Eine Polizeistreife steht vor dem Eingang des Jüdischen Museums. Gailingen ist weit entfernt von den Berliner Hauptstadtdemonstrationen und dem neuerlich aufkeimenden Antisemitismus. Der Angriffskrieg der Hamas in Gaza und die brutale Verteidigungspolitik Israels, die Fremdenfeindlichkeit im rechten politischen Spektrums in Deutschland spielten an diesem Abend keine Rolle. Und dennoch stand diese Veranstaltung unter erhöhter Sicherheit. Denn es ging um die Geschichte der Juden in Randegg.

So viele Besucher hat das Jüdische Museum im Bürgerhaus Gailingen nur selten. Weil der große Saal für den Besucheransturm zu klein wurde, musste noch eine Standleitung in den Gebetsraum des Museums geschaltet werden. Kein Wunder, hatten doch der Gottmadinger Förderkreis für Kultur und Heimatgeschichte (FöKuHei) und die Heimatvereinigung Buch-Hemishofen-Ramsen gemeinsam zur Film-Premiere eingeladen.

Gegen Vorurteile und für Verständnis

So strömten also die Gäste von beiden Seiten der Grenze in die Hochrheingemeinde, um am Beispiel von Randegg ein Stück jüdischer Geschichte aus der Perspektive des Laienhistorikers Dieter Fleischmann zu erfahren. Ihm geht es um die Annäherung an Tatsachen, darum, Vorurteile abzubauen und Verständnis zu wecken für eine über die Jahrtausende diffamierte und verfolgte Glaubensgemeinschaft.

Dass Fleischmann trotz eines schier unerschöpflichen Wissens und seiner unerbittlichen Nachforschungen ebenfalls an Grenzen stößt, ist eines der vielen sympathischen Elemente in Hansueli Holzers Dokumentarfilm. Denn dort räumt der Seniorchef des Getränkeunternehmens Randegger Ottilienquelle ein, dass ihm die Strenge des jüdischen Glaubens und zahlreiche Rituale auch nach jahrzehntelangen Studien noch immer Rätsel aufgeben.

Premiere in zwei Veranstaltungsräumen

In den beiden Vortragsräumen herrschte eine gespannte Premierenstimmung. Bernd Gassner vom FöKuHei und der Vorsitzende des Vereins Jüdisches Museum in Gailingen, Heinz Brennenstuhl, zeigten sich überwältigt von dem großen Interesse an dem Thema.

Zwei, die sich gefunden haben: Seniorchef der Randegger Ottilienquelle und Heimatforscher Dieter Fleischmann (links) und der Ramsener ...
Zwei, die sich gefunden haben: Seniorchef der Randegger Ottilienquelle und Heimatforscher Dieter Fleischmann (links) und der Ramsener Dokumentarfilmer Hansueli Holzer. Im Hintergrund das Standbild des neuen Films „Juden in Randegg“. | Bild: Trautmann, Gudrun

Wie es zu dem Film kam, erzählt Hansueli Holzer zu Beginn. „Ich bin zufällig dazugestoßen, wie Dieter Fleischmann eine Besuchergruppe durch Randegg führte. Er sprach so flüssig und interessant, dass ich total fasziniert war“, so der Ramsener Dokumentarfilmer. „Für mich war klar, dass ich das unbedingt festhalten musste.“ Dann habe er ihm ein Knopfmikrofon ans Hemd geheftet und sei ihm einfach mit der Kamera gefolgt.

Geduldig lässt er ihn im Film erzählen. Schier endlos hält er die Linse auf den Heimatforscher. Die Besuchergruppe wird nur andeutungsweise eingeblendet. Es wird deutlich, dass der Erzähler die Aufmerksamkeit der Zuhörer mühelos halten kann.

Zeitreise durch Jahrtausende jüdischer Geschichte

Es ist ein schlichter Film mit sparsam eingeblendeten Bildern und historischen Dokumenten. Die Konzentration ist ganz auf Dieter Fleischmann gerichtet. Vor 27 Jahren führte dieser zum ersten Mal Besucher durch das jüdische Randegg. Und dazu tauchte er vorher ganz tief in die Geschichte der Juden ein, begann bei den vorchristlichen Anfängen, streifte das Römische Reich, in dessen Zuge die ersten Juden nach Deutschland kamen und blieben.

Er erklärte die Ursprünge der jiddischen Sprache, die sich aus dem Mittelhochdeutsch entwickelte, und schilderte das einfache Leben und die strengen Rituale der vielfach verfolgten Glaubensgemeinschaft. „613 Ge- und Verbote haben sie zu beachten“, erzählt Fleischmann in dem Film und räumt ein: „Das jüdische Leben ist äußerst kompliziert.“

Und dass Juden im Reichtum schwelgen, sei ein weitverbreitetes Vorurteil. Wegen der vielen Verbote hätten sich einige auf den Geldverleih spezialisieren müssen und seien reich geworden. „Tatsächlich gibt es aber furchtbar viele arme Juden“, ergänzte Fleischmann nach der Premiere.

Bei der ergreifenden Gedenkstunde im Jahr 2008 zur Erinnerung an die Zerstörung der Randegger Synagoge vor 70 Jahren sprach Dieter ...
Bei der ergreifenden Gedenkstunde im Jahr 2008 zur Erinnerung an die Zerstörung der Randegger Synagoge vor 70 Jahren sprach Dieter Fleischmann. | Bild: SK-Archiv

In Randegg und Gailingen waren die Juden zeitweise wohlgelitten. In Krisenzeiten wie der Pest wurden sie schnell zu Sündenböcken und emigrierten in die Schweiz oder andere Teile der Welt. Dieter Fleischmann hielt Kontakt zu Nachfahren. Er machte die Familien ausfindig, studierte ihre Schicksale durch die Naziverfolgung und sorgte dafür, dass ihre Spuren in Randegg sichtbar bleiben. Zum Beispiel am Platz der ehemaligen Synagoge.

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Hansueli Holzer hat Fleischmann im Dokumentarfilm großartig portraitiert. Es ist ein Film über einen unbeirrbaren Heimatforscher, der sein Wissen über jüdisches Leben einfühlsam vermittelt und Rätselhaftes in ein schalkhaftes Lächeln verpackt.

Entstanden ist ein Film, der als Dokument jüdischen Lebens in namhaften Museen Einzug halten könnte. Für den Filmemacher und den Hauptdarsteller gab es vom Publikum viel Applaus. Symbolisch überreichten die Präsidenten des FöKuHei und der Heimatvereinigung, Bernd Gassner und Arthur Meister, gebackene Oscars.