Konstanz – Es gibt viele spannende Geschichten aus der großen, weiten Welt der Politik. Die spannendsten sind aber die aus dem eigenen Umfeld. Denn die sind in aller Regel authentisch und in ihrer Wirksamkeit unmittelbar überprüfbar. "Lokalpolitik ist ein tolles Feld", sagt Helga Jauss-Meyer an diesem ungemütlichen Januarabend im Litzelstetter Restaurant Ko'Ono und nippt an ihrem heißen Kräutertee. Draußen pfeift der eiskalte Wind, drinnen am Lagerfeuer herrscht eine heimelige Atmosphäre. So mag es die sympathische Dame, die am 23. Dezember ihren 90. Geburtstag feierte und heute Abend von ihrer Partei, der SPD, gebührend gefeiert wird. "Ich wohne sehr gerne in Litzelstetten." Von 1986 bis 1999 war sie Ortsvorsteherin und hat sich nachhaltig ins Gedächtnis der Bewohner gebrannt – als Frau der klaren Worte, der Zielstrebigkeit und des scharfen Verstands. Helga Jauss-Meyer wurde am Fuße des Purren nicht selten als Eiserne Lady bezeichnet in Anlehnung an Margaret Thatcher, die von Mai 1979 bis November 1990 Premierministerin des Vereinigten Königreichs war.
Doch Helga Jauss-Meyer mochte zeit ihres Lebens viel lieber ihr direktes Umfeld politisch mitbestimmen. Ein Königreich war nicht nötig, um sie glücklich zu machen. Geboren wurde sie in Berlin. In Heidelberg studierte sie Romanistik, Philosophie und Germanistik. Ihre Doktorarbeit behandelte das Thema Theater, damit rundete sie ihre fundierte politisch-kulturelle Bildung ab. Als ihr Mann, der Romanist Hans-Robert Jauss, 1966 an die neu gegründete Universität Konstanz berufen wurde, fand das Ehepaar am Bodensee ihre Wahlheimat.
Zunächst war es Dettingen, nach einem Jahr ging's nach Litzelstetten. Inspiriert wurde sie in ihrer Denkweise von Willy Brandt. Helga Jauss-Meyer trat folgerichtig der SPD bei, 1973 wurde sie in den Kreistag gewählt, zwei Jahre später in den Gemeinderat sowie den Litzelstetter Ortschaftsrat. "Damals hatte Litzelstetten gerade Mal 1200 Einwohner", erzählt die rüstige, ältere Dame. "Die Stadt Konstanz versprach uns eine Busverbindung, wenn wir der Eingemeindung zustimmen", fügt sie lachend hinzu. Bis dahin war die Mainau Endstation.
Den geliebten Vorort und die Interessen seiner Bewohner hatte sie fest im Blick, als es um die Ulmisriedtrasse ging. Sie kämpfte erfolgreich gegen die Nordeinführung – und wie. Beim Bürgerentscheid stimmten über 60 Prozent der Wähler 1985 gegen die Nord- und für die bis heute im Bau befindliche Südeinführung am See entlang. Ein epochaler Erfolg für sie und ihre Mitstreiter, unter anderem Jürgen Leipold, der heute für 50 Jahre SPD-Mitgliedschaft geehrt wird. "Lustig ist, dass sich heute Menschen dafür feiern lassen, die damals dagegen waren", sagt sie ohne Groll in der Stimme. Für sie war es als Lokalpolitikerin stets selbstverständlich, in Ausschüssen zu arbeiten, die nicht sofort auf ihre politsche Gesinnung schließen lassen. "Das Soziale verstand sich bei mir ja von alleine", sagt sie. "Es war mir wichtiger, im technischen Ausschuss zu sitzen." Noch heute ärgert sie sich über das Erscheinungsbild des Lago. "Ästhetisch passt das nicht zum Stadtbild und der See spielt da auch keine Rolle", erzählt sie. "Außerdem war das Lago auf 7500 Quadratmeter Verkaufsfläche angelegt – heute sind es 15 000. Aber immerhin ist es erfolgreich."
Jürgen Leipold ist dankbar, eine charmante und gleichzeitig erfahrene Politikerin wie Helga Jauss-Mayer in derselben Partie zu wissen. Er war Konstanzer Student der ersten Stunde, er hatte die Immatrikulationsnummer 58. Als er nach Konstanz zog, hatte er einen Vorsatz: "Schnell Examen machen und schnell wegziehen", erzählt er lachend. Daraus wurde bekanntlich nichts. "Ich konnte hier die Hochschulpolitik im Asta aktiv mitgestalten." Damals fristete die Lokalpolitik noch mehr oder weniger unbemerkt ein tristes Schattendasein. "Wir hatten nicht Mal Fraktionsräume", erzählt er. "Wir trafen uns in den Vorräumen der Stephansturnhalle." Nicht nur deshalb sei der Vorsprung der Verwaltung uneinholbar. "Doch man muss immer dranbleiben."
Ehrung am Freitagabend
Am Freitagabend ehrt die SPD Konstanz um 18 Uhr im Sitzungssaal der Wobak am Benediktinerplatz 7 Helga Jauss-Meyer anlässlich ihres 90. Geburtstags und Jürgen Leipold anlässlich seines 50. Parteijubiläums. Beide prägten über Jahrzehnte das politische Leben in der Stadt. Der ehemalige Konstanzer Baubürgermeister Hans-Joachim Fischer wird die Festrede halten. (aks)