Die Stadterhebung Wehrs im Jahr 1950 ist für die Bevölkerung ein Freudenfest gewesen. Die Wehrer sahen darin eine Anerkennung für den beachtlichen Aufstieg des einstigen Industriedorfes zu einer wirtschaftsstarken und mit repräsentativen Bauten geschmückten Kleinstadt.

Zum Auftakt des Jubiläums „75 Jahre Stadterhebung“ hielt Reinhard Valenta zusammen mit Liping Li am Donnerstag einen Diavortrag in der Stadthalle. Nicht wenige Zuhörer erinnerten sich noch lebhaft an den großen Festumzug und machten sich einen Spaß daraus, die Identität der „Festjungfrauen“ zu entschleiern.

Reinhard Valenta und Liping Li halten einen Diavortrag über das Fest zur Stadterhebung.
Reinhard Valenta und Liping Li halten einen Diavortrag über das Fest zur Stadterhebung. | Bild: Michael Gottstein

Als Zell im Wiesental im Jahr 1810 zur Stadt erhoben worden war, reagierten die Wehrer schockiert, schließlich war Wehr damals etwa 50 Prozent größer als das nur etwa 1020 Einwohner zählende, aber über eine blühende Textilindustrie verfügende Zell. Vogt Balthasar Ritter startete eine Petition mit dem Ziel der Stadterhebung, doch das Vorhaben scheiterte. Immerhin erreichte man, dass sich in Wehr künftig auch solche Gewerbe niederlassen durften, die laut der strengen Gewerbeordnung nur in Städten erlaubt waren.

Repräsentativ und nicht mehr dörflich wirkt der Bahnhofsplatz von Wehr vor dem Weltkrieg.
Repräsentativ und nicht mehr dörflich wirkt der Bahnhofsplatz von Wehr vor dem Weltkrieg. | Bild: Stadtarchiv Wehr

Mit der Ansiedlung und dem Aufbau erfolgreicher Textilunternehmen stieg die wirtschaftliche Bedeutung Wehrs, und in der Belle Époque wurde Wehr auch städtebaulich aufgewertet: Der Bahnhof, die Bahnhofsrestauration, dreigeschossige Häuser rund um den Bahnhofsplatz, das repräsentative Hotel Wehrahof, das neue Schulgebäude sowie eine geschlossene Bebauung entlang der Hauptstraße wirkten nicht mehr dörflich, sondern vermittelten das Bild einer prosperierenden Kleinstadt. Durch die Verlagerung der Weltfirma Ciba von Berlin nach Wehr im Jahr 1943 stieg die wirtschaftliche Bedeutung der Gemeinde weiter.

Schließlich doch erfolgreich

Bürgermeister Eugen Schmidle nutzte die Gunst der Stunde und trat mit der Bitte um die Stadterhebung auf den Badischen Staatspräsidenten Leo Wohleb zu. In Freiburg, der Hauptstadt des Landes Baden, stieß der Vorschlag auf Ablehnung, befürchtete man doch, einen Präzedenzfall zu schaffen. Aber im Dezember 1949 setzte sich Leo Wohleb, nach erneutem Drängen Schmidles, in der Regierungsberatung durch. Die Wirtschaftskraft, das Erscheinungsbild und auch die Künstler der Stadt dürften den Ausschlag gegeben haben.

Die Stadterhebung wurde vom 8. bis zum 10. Juli 1950 mit größtem Aufwand und unter Beteiligung der meisten Bürger gefeiert. Prälat Arthur Allgeier hielt einen Vortrag über die Geschichte Wehrs, für den er Recherchen in den Archiven unternommen hatte – die Chronik Fridolin Jehles entstand erst viel später.

Bürgermeister Eugen Schmidle (links) und Staatspräsident Leo Wohleb beim Festakt.
Bürgermeister Eugen Schmidle (links) und Staatspräsident Leo Wohleb beim Festakt. | Bild: Stadtarchiv Wehr

Beim Empfang im Rathaus standen die „Festjungfern“ Spalier für die Ehrengäste. Auf den Gottesdienst und die Gefallenenehrung folgte der Staatsakt auf dem Talschulplatz. Vor einer riesigen Menschenmenge überreichte Leo Wohleb dem Bürgermeister die Urkunde und eine Porzellanschale mit den Wappen aller Städte im Landkreis Säckingen.

Das Festprogramm zur Stadterhebung.
Das Festprogramm zur Stadterhebung. | Bild: Stadtarchiv Wehr

Der zweite Höhepunkt war der historische Umzug, der die Stationen der Stadtgeschichte nachstellte. Vorneweg zogen der Herold und die Landsknechte, dann folgten rustikale Gestalten zur Station „Die Ersterwähnung Wehrs um 1092“, dann die Gruppe zum Thema „Adalgoz zu Werrach“, schließlich die „Nonnen“ des Klosters Klingental.

Staatspräsident Leo Wohleb und Bürgermeister Eugen Schmidle.
Staatspräsident Leo Wohleb und Bürgermeister Eugen Schmidle. | Bild: Stadtarchiv Wehr

Hoch zu Pferd ritt Rudolf von Habsburg, ihm folgte der Minnesänger Walther mit der Leier, und die Kunstschule Honigberger hatte eine Tafel nach dem Vorbild der Turnierszene aus der Manessischen Liederhandschrift gestaltet. Es folgte Hyrus von Schönau aus dem 14. Jahrhundert, anschließend stellten sich die Handwerker, Zünfte, Bauern und die Hotzentrachtengruppe vor, begleitet vom Musikverein, der sich nun Stadtmusik nennen durfte.

Beim Umzug nicht fehlen durften die Festjungfrauen, die zuvor schon Spalier gestanden hatten.
Beim Umzug nicht fehlen durften die Festjungfrauen, die zuvor schon Spalier gestanden hatten. | Bild: Stadtarchiv Wehr

Nicht fehlen durften die Festjungfrauen und die Wagen der Firmen Wehra und MBB. „Der Umzug war eine enorme Leistung“, so Reinhard Valenta. Noch stand man am Beginn des Wirtschaftswunders, und die meisten Kostüme wurden nicht gekauft, sondern selbst genäht. „Für die weitere Entwicklung Wehrs war die Stadterhebung ein wichtiger Impuls.“

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