Die Beweislast ist erdrückend, doch der Angeklagte will einfach nicht einsehen, dass er kinder- und jugendpornografisches Material auf Papier und auf elektronischen Medien gehortet hat. Er spricht in seinem Schlusswort vor dem Amtsgericht Konstanz von „viel Lärm um wenig“. Doch für „wenig“ verhängt Richter Franz Klaiber keine achtmonatige Haftstrafe, die er für drei Jahre zur Bewährung aussetzt.
Außerdem muss der Rentner 500 Euro an den Konstanzer Kinderschutzbund überweisen. Den Mann zu einer Therapie zu zwingen, darauf verzichtet Klaiber – weil er nicht an einen Erfolg glaubt. Als er das bei der Urteilsverkündung sagt, schwingt Resignation in seiner Stimme mit.
Angeklagter vermutet eine Intrige gegen sich
Im Verlauf der Verhandlung am Mittwoch, 2. April, wird schnell klar: Der Mann ist sich keiner Schuld bewusst. Oder verdrängt sie erfolgreich. Im Gegenteil: Er sei das Opfer einer hinterhältigen Intrige, wie er mehrfach betont. „Da will mir jemand was anhängen. Ich habe nichts an Dritte weitergegeben“, so der Rentner.
Verantworten muss sich der Mann, der im Sommer 2021 in einen Zwischenfall am Hörnle verwickelt war, wegen der Weitergabe und des Besitzes kinder- und jugendpornografischer Schriften. Ins Visier der Ermittler geriet der Senior, als Ende Januar 2022 ein Spaziergänger zwei Taschen mit zahlreichen Nacktbildern und der FKK-Jugendzeitschrift „Sonnenfreunde“ im Dingelsdorfer Ried fand. Der Wanderer informierte die Polizei. Die Fotos, so die Einschätzung von Oberamtsanwältin Fischer, als sie die Anklageschrift verliest, zeigen fünf- bis sechzehnjährige Kinder, in der Mehrzahl Jungen, in „geschlechtsbetonter Körperhaltung“. Sie dienten „der sexuellen Erregung des Betrachters“, sagt die Vertreterin der Staatsanwaltschaft.
Belastendes Material soll aus Mülltonne verschwunden sein
Der Angeklagte gibt auch zu, dass das Material von ihm stammt. In diesem Fall wäre Leugnen auch zwecklos gewesen, denn in einer der durchnässten Tüten fand sich auch ein Umschlag mit seiner Wohnanschrift. Und ein offensichtlich selbst hergestellter Kalender mit einem Foto des Seniors in jungen Jahren, auf dem er sich nur in einer Unterhose bekleidet präsentiert. Gesichtserkennungsspezialisten der Kriminalpolizei haben das herausgefunden. Die beiden Taschen will er in einem Mülleimer vor seinem Wohnhaus entsorgt haben. Dort müsse sie jemand herausgeholt haben.
Nach dem Fund im Dingelsdorfer Ried durchsuchte die Kripo die Wohnung des Angeklagten. Auf einem PC, einem Handy und auf sechs USB-Sticks fanden die Ermittler vier Videodateien und unzählige Fotos, die wiederum meist nackte Jungen bis zur Pubertät in aufreizenden Posen zeigen. Amtsrichter Franz Klaiber will wissen, wie der frühere Handwerker an dieses Material gekommen ist. „Das habe ich nicht selbst gesammelt, das ist mir anonym zugeschickt worden“, so seine Antwort.
Sein Fehler sei es lediglich gewesen, das Material nicht sofort gelöscht zu haben. „Aber ich wollte halt herausbekommen, wer mir das zugeschickt hat.“ Bei der Urteilsbegründung zerpflückt Franz Klaiber diese Aussagen. Wenn er die Fotos nicht sammeln wollte, weshalb habe er sie denn dann extra auf die USB-Sticks geladen? Außerdem äußerte er seine Zweifel an den IT-Kenntnissen des 79-Jährigen, verschlüsselte E-Mail-Adressen enttarnen zu können.
79-Jähriger leugnet pädophile Neigung
Woher der Mann sein kinder- und jugendpornografisches Material bezogen hat, konnte die Kripo nicht ermitteln, wie eine als Zeugin vernommene Beamtin aussagt. Dafür wusste das der Angeklagte, zumindest rudimentär. Solche Bilder würden im Ostblock gemacht, in Rumänien, Bulgarien und in Russland, das sei doch bekannt.
Er wollte die Bilder auch nicht für längere Zeit auf seinem Computer gespeichert wissen, denn was würde sein Sohn sagen, entdeckte er sie darauf. Überhaupt: „So was interessiert mich nicht“, sagt der Angeklagte gleich mehrmals. Drei Tage vor der Hausdurchsuchung hat er Bilder aber noch angeschaut, wie Ermittlungen der Kripo ergaben.
Oberamtsanwältin Fischer will den Angeklagten zu einer Bewährungsstrafe von elf Monaten verurteilt wissen und zu einer Geldauflage von 1000 Euro. Und da sich der Mann nicht einsichtig gezeigt habe, gehöre auch eine Therapie angeordnet. Verteidiger Christian Funk plädiert dagegen für eine Geldstrafe in Höhe von 3000 Euro. Er stufe die Nachtfotos als „FKK-Material“ ein, das früher nicht strafbar gewesen sei. Die Bilder seien „nicht besonders hart, da gibt es ganz anderes“. Außerdem habe sein Mandant ja zugegeben, dass er die Fotos hätte vernichten müssen.
Ein Anklagepunkt fließt nicht ins Urteil ein
Amtsrichter Klaiber bleibt am Ende der Verhandlung mit seinem Strafmaß von acht Monaten drei Monate unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Wohl auch deshalb, weil der Vorwurf der Verbreitung von kinder- und jugendpornografischen Schriften – also der Fund der Tüten im Dingelsdorfer Ried – sich nicht 100-prozentig aufrechterhalten ließ. Möglicherweise lagen die Taschen dort schon vor 2017. Und dann ist der Vorwurf seit einer Gesetzesänderung verjährt. Selbst Experten des Landeskriminalamtes konnten in dieser Frage keine Klarheit schaffen. Als strafmildernd wirkt sich auch das hohe Alter des Angeklagten aus und dass er sich bisher nichts hat zu Schulden kommen lassen.
Am Ende des Prozesses richtet sich Franz Klaiber direkt an den Angeklagten. Er nennt ihn einen „Meister der Selbstverleugnung“, der sich seine sexuelle Neigung nicht eingestehen will. Und dann versucht er dem Mann klarzumachen, dass er die Fotos mit den nackten Jungen zwar nur anschaue oder konsumiere, sich damit aber zum Teil einer Maschinerie mache, die diese Kinder ausbeute. Sein Schlusswort: „Sie sind unter meiner Beobachtung.“ Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.