
Selbst Jörn Brumme hatte ihn also schon. Diesen Moment der Unsicherheit. Wenn das Herz plötzlich bis in die Ohren pocht und der Atem schwerer geht. In den vergangenen 90 Minuten haben wir den Wald bei Aach, Vogelgezwitscher und Tageslicht hinter uns gelassen. Leiter um Leiter, Stufe um Stufe sind Jörn und seine Kumpel Lothar Dietrich und Rudi Martin mit mir in die Tiefe gestiegen.
Und jetzt, mehr als 80 Meter unter der Erde, verrät mir der bärenhafte Mann mit dem rotbraunen Bart, jener Jörn, der unerschrocken vorneweg gekraxelt ist, dass auch er sich schon so gefühlt hat: eingeschlossen.
"Das war aber ein Stück weiter – unter Wasser", sagt der stellvertretende Vereinsvorsitzende der Freunde der Aachhöhle. Mit schlammverkrustetem Handschuh deutet er in Richtung des Dolinensees, dessen Einstieg sich im schummrigen Licht unserer Stirnlampen ausmachen lässt. "Das ist dann doch nicht dasselbe", denke ich bei mir. Denn im Gegensatz zu der Rundunkreporterin, von der mir meine drei Begleiter eben noch erzählt haben, war es in Jörns Fall nicht die Enge und Dunkelheit des Höhlenschachts, die dafür sorgten, dass er sich mulmig fühlte. Schuld war, was er als Stickstoffnarkose beschreibt. "Taucher sagen Tiefenrausch dazu", erklärt er. "Ab 30 Meter Wassertiefe kann es passieren, dass du ein bisschen blöd in der Birne wirst."
Die "Schwarze Donau"
Jörn wirkt vollkommen entspannt, während er das erzählt. Aber sich "ein bisschen blöd in der Birne" zu fühlen, das kann am Dolinensee fatale Folgen haben. Wer sich nach den Strapazen des Abstiegs in 83 Metern Tiefe tatsächlich Bleigewichte und Druckluft-Flaschen umschnallt, um sich entlang einer Führungsleine ins schlammige Wasser vorzutasten, der kommt nicht so schnell wieder heraus. Die "Schwarze Donau", jenes unterirdische Gewässer, das hier beginnend in Zusammenhang mit der Donauversickerung im zwölf Kilometer entfernten Immendingen steht, wird von einer Gesteinsdecke eingeschlossen. Und aus diesem stockfinsteren Unterwassergang kann man nicht einfach auftauchen, wenn einem gerade danach ist.

Das schoss auch Jörn durch den Kopf, als ihm auf dem Rückweg seines Tauchgangs bewusst wurde, dass er noch gute 600 Meter von dem Punkt entfernt war, an dem wir gerade stehen. "Panik ist zu viel gesagt – ich würde es als ungutes Gefühl beschreiben", sagt er. "Und wie bist du dieses Gefühl losgeworden?" Jörn überlegt: "Bewusst ruhig denken. Ich wusste, dass es keinen Grund gibt, nervös zu werden. Ich hatte dreimal so viel Atemluft dabei als eigentlich nötig gewesen wäre." Mit diesem Wissen sei es ihm gelungen, sein Unwohlsein allmählich unter Kontrolle zu bringen. "So etwas ist mir in all den Jahren aber auch nur einmal passiert", fügt er hinzu.
Meine Gummistiefel sind nur wenige Zentimeter vom Wasser entfernt, trotzdem fällt es mir schwer, vorzustellen, dass Jörn von hier aus 35 Meter tief und 750 Meter weit vorgedrungen ist. Noch schwerer vorstellbar: Dass das, was nicht viel größer als ein kleiner Teich oder eine größere Pfütze aussieht, tatsächlich Teil des zweitgrößten Flusses Europas ist. Am allerschwersten vorstellbar ist für mich aber, welche Gefahren meine drei Gefährten und ihre Vereinsfreunde schon seit Jahrzehnten auf sich nehmen, um den in der Dunkelheit verborgenen Geheimnissen des Donau-Aach-Systems auf die Spur zu kommen.
Leichter kann ich mich in die bereits erwähnte Reporterin hineinversetzen. Rudi hat mir erzählt, dass sie schon nach wenigen Leitermetern gerufen habe, dass sie "höhlenkrank" sei, um alsbald im Sprinttempo zum Ausgang zu klettern. "Immerhin war sie schnell wieder draußen", denke ich mir. Mich trennen im Moment eine halbe Stunde Aufstieg und unzählige unregelmäßig verlaufende Metallstufen von der Helligkeit.
Schlafende Fledermäuse und ein Höhlenfisch
Jörn reißt mich aus den Gedanken. "Eine Groppe", ruft er und seine Stimme hallt von den feuchten Höhlenwänden zurück. Tatsächlich: Ein 15 Zentimeter langer Fisch zuckelt wenige Meter entfernt durchs trübe Wasser.
"Kannst du ein Foto machen?", fragt Rudi. Das Gleiche hat mich der Mann, dessen Frisur und Bart eine Ähnlichkeit zu gewissen Tolkien-Charakteren nicht verleugnen können, schon vor ein paar Minuten gefragt. Nach den ersten 30 Metern der Doline – wie die Hobbyforscher den trichterartigen Schacht nennen – hatten wir eine Gruppe schlafender Fledermäuse passiert, die sich von unserem Besuch nicht sonderlich beeindruckt zeigten.

