Vereins geändert. Wo liegen die Schwerpunkte?

Ganz klar in der Vereinsverwaltung. Ohne Sportfreund Computer geht von der Ergebniseingabe bis zum digitalen Spielerpass nichts mehr.

Sie sind seit 20 Jahren gewissermaßen Manager der ersten Mannschaft. Welche Veränderungen gibt es seit den 60er Jahren?

Dazu fallen mir nur Stichworte ein. Zum Beispiel: Digitaler Spielerpass, DFBnet für Spielergebnisse, Entschädigungsbezüge bei Spielerwechsel, Drei Punkte pro Sieg, Trikotwerbung, Auswechselspieler, Rote und gelbe Karten und vieles mehr.

Was heißt Entschädigungsbezüge bei Spielerwechsel?

Wechselt ein Spieler den Verein, dann muss der aufnehmende Verein dem abgebenden Verein eine Entschädigungssumme zahlen. Der Fußballverband hat dazu Richtlinien je nach Ligazugehörigkeit geschaffen. Meistens finden Vereine eine eigene Regelung.

Viele der heutigen Spieler haben Migrationshintergrund. Wie wirkt sich das in der Praxis auf dem Spielfeld aus?

Eigentlich gibt es keine Probleme. Wenn, dann häufig durch Mißverständnisse. Die meisten unserer ausländischen Mitspieler sind in Tiengen aufgewachsen und kommen aus der Jugendabteilung unseres Vereins.