Die medizinische Versorgung ländlicher Regionen könnte zukünftig mehr in den Händen von Assistenzkräften liegen. Dieses Fazit zieht die AOK Hochrhein-Bodensee zum 15. Jahrestag der hausarztzentrierten Versorgung (HZV) bei einem Pressegespräch im Geschäftssitz in Waldshut. Dazu hatten der stellvertretende Leiter der AOK Hochrhein-Bodensee Carlo Wolf und Leiter Arztpartnerservice bei der AOK Baden-Württemberg, Hansjörg Imhof, drei Mediziner stellvertretend für die Landkreise Konstanz, Lörrach und Waldshut eingeladen.

Die Bilanz von 15 Jahren hausarztzentrierter Versorgung wurde in Waldshut bei der AOK Hochrhein-Bodensee in einem hybriden Format gezogen.
Die Bilanz von 15 Jahren hausarztzentrierter Versorgung wurde in Waldshut bei der AOK Hochrhein-Bodensee in einem hybriden Format gezogen. | Bild: Rasmus Peters

Arzt delegiert Aufgaben

Georg Steinfurth war für den Landkreis Waldshut vor Ort. In seiner Hausarztpraxis in Tiengen beschäftigt er bereits zwei „Versorgungsassistenten in der Hausarztpraxis“, abgekürzt Verahs, berichtete er. Diese Versorgungsassistenz ist eine Weiterbildungsmaßnahme für Medizinische Fachangestellte. Über die Teilnahme an der HZV können beispielsweise deren Hausbesuche zusätzlich von der Praxis bei der Krankenkasse in Rechnung gestellt werden. „Insbesondere chronisch kranke Patienten könnten von ambulant eingesetzten Verahs profitieren“, referierte Jörg Imhof.

Hansjörg Imhof präsentiert vor Ort in Waldshut und an den Bildschirmen der zugeschalteten Gäste die Bilanzen von 15 Jahren ...
Hansjörg Imhof präsentiert vor Ort in Waldshut und an den Bildschirmen der zugeschalteten Gäste die Bilanzen von 15 Jahren hausarztzentrierter Versorgung. | Bild: Rasmus Peters

In ländlichen Regionen könne sich diese Weiterbildung des Medizinischen Fachpersonals direkt auf die Gesundheitsversorgung auswirken. Auf Geheiß des Arztes übernehmen sie die Patientenbetreuung, wenn kein Arztbesuch notwendig ist, beispielsweise bei Blutabnahmen oder Verbandswechseln. Im Landkreis Waldshut sind aktuell 24 Verahs in 15 Praxen angestellt. Im Bezirk Hochrhein-Bodensee sind es 91 Verahs in 59 Praxen.

Zusätzlichen Aufwind soll der Beruf des Physician Assistant bringen. „Ab nächstem Jahr soll der Studiengang auch an der Fachhochschule des Mittelstandes in Waldshut starten“, sagte Georg Steinfurth.

Georg Steinfurth praktiziert als Arzt in Tiengen und bot noch in der Pilotphase der HZV das Programm an.
Georg Steinfurth praktiziert als Arzt in Tiengen und bot noch in der Pilotphase der HZV das Programm an. | Bild: Rasmus Peters

„Die Assistenten dürfen beispielsweise Erstdiagnosen und kleinere, ungefährliche Operationen vornehmen“, beschrieb Steinfurth. Ihre Ausbildung will die AOK in Baden-Württemberg laut mit Hansjörg Imhof mit 300 Stipendien bis 5000 Euro fördern.