Das war in der Grauen Halle – ein Ort, der für Rudi besondere Bedeutung hat. Kein Wunder: Schließlich hat er ihn entdeckt.
Eine Halle unter der Erde
Seit Ende der Achtziger bereits graben sich Hobbyforscher vom Aacher Wald aus in die Tiefe vor. Ihr Werkzeug: Hämmer, Eimer und Hände. Die Vermutung, dass die bei Immendingen versickernde "Schwarze Donau" mit dem Aachtopf verbunden ist, veranlasste die Männer dazu, die Hohlräume unter dem Wald zu inspizieren. Mittlerweile hat man ihre These anhand von Färbeversuchen bestätigen können. In den ersten Jahren des Projekts fehlte den Freunden der Aachhöhle allerdings noch ein vergleichbares Erfolgserlebnis.
Zwar war es gelungen, den Dolinenschacht mit Beton auszukleiden, Holzrahmen, Leiterstufen und sogar ein Gewindesystem einzubauen, mit dem man überschüssiges Material ins Freie transportieren konnte – aber noch hatten die Hobbyforscher keine richtige Entdeckung gemacht. Das ändert sich, als sich Rudi eines Morgens im September 1995 in 30 Metern Tiefe in eine Senke vorrobbte, an deren Ende ihm dichter Nebel entgegen waberte. Dahinter kam ein 30 Meter langer, 2.50 Meter hoher natürlicher Hohlraum zum Vorschein, den Rudi nach der Farbe des Gesteins die Graue Halle nannte.

Heute findet man hier einen Eingangsbereich, der mit seinem Holzrahmen auch gut in ein Bergwerk passen würde, und dahinter allerlei Werkzeuge, eine Stehlampe, ein altes schwarzes Telefon und einen Betonmischer. Als wir die Maschine vor einigen Minuten passiert haben, ließ es sich Lothar nicht nehmen, das Gerät anzuwerfen.
Wo Jörn der Extremsportler und Rudi der Ausdauer-Buddler ist, könnte man den drahtigen Mann als den Techniker des Dreier-Gespanns beschreiben. Im Gegensatz zu seinen beiden Vereinskameraden, die in Radolfzell wohnen, lebt der Vorsitzende in Singen. Wenn Lothar sich nicht gerade unter Tage die Gummihandschuhe schmutzig macht, arbeitet er bei der Telekom. Ein Betriebsausflug war es auch, der ihn 1987 zum ersten Mal unter die Erde führte. Seitdem ist Lothar regelmäßig zurückgekehrt. Was alle drei vereint, ist ihr Forscherdrang. Jörn drückt es so aus: "In einer Höhle weißt du nie, was hinter der nächsten Ecke auf dich wartet."
Zurück ins Tageslicht
Nachdem Rudi und Lothar den Tauchereinstieg des Dolinensees mithilfe eines Besens und einiger Eimer Wasser vom gröbsten Schlamm befreit haben, treten wir den Rückweg an. Ich darf als Zweiter die bis zu 16 Meter langen Leitern besteigen. Immer wieder klatschen Schlammspritzer von den Sprossen über mir auf meinen Helm. Schnell wird klar: Der Aufstieg ist kräfteraubender, als es der Weg nach unten war. Aber auch, wenn mein Atem schwerer geht, bleibe ich von der "Höhlenkrankheit" zum Glück verschont. Als endlich die letzte Stufe überwunden ist und wir wieder ins grelle Tageslicht treten, atme ich hörbar aus. Rudi lächelt: "Man ist umso dankbarer für all das hier, wenn man wieder draußen ist, oder?"

Die Serie
"Abenteuer Alltag", das mag sich widersprechen. Aber Tag für Tag wagen sich Menschen aus unserer Region in spannendes Terrain vor. In der ersten Folge unserer Serie begleiten wir die Freunde der Aachhöhle. Den Dolinenschacht im Wald bei Aach geht es hinab zur "Schwarzen Donau", jenem unterirdischen Gewässer, das in Verbindung mit der Donauversickerung bei Immendingen steht. Für Rudi, Jörn und Lothar ist der mehr als 80 Meter lange Abstieg Alltag, für unseren Redakteur allerdings fühlt er sich an wie ein echtes Abenteuer.