Herr Meyer und Herr Frahm, was genau ist die Rheuma-Liga und was bietet sie an?

Peter Meyer: Es gibt unsere Arbeitsgemeinschaft Waldshut-Tiengen seit rund 30 Jahren. Aktuell sind wir rund 630 Mitglieder. Wir sind eine von über 80 ehrenamtlich organisierten Arbeitsgemeinschaften der Rheuma-Liga Baden-Württemberg, die ein eingetragener Verein ist und die größte Selbsthilfegruppe in Baden-Württemberg ist. Die Geschäftsstelle ist in Bruchsal. Wir sind nicht nur für Menschen mit rheumatischen Erkrankungen da, sondern generell für alle, die Probleme mit der Bewegung haben und diese verbessern möchten. Wir haben zum Beispiel viele Mitglieder mit künstlichen Hüft-, Knie- und Schultergelenken.

Und wie unterstützen Sie konkret die Beweglichkeit und Gesundheit?

Peter Meyer: Wir sind Anbieter von Funktionstraining und bieten im Thermalbad Bad Zurzach ein- bis zweimal die Woche Wassergymnastik an. Wir haben dort einen Raum mit Sportgeräten, mit denen wir unter Anleitung eines Therapeuten im Wasser Übungen machen. Ich weiß von niemandem in der Gegend, der auch Funktionstraining anbietet.

Peter Meyer (rechts) und Harold Frahm von der Rheuma-Liga Arbeitsgemeinschaft Waldshut-Tiengen sprechen mit unserer Mitarbeiterin Ursula ...
Peter Meyer (rechts) und Harold Frahm von der Rheuma-Liga Arbeitsgemeinschaft Waldshut-Tiengen sprechen mit unserer Mitarbeiterin Ursula Freudig über die derzeit schwierige Situation der Arbeitsgemeinschaft. | Bild: Willi Zipfel

Hilft Funktionstraining?

Peter Meyer: Ja, es bringt wirklich viel, wenn man es regelmäßig über eine lange Dauer macht. Das wissen wir aus eigener Erfahrung. Es wird deshalb auch relativ oft von Ärzten und Orthopäden verschrieben, aber wir können es nicht mehr allen anbieten. Es kommen immer mehr Leute mit Verordnungen zu uns, aber genügend Therapeuten für sie zu finden, ist aktuell nicht möglich. Rund 200 Mitglieder können bei uns kein Funktionstraining mehr machen. Wir mussten außerdem einen Aufnahmestopp einführen.

Warum kommen immer mehr Menschen mit Verordnungen für Funktionstraining zu Ihnen?

Harold Frahm: Ein Grund ist, dass seit dem 1. Januar 2024 bei einigen Kassen die Verordnungen der Ärzte nicht mehr von den Krankenkassen genehmigt werden müssen. Sie haben Genehmigungsfreiheit eingeführt, was bedeutet, dass deutlich mehr Leute Verordnungen bekommen als früher.

Wie viele Gruppen und Therapeuten haben Sie aktuell, wie viele bräuchten Sie?

Harold Frahm: Wir sind im Moment mit 32 Gruppen im Thermalbad Bad Zurzach. Eine weitere Gruppe ist noch im Bad des Sonnenhofs in Höchenschwand. Bis vor Kurzem haben wir noch Funktionstraining in Form von Trockengymnastik angeboten, aber das mussten wir aufgeben. Es fehlen uns auch hier einfach die Therapeuten. Um alle mit Verordnung mit Wassergymnastik zu versorgen, bräuchten wir rund 60 Gruppen, also fast doppelt so viele wie jetzt, und mindestens acht feste Therapeuten. Aktuell haben wir feste Honorarverträge mit vier Therapeuten und zwei bis drei weiteren, die eingeschränkt tätig sind. Wir können die Gruppen auch nicht einfach größer machen, 15 bis 18 Mitglieder dürfen sie laut Vorgaben der Kassen haben.

Warum finden Sie so schwer Therapeuten?

