
Die ärztliche Versorgung im Landkreis Waldshut dünnt zunehmend aus. Die Folge für die Patienten liegt auf der Hand: Auf Arzttermine wartet man je nach medizinischem Fachgebiet Monate. Etliche Praxen haben einen Aufnahmestopp für neue Patienten verhängt.
Aber wie schlimm ist es wirklich – und worauf müssen wir uns in den kommenden Jahren einstellen? Wir haben die Versorgungsberichte der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) ausgewertet.
Wie viele Ärzte gibt es im Landkreis Waldshut?
Derzeit seien 255 Mediziner aktiv, die in unterschiedlichen Beschäftigungsgraden 209,25 Arztsitze besetzten, erklärt Martina Tröscher, Pressereferentin der KVBW in Freiburg.
Bei Kinderärzten und Therapeuten ist Waldshut offiziell gut versorgt — das gilt ebenso für alle anderen Fachbereiche bis auf einen: Es gibt im gesamten Landkreis keinen spezialisierten Kinder- und Jugendpsychiater. Dieser bedeutsame Sektor der ärztlichen Versorgung ist in ganz Baden-Württemberg drastisch unterversorgt.
Wie steht es konkret um die hausärztliche Versorgung – und wie hat sich diese verändert?
Um die Versorgung mit Hausärzten zu messen, fasst die KVBW mehrere Gemeinden zu sogenannten Mittelbereichen zusammen. Im Landkreis Waldshut gibt es zwei davon: Waldshut-Tiengen und Bad Säckingen.
Innerhalb dieser Mittelbereiche errechnet die KVBW die Versorgungsquote. Im Landkreis Waldshut sinkt die Quote seit Jahren, inzwischen liegt sie in beiden Bereichen unter 100 Prozent.
Damit ist der Landkreis Waldshut aber nicht alleine. In weiten Teilen von Baden-Württemberg ist die Versorgungsquote in den vergangenen Jahren gesunken, teilweise rapide.
Was sind die Gründe für die Verschlechterung der Ärzteversorgung – und wie sehen die Prognosen aus?
Das Hauptproblem ist das Alter der Ärzte. „Die Zahl der aus Altersgründen ausscheidenden Mediziner ist deutlich größer, als die des ärztlichen Nachwuchses“, sagt KVBW-Sprecherin Tröscher. Heißt überspitzt: Die Alten gehen in Rente und Junge kommen keine nach.
Besonders deutlich ist das bei den Orthopäden und Chirurgen im Landkreis. Aber auch die Hälfte der Hausärzte ist jenseits der 60 — während gleichzeitig nur ein Bruchteil jünger als 40 ist.
Hinzu kämen deutlich veränderte Voraussetzungen und eine andere Haltung vieler junger Mediziner zu ihrem Beruf. Viele wollten als Angestellte sowie in Teilzeit arbeiten, sagt Sprecherin Martina Tröscher von der KVBW.
Das finanzielle Risiko einer Niederlassung, bürokratische Hürden und Auflagen aber auch der Respekt vor Personalverantwortung und -management wirke ebenso abschreckend auf junge Mediziner, wenn es um die Übernahme einer eigenen Praxis gehe. Darüber hinaus fallen auch Themen wie Kinderbetreuung und weiterführende Schulen ins Gewicht.
All dies bedinge Strukturen, die sich in den Städten und Ballungsgebieten häufiger vorfinden ließen als im ländlichen Raum, so Tröscher. Die Folge sei wiederum, dass das Problem des Nachwuchsmangels sich in ländlichen Gegenden noch deutlich verstärke. Das gelte insbesondere im hausärztlichen Bereich.
Droht dem Landkreis eine Unterversorgung?
Offiziell nicht. Als unterversorgt gelten Regionen, wenn die Versorgungsquote bei Hausärzten bei weniger als 75 Prozent liegt. Bei Fachärzten liegt die Schwelle bei 50 Prozent. Davon ist der Landkreis Waldshut noch weit entfernt. Derzeit sieht die KVBW auch nicht die Gefahr einer Unterversorgung, trotz der alternden Ärzteschaft.
Das sind allerdings nur statistische Werte. Das Gefühl der Menschen, wenn sie den fünften Facharzt anrufen und zwei Monate auf einen Termin warten müssen, kann ein ganz anderes sein.
Wenn die meisten Fachbereiche gut besetzt sind, wieso muss ich dennoch ewig auf einen Termin warten?
So kompliziert die Planungen und Versorgungsquoten sein mögen, das eigentliche Problem ist ganz simpel: Es gibt zu wenige Ärzte. Und selbst wenn es genügend gäbe, wären die Wartezimmer dennoch voll. Denn die Berechnung der Arztsitze hat keinen medizinischen, sondern einen finanziellen Hintergrund: Mit der Beschränkung soll der Beitragssatz stabil gehalten werden.
„Etwas überspitzt ausgedrückt, orientieren sich die Verhältniszahlen und damit die Zahl der möglichen Ärzte und Psychotherapeuten an den zur Verfügung stehenden Mitteln und nicht am Bedarf der Bevölkerung“, konstatiert KVBW-Sprecherin Tröscher. Es sollen also nicht mehr Ärzte tätig sein als nötig. Dieses Problem bestand in den 1990ern, als die Bedarfsplanung eingeführt wurde. Heute scheint das angesichts der Lage im Landkreis und im Land weit weg.
Könnten notfalls Ärzte auch zwangsweise in ein bestimmtes Gebiet versetzt werden, wenn sich Unterversorgungen über längere Zeit nicht beheben ließen?
„Nein, Ärzte sind freiberuflich tätig“, lautet die klare Antwort von Martina Tröscher hierzu. Wenn alle Stricke reißen, könnten Patienten, die einen Arzt suchen, sich auch an die Terminservicestelle der KVBW unter der Rufnummer 116117 wenden. Diese vermittele Termine bei Haus- und Fachärzten in zumutbarer Entfernung zum Wohnort, sagt Tröscher. Was als „zumutbare Entfernung“ gilt, sei allerdings nicht konkret definiert, räumt sie ein.
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