Das Foto hütet Selma Dede wie ihren Augapfel. Es ist die einzige Aufnahme, die sie von ihrem Urgroßvater besitzt. Zu sehen ist ein stattlicher Mann mit der Amtskette des Bürgermeisters. Selma Dedes Urgroßvater war Johann Adam Trefzger. Dieser herausragende Kommunalpolitiker lenkte von 1885 bis 1909 die Geschicke der Stadt Wehr.
Trefzgers Verdienste sind unsterblich, weil noch heute im Stadtbild präsent. 1893 sorgte er für den Erwerb des Schlosses der Herren von Schönau durch die Gemeinde – mitsamt dem weitläufigen Areal bis zur Bahnlinie und zum Ludingarten. Der Kaufpreis von 108.000 Mark war gewaltig.
1895 wurde im unteren Stock die Gemeindeverwaltung mit Archiv und Sparkasse eingerichtet, während man die oberen Stockwerke zur Schuldentilgung vermietete. Der Rest des Geländes wurde als Baugrund vermarktet. Hier entstand in Bahnhofsnähe ein neues Viertel mit stolzen Bürgerhäusern. Trefzger brachte das Industrie- und Bauerndorf Wehr auf den Weg zur Kleinstadt.
Trefzger klagt gegen Fabrikanten
Die ebenfalls erworbene Alte Mühle (heute Altes Schloss) mit dem Ludingarten wurde 1901 vom Fabrikanten Carl Lenz gekauft. Er hatte den Bau einer Zellstoff-Fabrik in Aussicht gestellt. Doch als sich zeigte, dass er nur eine Holzschleiferei mit zwei oder drei Arbeitern plante, gab Trefzger dem Papierfabrikanten Kontra und strengte einen Prozess an. Die Stadt zog auf Anraten ihres Anwalts die Klage zurück. Es gab keine rechtliche Festlegung einer mit dem Begriff „Fabrik“ verbundenen Anzahl von Arbeitsplätzen.
Die beiden Vorgänger haben es wild getrieben
Weitere Verdienste erwarb sich Trefzger durch die Reorganisation der Verwaltung. 1882 war Bürgermeister Franz Ehinger wegen chaotischer Amtsführung entlassen worden. Sein Nachfolger Johann Baptist Trefzger wurde 1884 wegen unsittlichen Verhaltens vom Innenministerium aus dem Amt gejagt.
Daraufhin wurde Johann Adam Trefzger Bürgermeister und sorgte seit 1885 für Ordnung im Rathaus. Als langjähriger Gemeinderechner war er ein versierter Verwaltungsexperte. Und er versöhnte als begeisterter Blasmusiker 1906 die verfeindeten Fraktionen des alten Musikvereins durch die Gründung der „Feuerwehr-Harmonie-Musik“.
Wer war Johann Adam Trefzger?
Sein Geburtshaus wurde 1848 im Enkendorf erbaut – „zweistöckig mit Stall und Scheune, komplett von Stein und alles unter einem Ziegeldach“. In jenem Revolutionsjahr kam Johann Adam zur Welt. Sein Vater Anton starb 1858. Im Krieg 1870/71 gegen Frankreich diente Trefzger als Freiwilliger im 1. Leibgrenadier Regiment und erhielt danach die Stelle des Gemeinderechners. Er heiratete 1877 die Tochter des Schlossermeisters Alois Eschbach, die 1883 starb. 1886 ging Trefzger mit Elise Strübe eine zweite Ehe ein. 1887 kam Rudolph, zwei Jahre später Emma zur Welt.
Der Bürgermeister war weiterhin Landwirt
Trefzgers Lebensstandard spiegelt sich im Fahrnisverzeichnisbuch der Gemeinde wider. Heute würden wir von einer Hausratsversicherung sprechen. Sie umfasste alle beweglichen Gegenstände bis hin zum Vieh. 1887 betrug die Versicherungssumme 2654 Mark. So wurden für Möbel und Hausgeräte 287 Mark, für Bettzeug und Kleidung 880 Mark, für Spiegel, Uhren und Bilder 62 Mark und für Bücher 40 Mark veranschlagt. Den Löwenanteil machten Mundvorräte, landwirtschaftliche Geräte, Getreide, Heu, zwei Kühe und ein Schwein mit 1283 Mark aus. Der Bürgermeister war weiterhin als Landwirt tätig.
1893 war die Versicherungssumme bereits auf 5800 Mark gestiegen. Allein der Wert von Bettzeug und Kleidung betrug 1353 Mark, Spiegel und Uhren machten 133 Mark aus, das Mobiliar stieg auf 496 Mark. Für den landwirtschaftlichen Bereich wurden 3652 Mark notiert, für das Vieh 912 Mark. Die Tendenz ist klar: Trefzgers Wohlstand stieg durch das Amt des Bürgermeisters beträchtlich. Er investierte trotzdem in seine Landwirtschaft. Am Ende der Amtszeit betrug die Versicherungssumme 6700 Mark.
1909 verliert Trefzger die Wahl
1901 verdiente Trefzger als Bürgermeister 2000 Mark jährlich. Davon hätte er auch ohne Landwirtschaft leben können. Beispielsweise kam ein Webmeister in der MBB auf circa 1200 Mark, ein einfacher Weber auf circa 800 Mark. Der MBB-Buchhalter Adolph Kirn bezog ein Jahresgehalt von 1500 Mark und der Designer Bernhard Meurer bei Neflin & Rupp war mit 4000 Mark ein Spitzenverdiener.
Aber Trefzger bekleidete ein Wahlamt und musste sich absichern. Das war klug. 1909 verlor er die Wahl gegen den Müller Karl Albietz. Der Bürgermeister wurde wieder zum hauptberuflichen Landwirt. Johann Adam Trefzger starb am 8. Januar 1916 im Alter von 67 Jahren in seinem Haus in der Enkendorfstraße Nr. 74 (alte Nummerierung, heute 37). Ohne ihn wäre das Neue Schloss nie und nimmer zum städtebaulichen Juwel und repräsentativen Verwaltungszentrum Wehrs geworden.