Viele Schüler und Lehrer der Gemeinschaftsschule sind schockiert: Eine Mitschülerin, die 14-jährige Aleksandra Saciri, wurde Ende März mit ihren Eltern nach Belgrad (Serbien) abgeschoben. In einer Nacht und Nebel-Aktion. Das junge Mädchen konnte sich nicht einmal von den Klassenkameraden verabschieden. Der Klassenlehrer fand am Morgen eine um 5.20 Uhr gesendete Sprachnachricht vor, in der sie völlig aufgelöst mitteilt, dass sie nicht mehr in die Schule kommen wird, weil sie und ihre Familie abgeschoben werden.

An der Wehrer Gemeinschaftsschule hat der Vorfall tiefe Betroffenheit ausgelöst. Die Stimmung bei den Lehrern schwankt seitdem Vorfall zwischen Rat- und Hilflosigkeit und Empörung. Weil Schulkameraden der jungen Aleksandra sogar Augenzeugen der Abschiebung wurden, verbreitete sich die Nachricht in Windeseile und wurde sofort zum großen Thema in der Gemeinschaftsschule. "Ich habe noch nie so eine Stimmung in der Schulkasse gehabt. Es war völlig still, die Kinder waren traurig und sehr verunsichert", berichtet Benita Hasselblatt, Klassenlehrerin der Vorbereitungsklasse, in der Flüchtlinge den ersten Unterricht erhalten und so auf die Integration in den normalen Schulalltag vorbereitet werden. "Ein regulärer Unterricht war an diesem Tag überhaupt nicht möglich", beschreibt die Lehrerin die Stimmung.

Auch Aleksandra hatte die Vorbereitungsklasse von Anfang 2017 bis Mitte 2018 besucht. Seitdem war sie in der regulären Klasse 7a. Benita Hasselblatt beschreibt Aleksandra als ein sensibles und nicht sehr stabiles Mädchen. "Bevor Aleksandra an unsere Schule kam, hatte sie umzugsbedingt bereits mehrere andere Schulen besucht. Sie war sehr froh, jetzt an unserer Schule bleiben zu können und auch der Klassenwechsel von der Vorbereitungsklasse in die Regelklasse verlief den Umständen entsprechend ohne größere Probleme. Die Zusammenarbeit war anfangs nicht einfach, aber durch pädagogisches Engagement hat sich Aleksandra zu einer Schülerin entwickelt, die in die Klasse integriert war, die Freunde hatte und die dabei war, sich eine Perspektive zu erarbeiten." Diese Perspektive wurde nun jäh zerstört. "Aleksandra durfte an diesem Morgen noch nicht einmal ihre beste Freundin anrufen. Ein einziges Gepäckstück durfte die Familie packen, der Rest ihre Habseligkeiten musste hier bleiben", schildert die Lehrerin die dramatischen Umstände der Abschiebung. Nicht nur sie fühlt sich durch die Nacht-und-Nebel-Aktion an das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte erinnert.

24 Lehrer der Gemeinschaftsschule haben nun gemeinsam einen Brief an Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Innenminister Thomas Strobl und Kultusministerin Susanne Eisenmann geschrieben, um gegen die Art und Weise der Abschiebung protestieren. "Uns als Lehrerinnen und Lehrern ging das nahe, hatte sich doch eine enge Beziehung entwickelt. Unvorbereitet und selbst betroffen mussten wir Trauerarbeit leisten. Und es waren Fragen zu beantworten, die auch für uns nicht beantwortbar waren und uns selbst erschüttert und frustriert zurückgelassen haben", schreiben die Lehrer. Von den Politikern wollen sie Antworten auf die Frage, wie sie als Pädagogen mit den dramatischen Erlebnissen der Schüler umgehen sollen: "Wie sollen wir gegenüber Siebtklässlern rechtfertigen, dass man ein 14-jähriges Mädchen mitten in der Nacht wie eine Verbrecherin von der Polizei abholen lässt? Warum gibt es keine Möglichkeit für ein 14-jähriges Mädchen, sich von ihren wichtigsten Bezugspersonen und ihren engen Freunden angemessen zu verabschieden? Wie sollen wir anderen Schülerinnen und Schülern mit prekärem Aufenthaltsstatus erklären, warum es sich lohnt, Deutsch zu lernen, sich in das Schulleben zu integrieren, sich anzustrengen, wenn sie erleben, wie schnell Perspektiven und Hoffnungen zerschlagen werden können?", fragen die Lehrer. "Man bemüht sich über Jahre um eine Schülerin, baut eine Beziehung auf, vermittelt erfolgreich die Bedeutung von lntegration, Spracherwerb und Arbeitseinsatz; versucht ein Umfeld zu schaffen, in dem sie Sicherheit erfahren und trotz traumatisierender Erfahrungen Zutrauen zu den eigenen Fähigkeiten und eine Lebensperspektive entwickeln kann. Und all das wird schon alleine durch die Form des Abschiebevorgangs konterkariert, nicht nur das, es werden jahrelange Bemühungen irreparabel zerstört."

Es gehe den Lehrern in ihrem Brief an die Politiker nicht um die Rechtslage oder den bisherigen Aufenthaltstatus der Familie, erklärt Benita Hasselblatt, sondern um die unmenschliche Vorgehensweise der ausführenden Behörden. Dass der Familie die Abschiebung droht, sei durchaus allen bewusst gewesen. Der Asylantrag, den die Roma-Familie aus gesundheitlichen Gründen gestellt hatte, war abgelehnt worden, auch ein Widerspruch blieb erfolglos. Die Kritik der Lehrer richtet sich gegen das Vorgehen bei der Durchsetzung der Abschiebung, die nach ihrer Kenntnis nicht angekündigt war. "Ein solches Verfahren widerspricht unserem Empfinden nach elementaren Grundrechten und wir wissen nicht, wie wir den Ablauf des Verfahrens gegenüber Schülern und Eltern rechtfertigen sollen. Wir sind zudem massiv verunsichert, da wir von der Schülerin am Abend eine Nachricht aus Belgrad bekommen haben, in der sie davon berichtet, dass sie dort mittellos und ohne Unterkunft seien." Die Familie lebe nach Information der Lehrer nun offensichtlich außerhalb von Belgrad in einem Zelt. Von den deutschen Behörden habe sie keinerlei Mittel überlassen bekommen. "Wir bitten um Auskunft über die Lebenssituation, in der sich unsere Schülerin befindet", schreiben sie an den Ministerpräsidenten und die beiden Minister. Eine Antwort steht noch aus.

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