Harold Frahm: Grundsätzlich ist es so, dass überall Therapeuten oder auch Übungsleiter gesucht werden und fehlen. Viele arbeiten auch in der Schweiz, wo die Honorarverträge attraktiver sind. Das Problem verschärft hat eine neue Regelung zwischen uns als Anbieter des Funktionstrainings und den Krankenkassen, was die Qualifikation der Therapeuten betrifft. Die Anforderungen wurden erhöht, sodass bestimmte Leute, die wir als Therapeuten und Übungsleiter anfragen könnten, nicht mehr über die nötige Qualifikation verfügen. Unsere Rheuma-Landes-Liga bemüht sich derzeit in Gesprächen mit Krankenkassen um eine Änderung.

Haben Sie schon ausgiebig versucht, Therapeuten zu finden?

Peter Meyer: Wir versuchten alles, gaben Inserate auf, nützten die sozialen Medien, setzten auf Mund-Propaganda und haben auch zwei Therapeutinnen mit Übungsleiter-Qualifikation eingestellt, aber drei Therapeutinnen stehen derzeit aus verschiedenen Gründen nicht zur Verfügung. Die Situation ist sehr schwierig für uns und es ist sehr mühsam, unseren Mitgliedern zu erklären, dass es nicht an uns liegt. Man muss auch sehen, dass wir das alles ehrenamtlich machen.

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Was sagen denn Ihre Mitglieder zu der Entwicklung?

Harold Frahm: Willi Zipfel, unser Kollege im Vorstand, bekommt am meisten mit. Er ist ein Mal die Woche in unserem Büro in Tiengen. Viele, die nach zehn, zwanzig Jahren jetzt nicht mehr Funktionstraining bei uns machen können, sind zu ihm gekommen oder haben ihn angerufen. Es ist schwer für Willi zu erklären, warum es nicht mehr geht, weil alle eine ärztliche Verordnung haben, also eigentlich alle einen Anspruch darauf haben. Zum Teil sind die Leute beleidigt, zum Teil gibt es Tränen, manche haben aber auch Verständnis.

Ist absolut keine Verbesserung der Situation in Sicht?

Peter Meyer: Wir versuchen, durch Umstrukturierungen einiges aufzufangen. Zum Beispiel durch die Bildung von Selbstzahlungsgruppen, die nicht über die Krankenkasse laufen. Für solche Gruppen können wir Therapeuten einsetzen, die nicht die Anforderungen der Kassen erfüllen, aber genauso fähig und gut sind. Drei von unseren 32  Gruppen sind schon Selbstzahlungsgruppen. Wir möchten außerdem ein zweites Standbein aufbauen durch neue Gruppen, beispielsweise für Nordic Walking, Qigong oder für Stammtische, die mit Referaten von Fachleuten wie Ärzten verbunden sind. Grundsätzlich sind Umstrukturierungen aber nicht einfach, denn in vielen Gruppen sind die Leute schon jahrelang zusammen. Die Gruppen sind nicht nur Gesundheitsverbände, sondern bedeuten auch ein soziales Miteinander für die jeweiligen Mitglieder. Für manche ist die Gruppe der einzige soziale Kontakt.

Die Zukunft wird also Veränderungen bringen, was erhoffen Sie sich?

Peter Meyer: Wir wollen die Wassergymnastik wieder in ruhigeres Fahrwasser bringen, wir denken aber auch, dass wir eine Obergrenze beibehalten werden, auch wenn wir neue Therapeuten finden sollten. Unser oberstes Ziel ist es, den sozialen Zusammenhalt in den Gruppen zu erhalten. Für unsere ehrenamtliche Arbeit wünsche ich mir mehr Verständnis der Mitglieder und Teilnehmenden. Allen sollte bewusst sein, dass wenn wir nichts mehr machen, keine Wassergymnastik oder ähnliche Angebote mehr stattfinden wird.

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Werden Sie bei Ihrer kommenden Mitgliederversammlung über die Probleme sprechen?

Peter Meyer: Ja, natürlich. Wir vom Sprecherrat hoffen, dass möglichst viele unserer Mitglieder am 27. Juni um 17  Uhr ins Tiengener FC Heim kommen und sich vielleicht schon einige bereit erklären, eine neue Gruppe, beispielsweise für Nordic Walking, zu leiten. Die zuständige Sozialkraft Frau Kathrin Ivenz von der Rheuma-Liga Baden-Württemberg wird bei der Versammlung dabei sein.