Die Schaffhauser Polizei hatte 2020 mit einer Schaffhauserin ungewöhnlich intensiven Kontakt: Von März bis April 2020 bat die Frau die Einsatzkräfte über den Polizei-Notruf 117 ganze 604 Mal, zu ihr nach Hause zu kommen, da ein Mann sie terrorisiere. Von Dezember 2020 bis April 2021 alarmierte sie die Polizei erneut 13 Mal, immer mit derselben Begründung. Die Polizisten eilten der Frau jeweils an ihrem Wohnort zu Hilfe, doch es war immer grundlos. Entweder ließ sie die Polizisten gar nicht in ihre Wohnung, oder die Einsatzkräfte konnten keinen terrorisierenden Mann in der Wohnung feststellen. Schließlich erhob die Polizei gegen die mittlerweile Anfang 40-jährige Frau Strafanzeige wegen mehrfachen falschen Alarms.

Am Donnerstag stand die Beschuldigte wegen ihrer total 617 Alarm-Anrufe vor dem Kantonsgericht. „Durch ihr Verhalten hat die Beschuldigte die polizeilichen Einsatzkräfte für mehrere Stunden grundlos alarmiert respektive in Anspruch genommen, wobei sie wusste, dass ihre Anrufe beim Notruf der Schaffhauser Polizei einen Polizeieinsatz auslösen würden. Gleichzeitig wusste sie, dass für die jeweiligen Polizeieinsätze kein Grund bestand“, heißt es in der Anklageschrift der Staatsanwältin.

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Beschuldigte: „Kein falscher Alarm“

„Das stimmt nicht, dass kein Grund bestand“, beteuerte die Frau in der Befragung durch Gerichtspräsidentin Andrea Berger. „Der Mann hat mich terrorisiert, und ich bin ihm körperlich und mental unterlegen.“ Er müsse mit einem Schlüssel in die Wohnung gekommen sein. Die Polizei hätte ihr Haus mit einer Videokamera überwachen können. Weshalb sie denn in einer Nacht im April 2020 245 Mal auf den Notruf 117 angerufen habe, wollte die Präsidentin wissen. „Weil die Polizei bei meinen Anrufen das Telefon immer wieder aufgelegt hat.“

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Zudem kritisierte die Frau: „Ich bin zwei Jahre lang in der Klinik Breitenau zwangsmediziniert worden. Man dichtet mir eine Schizophrenie an.“ In der Tat ist eine chronische paranoide Schizophrenie, die ein Gutachter der Frau attestiert, die Ursache für ihre unzähligen Notfall-Anrufe. Aus „akuter wahnhafter Panik“ habe sie bei der Polizei um Hilfe gebeten, heißt es in diesem Gutachten.

Freiheitsstrafe oder Freispruch?

Staatsanwältin Michèle Schaufelberger beantragte, die Beschuldigte wegen mehrfachen falschen Alarms schuldig zu sprechen und mit 40 Tagen Freiheitsstrafe unbedingt zu bestrafen, den Strafvollzug aber zugunsten einer stationären therapeutischen Maßnahme aufzuschieben. Verteidiger Dieter Schilling räumte ein, der Sachverhalt des mehrfachen falschen Alarms sei zwar erstellt. Doch seine Mandantin leide laut dem psychiatrischen Gutachten an einer schweren psychischen Störung, einer chronischen paranoiden Schizophrenie und habe die Notfall-Anrufe in einem Zustand der Schuldunfähigkeit begangen. Die Frau sei daher freizusprechen. Zudem sei auf eine stationäre Therapie zu verzichten. Eine zwangsweise Behandlung, die die Beschuldigte vehement ablehne und die bereits 2023 einmal aus gesundheitlichen Gründen habe abgebrochen werden müssen, bringe wenig.

Kantonsgericht erklärt Freispruch

Das Kantonsgericht folgte dem Verteidiger. Der Sachverhalt des falschen Alarms sei zwar grundsätzlich erstellt. Die Frau habe die Polizei 617 Mal grundlos angerufen. Doch aufgrund ihrer chronisch paranoiden Schizophrenie sei sie „zur Zeit der Anrufe schuldunfähig gewesen“ und werde daher freigesprochen. Ihre Einsichtsfähigkeit ins Unrecht sei, so das psychiatrische Gutachten, „stark eingeschränkt gewesen“.

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Eine stationäre therapeutische Maßnahme wäre nach Überzeugung des Gerichts nicht verhältnismäßig. Seit der letzten Alarmierung der Polizei im April 2021 seien immerhin vier Jahre vergangen, und es sei nichts mehr passiert. Dazu komme, dass die Beschuldigte zu einer stationären Maßnahme nicht bereit sei.

Christa Edlin ist Reporterin unserer Partnerzeitung, den ‚Schaffhauser Nachrichten‘.