„Sie müssen zurück, es gibt keine Ausnahmen“, sagte ein deutscher Polizist am Donnerstag gegen 7 Uhr früh zu Mehmet Alim wenige Kilometer vor der Schweizer Grenze. Um diese Zeit sperrt der Radolfzeller für gewöhnlich seinen Imbiss „Zum Grenzstein“ am Zoll in Thayngen-Bietingen auf. „Zuerst war ich verärgert, aber wenn die Polizei muss, dann muss sie“, sagt er. Wie viele andere Südbadener, Schweizer und Lastwagen-Fahrer aus aller Herren Länder musste er sich an diesem Chaos-Tag bis in die Mittagsstunden in Geduld üben, bis der Grenzübergang freigegeben wurde und der Verkehr wieder rollte.

Ausgelöst hatten die langen Wartezeiten aufmerksame Zöllner, die bei einer Kontrolle in der Nacht auf Donnerstag ein Fahrzeug mit einem gefährlichen Gegenstand entdeckten, welches von Deutschland in die Schweiz einreisen wollte. Daraufhin wurde der Grenzübergang auf beiden Seiten gesperrt. Der Bereich sei auf deutscher und schweizerischer Seite vorsorglich großflächig geräumt worden. Allein auf Schweizer Gebiet hat die Polizei etwa 300 übernachtende Lastwagenfahrer geweckt, damit sie ihre Schwerfahrzeuge umparken.
Einsatz begann gegen Mitternacht
Auch deutsche Fahrer, Anwohner und Pendler schilderten in sozialen Netzwerken Einschränkungen, als sie beispielsweise am Morgen zur Arbeit fahren wollten. Der Grenzübergang war seit den frühen Morgenstunden gesperrt, laut Christian Winter vom Verkehrsdienst Mühlhausen-Ehingen begann der Einsatz um 0.20 Uhr. Während der Verkehr für Autofahrer wenig beeinträchtigt war, gab es für Lastwagen kein Durchkommen. Wer den Zoll Bietingen/Thayngen anfahren wollte, wurde an die Zollstellen in Bargen, Ramsen und Kreuzlingen verwiesen.

Laut Winter hatte sich zwischenzeitlich ein etwa fünf Kilometer langer Stau gebildet, in dem hunderte Lastwagen darauf warteten, dass es weiter ging. Selbst nach der Öffnung der Grenze und Aufhebung der Sperrung würde es sicher noch mindestens eine Stunde dauern, bis der Verkehr abgeflossen sei. Tatsächlich wurde der Verkehr spätestens 12 Uhr wieder freigegeben, wie Polizeipressesprecher Uwe Vincon bestätigte. Gegen 13 Uhr reichte der Rückstau vom Grenzübergang immer noch mehr als zwei Kilometer bis zum Ende der A81 zurück, wie der SÜDKURIER beobachtete.
Schweizer erklären: Kein terroristisches Motiv
Eine Vertreterin der zuständigen Bundesanwaltschaft Schweiz erklärte auf SÜDKURIER-Nachfrage, dass die Behörde mit Kantonspolizei und das Bundesamt für Polizei (fedpol) ermittelt. Grund sei, dass es sich bei einer verdächtigen Ladung mutmaßlich um Sprengstoff handle. Es habe keine Detonation sowie keine verletzten Personen oder Sachschäden gegeben. „Die Abklärungen sind am Laufen, gemäß jetzigem Stand der Ermittlungen liegt kein terroristisches Motiv vor.“

Laut dem Schweizer Journalisten Beat Kälin, der wie der SÜDKURIER vor Ort war, soll das Sprengstoffteam gegen 10.20 Uhr seinen Einsatz beendet haben und mit dem mutmaßlichen Sprengstoff auf einem Anhänger weggefahren sein. Eine offizielle Bestätigung dafür gab es vorerst noch nicht. Aufnahmen zeigen jedoch, dass ein ferngesteuerter Roboter am Grenzübergang im Einsatz war. Der Hintergrund des möglichen Sprengstoff-Transports ist noch unklar.
Einschränkungen im gesamten Bereich
Betroffene vor Ort schilderten teils chaotische Zustände: „Es herrschte ein großes Chaos. Es war erstmal ein äußerst schwieriges Unterfangen für unsere Beschäftigten, an den Arbeitsplatz zu gelangen“, erklärte Arne Vigh, Geschäftsführer der Agentur Zollprofis mit Zweigniederlassung Thayngen. Viele Fahrer von Autos und Laster seien von der Umleitung völlig überfordert gewesen. „Von allen Seiten stauten sich die Fahrzeuge. Um Engpässe zu beseitigen, mussten wir etliche auf unserem Hof wartende Laster wieder ohne Verzollung weiterleiten“, schilderte Vigh.

Ähnliches schildern Mitarbeiter der Zollas Verzollungen GmbH. Nachdem Timo Maier beispielsweise nicht an seinen Arbeitsplatz in Bietingen gelangen konnte, fuhr er an den Zollas-Standort in Geisingen. Dort bemühte man sich, Lastwagenfahrer schon vor der Sperrung in Richtung Bargen, Ramsen oder Kreuzlingen umzuleiten, wie Maiers Kollege Thomas Schmidt erklärte: „Wir können das von Geisingen aus abfertigen, dann fahren die Betroffenen einfach an einen anderen Zoll.“ Aber: Wer an der Grenze stehe, musste erstmal dort warten. Und das für mehrere Stunden. Die Kosten für solche Standzeiten seien hoch, so Schmidt. „Da kommen ganz schöne Kosten zusammen und die kann man nicht einmal abrechnen, weil es sich um höhere Gewalt handelt.“
Ein zusätzliches Problem könnten Lenkzeiten werden, wie auch Polizist Christian Winter bestätigte. Fahrer müssten auch Tagesruhezeiten einhalten. „Wir haben Dienstag bis Donnerstag jeden Tag Stau auf der Strecke, aber nicht in dem Ausmaß.“ Der polnische Lkw-Fahrer Jarek wartete beispielsweise seit 6 Uhr früh auf die Abfertigung seines Transports am Grenzübergang Thayngen-Bietingen und gegen Mittag war immer noch kein Ende in Sicht.
Auch Tankstellen-Kunden brauchen Geduld
An der Bietinger Tankstelle kurz vor der schweizerischen Grenze ging ebenfalls für Stunden so gut wie nichts mehr. „Die Fahrzeuge stauen sich von allen Seiten und blockieren die Zufahrten zur Tankstelle. Das Geschäft steht deshalb derzeit still“, sagte Triantafillos Triantafelidis, der Betreiber der Tankstelle, gegen 10.30 Uhr. Geduld üben, war angesagt. Erst gegen die Mittagszeit normalisierte sich auch an der Tankstelle der Verkehr.
Manche taten sich mit Geduld offenbar schwer: Beim Verkehrsdienst Mühlhausen-Ehingen hatten mehrere Menschen angerufen, ob sie den Rettungsweg nutzen dürfen, um dann am Kreisel in Richtung Gailingen abzubiegen – doch das geht natürlich nicht, wie Polizist Christian Winter erklärte. „Dann steht im schlimmsten Fall alles und keiner kommt mehr durch“ – auch kein Rettungsdienst. Innerhalb des Staus soll es zu einem Auffahrunfall gekommen sein.