Herausfordernde Versorgungslage

Das neue Berufsfeld liegt hierarchisch zwischen Verahs und Arzt und soll die medizinische Versorgung zusätzlich entlasten, erläutert Imhof. „In der Region stolpert man über Krankenhausschließungen, ein Drittel der Hausärzte wird altersbedingt aus dem Berufsleben ausscheiden“, fasste Carlo Wolf, stellvertretender Leiter der AOK Hochrhein-Bodensee, die medizinische Versorgungslage zusammen. Laut Kassenärztlicher Vereinigung Baden Württemberg ist beispielsweise die Anzahl der Hausärzte im Landkreis Waldshut zwischen Juli 2013 und Juli 2023 von 112 auf 90 gesunken.

Stellvertretender Leiter der AOK Hochrhein-Bodensee, Carlo Wolf
Stellvertretender Leiter der AOK Hochrhein-Bodensee, Carlo Wolf | Bild: Rasmus Peters

Georg Steinfurth hob hervor, dass Absolventen größere Städte wie Freiburg oder Konstanz bevorzugten, denn pendeln wäre wenig komfortabel. Zusätzlich würden auch grundsätzlich höhere Löhne in der Schweiz locken. Junge Ärzte will er gewinnen, indem er Assistenten im Praxisjahr entlohnt, mietfrei Wohnraum sowie ein sogenanntes Verahmobil als Dienstwagen anbietet.

Freiwilliges Primärarztsystem

Ganz im Zeichen des Jahrestages sieht er das Potenzial in der HZV. Dabei ist der Hausarzt erster zentraler Ansprechpartner für den Patienten. „Die Patienten nehmen an einem freiwilligen Primärarztsystem teil. Das heißt, sie suchen bei allen Fragen rund um ihre Gesundheit zunächst die Hausarztpraxis auf. Falls ein Facharzt hinzugezogen werden muss, überweist der Hausarzt“, erklärte Felix Bareiß, Pressesprecher des Hausärzteverbandes Baden-Württemberg. Auf diesem Weg könnten unnötige Krankenhausaufenthalte und Doppeluntersuchungen vermieden werden.

„Insbesondere chronisch kranke Patienten könnten von ambulant eingesetzten Verahs profitieren“, sagt Hansjörg Imhof, Leiter ...
„Insbesondere chronisch kranke Patienten könnten von ambulant eingesetzten Verahs profitieren“, sagt Hansjörg Imhof, Leiter Arztpartnerservice bei AOK Baden-Württemberg. | Bild: Rasmus Peters

Nach Angaben von Hansjörg Imhof ist das auch gelungen: In Baden-Württemberg wurden im Zusammenhang mit der HZV 125.000 Krankenhaustage und 27.000 Krankenhausaufnahmen weniger verzeichnet. Zudem konnten 1,9 Millionen weniger unkoordinierte Facharztkontakte und außerdem weniger riskante Arzneimittelveränderung festgestellt werden.

Lage auch im Kreis Konstanz schwierig

Landkreisübegreifend könnte die HZV die Position des Hausarztes und damit die medizinische Versorgung ländlicher Regionen dahingehend stärken, als der Arzt nicht beliebig erscheint, meint Christoph Graf aus Gottmadingen als Stellvertreter aus dem Landkreis Konstanz. Denn, „wenigstens für die Vertragsdauer, sagt der Arzt nicht nur Ja zum Patienten, sondern auch umgekehrt der Patient sagt Ja zum Arzt“, argumentierte Graf. Die Teilnahme an der HZV ist für Patienten kostenlos.

Christoph Graf ist digital aus Gottmadingen zur Bilanzrunde von 15 Jahren hausarztzentrierter Versorgung in Waldshut zugeschaltet.
Christoph Graf ist digital aus Gottmadingen zur Bilanzrunde von 15 Jahren hausarztzentrierter Versorgung in Waldshut zugeschaltet. | Bild: Rasmus Peters

Die Anzahl angemeldeter Patienten in der Region Hochrhein-Bodensee ist zwischen 2021 und 2022 von 1.763.000 auf 1.776.000 gewachsen. Das entspricht 0,7 Prozent. Im Facharztprogramm sind die Zahlen deutlicher von 814.000 auf 835.000 gestiegen.

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