Ein Blick auf die Einschulungsbilder der Konstanzer Grundschulen: Neben den Kindern stehen ihre Lehrer – sie sind fast ausschließlich weiblich. Ist das denn ein Problem? Eltern und Forscher machen den Mangel an männlichen Lehrern immer wieder für die schwächeren Leistungen von Jungen verantwortlich. Diese haben nachweislich schlechtere Noten als die Mitschülerinnen, die zudem häufiger das Abitur schaffen.
In Konstanz stehen gerade einmal an drei von zehn Grundschulen Männer am Pult, nur sechs von etwa 100 Lehrkräften. Einer von ihnen ist Benjamin Träutlein. Der 29-Jährige unterrichtet seit zwei Jahren an der Grundschule Dettingen. Zu Beginn schallte es durch sein Klassenzimmer zur Begrüßung: „Guten Morgen, Frau Träutlein“. Seine Schüler mussten sich erst an einen männlichen Lehrer gewöhnen. Zuvor hatten sie nur weibliche Pädagogen im Schulhaus gesehen, abgesehen vom Hausmeister und Sozialarbeiter. Benjamin Träutlein ist trotz der Vorurteile glücklich, dass er den Lehrerberuf gewählt hat. Bereits in seiner Jugend half er in sozialen Einrichtungen und wusste schon damals: später würde er mit Menschen arbeiten. Während des Studiums merkte er, dass ihm der Umgang mit Kindern Freude macht: „Sie sind noch so wissbegierig und lernwillig.“ Anfangs musste er sich für seine Berufswahl jedoch häufig rechtfertigen. Oft bekam er von Kommilitonen zu hören, dass die Grundschule zu anspruchslos sei. Das sieht der 29-Jährige anders. Jungen Menschen etwas ganz Neues beizubringen, sei eine Herausforderung. Dennoch wählten viele männliche Lehramtsstudenten das Gymnasium anstelle der Grundschule, sagt Träutlein, weil ein Gymnasiallehrer mehr verdiene.
Das Problem liegt in der Struktur: Thomas Götz, Bildungswissenschaftler an der Universität Konstanz, ist sich sicher: Der Mangel an männlichen Grundschullehrern lasse sich nur über höhere Gehälter ändern. „Für mich ist es nicht nachvollziehbar, dass sie schlechter bezahlt werden als Lehrer anderer Schularten“, sagt er. Eine weitere Möglichkeit sei, offensiv um Männer zu werben, beispielsweise mit einer guten Vereinbarkeit von Familie und Beruf als Lehrer.
Birgit Gegier Steiner, Schulleiterin der Scheffelschule in Rielasingen-Worblingen, hat sich intensiv mit dem Thema befasst. Sie glaubt, dass alte Rollenvorstellungen noch zu stark in den Köpfen verankert sind. Die Idee vom hart arbeitenden Mann, der Geld für die Familie einbringen müsse, halte sich hartnäckig. Über die Feminisierung der Grundschulen und deren Folgen schrieb sie das Buch „Artgerechte Haltung“. Wichtiger als männliche Lehrer ist ihr eine jungengerechtere Pädagogik. Sie besteht etwa darin, mehr Aktivität in den Unterricht einzubinden, um dem Bewegungsdrang der Jungen entgegenzukommen. An ihrer Schule gibt es deshalb Sitzbälle anstatt Stühle. Letzlich komme es jedoch darauf an, dass die Lehrkraft auf die Kinder eingehe. „Eine empathische Lehrerin ist mir lieber als ein nicht-empathischer Lehrer“, sagt Gegier Steiner.
Dass es für Kinder von Nachteil ist, dass nur wenige Männer unterrichten, glaubt Gegier-Steiner nicht. Das sieht auch Benjamin Träutlein so. Für Jungen sei es zwar in manchen Situationen hilfreich, einen Mann als Ansprechpartner zu haben, etwa bei Kindern, denen der männliche Elternteil zuhause fehle. Als bedeutender schätzt Träutlein aber die Persönlichkeit des Lehrers ein und dass er sich im Beruf engagiere.
Auch Bildungswissenschaftler Thomas Götz gibt Entwarnung: „Studien zeigen, dass es bezüglich der Leistung keine Unterschiede gibt, ob von einer gleich- oder gegengeschlechtlichen Lehrkraft unterrichtet wird.“ Auch bei der Wahl ihrer Vorbilder orientierten sich die Schüler laut Forschungsergebnissen nicht am Geschlecht, sondern am Charakter, erklärt Götz. Dass sich das Geschlechterverhältnis im Grundschullehramt in naher Zukunft ändern wird, glaubt er nicht. Die Diskussion werde schon lange geführt und geändert habe sich nicht viel.
Heute rechtfertige er sich nicht mehr für seine Berufswahl, sagt Träutlein selbstbewusst. Er sei glücklich, sich für den Lehrerberuf entschieden zu haben und ist stolz, sich mit den Kindern auf dem Einschulungsbild zu sehen. Vielleicht wird er gar zum Vorbild für manch angehenden Pädagogen.
Autorenlesung mit Birgit Gegier-Steiner
- Buch und Lesung: Birgit Gegier-Steiner, Schulleiterin an der Scheffel-Grundschule in Rielasingen-Worblingen, liest am Dienstag, 22. November, um 20 Uhr im Kinderhaus Edith Stein aus ihrem Buch "Artgerechte Haltung – Es ist Zeit für eine jungengerechte Erziehung". In diesem schreibt sie über die Feminisierung der Grundschule und wie Jungen trotzdem zurecht kommen können. Wichtiger als mehr männliche Lehrer ist ihr eine jungengerechtere Pädagogik. Gegier-Steiner entwickelte das "fußballdidaktische Prinzip": Es setzt in der Erziehung auf Aktivität und Wettstreitlust, auf der anderen Seite auf Respekt und Regeln. Karten zur Lesung gibt es im Kinderhaus Edith Stein für fünf Euro im Vorverkauf.
- So sah es früher aus: Uwe Preiß vom Konstanzer Schulamt erinnert sich noch: In den 1970er Jahren war der Anteil an männlichen Berufsanfängern wesentlich höher als heute. Insgesamt sei der Zulauf ins Lehramt so groß gewesen, dass nicht alle Hochschulabgänger eine Anstellung bekommen hätten. Heute gehen viele von den damaligen Berufsanfängern in Pension und die Nachfolger fehlen. So waren im Sommer 2016 von 108 neu eingestellten Lehrkräften für die Grundschul-, Werkrealschul- und Gemeinschaftsschulen nur 16 männlich und damit deutlich weniger als an Gymnasien. (pmp)