„Jeder Kirchenaustritt tut weh“, sagt Ulrich Sickinger, leitender Pfarrer der römisch-katholischen Kirchengemeinde Mittlerer Hochrhein – St. Verena. Seine Gemeinde zählt grob 12.000 Mitglieder, schätzt Sickinger. Etwa 240 Menschen verließen die Gemeinde allein im vergangenen Jahr. Der Befund auf evangelischer Seite fällt ähnlich, aber in kleinerem Maßstab aus. Wieland Bopp-Hartwig schätzt rund 50 Austritte in der etwa 2000 Mitglieder umfassenden Gemeinde Waldshut.

Den Mitgliederschwund macht er an mehreren Gründen fest: Zum einen seien Glaubensfragen aktuell wenig populär, zum anderen sind Menschen heute weniger bereit, sich kontinuierlich Dingen zu widmen. „Es gibt praktisch niemanden mehr, der jeden Sonntag in die Kirche kommt“, kommentiert Bopp-Hartwig und betont außerdem: „Es gibt so gut wie keine Eintritte.“
Sinkende Besucherzahlen führen Kirchen zusammen
Doch die sinkende Besucherzahl führt die Ökumene, den konfessionsübergreifenden Glauben, in Waldshut zusammen. „Kirche ist in unserer Gesellschaft nicht die Mehrheit, deshalb wollen wir als eine Kirche auftreten. Wichtig ist Christ oder nicht Christ“, führt

Andreas Neef, Pastor der Baptisten-Gemeinde Waldshut, fasst zusammen: „Wir haben gelernt, das Gemeinsame zu schätzen.“ In seiner kleinen Gemeinde von etwa 70 Personen verzeichnet er keinen Mitgliederschwund in der Art wie bei den beiden größten Kirchengemeinden. Das hänge auch damit zusammen, dass sie in der Regel erst Mitglieder im religionsmündigen Alter von etwa zwölf bis 13 Jahren aufnehmen, weshalb die Mitglieder sich eher binden.
Neue Formate für den Zeitgeist
Angebote an eine jüngere Zielgruppe hätten die Baptisten gerne, doch es fehle schlicht an jungen Leuten, gibt Neef an. Die katholische und die evangelische Gemeinschaft versuchen indes Lösungen zu finden. „Es ist eine visuelle Gesellschaft“, diagnostiziert Bopp-Hartwig. Dem tragen die Kirchengemeinden durch entsprechend visuellere Angebote Rechnung, auch um jüngere Generationen anzusprechen. Dazu gehören Gottesdienste, angereichert mit Projektionen, daneben werden auch mehr Familien- und Kindergottesdienste geboten.
Weitere Wege, den Bedürfnissen des Zeitgeistes entgegenzukommen, sind neue Formate, die sich seit der Corona-Zeit etablieren. Dazu gehören etwa Gottesdienste im Freien zum Sonnenauf- und untergang, ökumenische Liturgie im Waldshuter Freibad oder das nach englischem Vorbild entstanden Evensong-Angebot in Zusammenarbeit mit der Singschule Doremi, ein Gottesdienst geprägt von Chorgesang.
Zu Weihnachten kommen die Menschen
„Weil wir auch immer weniger Priester werden, müssen wir auch von den klassischen Eucharistiefeiern wegkommen“, schlussfolgert Sickinger. Zu Weihnachten wird Tradition allerdings groß geschrieben. Neben Familien- und Kindergottesdiensten werde gerade dann die klassische Liturgie geschätzt, sagt der katholische Pfarrer.

Im Vergleich zu den Sonntags-Gottesdiensten findet sich in den Kirchen die vier bis fünffache Anzahl Besucher ein. „Für viele ist es das eine Mal, dass sie in die Kirche gehen“, sagt Sickinger. Sonntags kommen etwa 50 bis 70 Personen. In den Familiengottesdienst an Heilig Abend sind es um die 300, schildert Bopp-Hartwig. Sickinger nickt bestätigend.
Anstrengende Vorbereitung
Die Vorbereitung fallen für die dreitägige Feier auch ungleich größer aus. „Es ist Anstrengung pur“, formuliert es Sickinger. „Gottesdienste, die von der normalen Form abweichen, sind immer aufwändiger“, fügt Bopp-Hartwig hinzu. In der Weihnachtszeit kommen beispielsweise Krippenspiele, Bühnen, Weihnachtsschmuck oder auch Liedblatt-Ausdrucke dazu. Das alles muss organisiert und vorbereitet werden.
Die Baptisten konzentrieren sich, auch mangels Personal, auf eine Christvesper an Heiligabend. Am Ende scheint die Weihnachtszeit immer noch ihre spirituelle Kraft zu entfalten. Unabhängig von Mitgliederschwund und Jugendangeboten führt es die Menschen nach wie vor zu den Riten der Gotteshäuser.