Das Vorstrafenregister des Angeklagten, der sich jetzt unter anderem wegen bewaffneten Drogenhandels vor dem Landgericht Konstanz verantworten muss, ist lang. Knapp 20 Eintragungen finden sich im Register für den Zeitraum von 2005 bis zu seiner Verhaftung am 24. Februar 2025 in einem Hotel im Konstanzer Stadtteil Paradies, als er zuvor von einem Balkon aus herumschrie, Passanten beleidigte und bedrohte sowie mit einer Waffe in die Luft schoss.
Weil der Angeklagte während des ersten Prozesstages ausgesagt hatte, er würde niemals einen Diebstahl begehen – schließlich wird ihm aktuell auch der Diebstahl eines E-Bikes und eines E-Rollers vorgeworfen – lässt der Vorsitzende Richter am Landgericht Konstanz, Joachim Dospil, die Eintragungen im Bundeszentralregister (BZR) laut verlesen.
„Das kommt mir alles sehr bekannt vor“, sagt Joachim Dospil, wobei er auf den ersten Verhandlungstag des aktuellen Prozesses anspielt. Auch auf zwei Berichte des Zentrums für Psychiatrie Reichenau (ZfP) von Dezember 2023 und November 2024 wird Bezug genommen. Beide Male erfolgte die Aufnahme ins ZfP durch die Polizei, da es zuvor zu Beziehungsstreitigkeiten gekommen war. Ebenso wird die finanzielle Situation des Angeklagten beleuchtet, der immer wieder für kurze Zeit eine Arbeitsstelle hatte, ansonsten Bürgergeld bezogen hat.
Die Kammer beschließt, wie am Vortag schon in Erwägung gezogen, die Vorwürfe wegen falscher Verdächtigung, Körperverletzung und Bedrohung, die im häuslichen Umfeld anzusiedeln sind, vorläufig einzustellen.
Ein „unbelehrbarer, notorischer Rechtsbrecher“
Dass der Angeklagte der Schwester seiner damaligen Lebenspartnerin gedroht haben soll, ihre Familie umzubringen, daran hat Staatsanwältin Marie-Theres Polovitzer keinen Zweifel. Ebenso glaubhaft seien die Zeugen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Stockach sowie der Beleidigung und des Angriffs auf Vollstreckungsbeamte im Polizeipräsidium Konstanz gewesen, hält sie in ihrem Plädoyer fest.
Den Besitz der Droge Crack im November 2024 hat der Angeklagte gestanden. Aufgrund einer aufgefundenen Schuldnerliste mit hohen Geldbeträgen sowie mehr als 4.000 Euro Bargeld sieht Polovitzer Rauschgifthandeltreiben als erwiesen an. Sie führt bezüglich des Eigenkonsums des Angeklagten an, dass er geschätzt allein für Kokain „3000 Euro bei Mengenrabatt“ gebraucht hätte.
Sie kommt auf die etwa 36 Gramm Kokain mit hohem Wirkstoffanteil zu sprechen, die nach den Schüssen im Paradies am 24. Februar 2025 im Hotelzimmer des Angeklagten sichergestellt wurden. Dabei handelte es sich um den Rest von zuvor 50 Gramm, wie der Angeklagte selbst angegeben hat. Dass er „15 Gramm in einer Nacht konsumiert hat, halte ich für illusorisch, bei so einem verdammt guten Stoff“, so Marie-Theres Polovitzer.
Das war „verdammt gefährlich“
Dann spricht sie über die Walther PPK, die im Rahmen des SEK-Einsatzes im Paradies sichergestellt wurde. „Die Waffe war uneingeschränkt funktionsfähig“, hält die Staatsanwältin fest. „Und er hat sie verwendet.“ Über die Situation des Waffeneinsatzes sagt sie: „Das Ganze war verdammt gefährlich.“
Die Staatsanwältin kommt zu dem Schluss, bei dem Angeklagten handele es sich „um einen unbelehrbaren, notorischen Rechtsbrecher“. Sein Lebensstil sei davon geprägt, dass er sich nicht an Regeln halte. Er sei vielfach und einschlägig vorbestraft. Im Verlauf der Verhandlung habe er das „wahre Gesicht eines notorischen Lügners, der andere der Lüge bezichtigt hat“ gezeigt. Sie fordert eine empfindliche Strafe: eine Freiheitsstrafe von fünfeinhalb Jahren.
Verteidiger sieht keinen Beweis für Drogenhandel
Rechtsanwalt Henning Stutz als Verteidiger sieht den Diebstahl des E-Bikes und des E-Rollers nicht als erwiesen. Es handle sich um Vermutungen, aber man „muss überzeugt sein, dass es sich so abgespielt hat“. Über das Fahren ohne Fahrerlaubnis diskutiert er nicht. Stutz sagt nur: „Gott sei Dank ist nichts weiter passiert.“ Zum Vorwurf des tätlichen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte führt Stutz an, dass der Angeklagte zu jenem Zeitpunkt stark intoxiniert war.
Bezüglich der hohen Geldbeträge, die der Angeklagte bei sich getragen hatte, „wissen wir nicht definitiv, dass es aus Rauschgiftgeschäften stammt“, merkt Stutz an. Er sagt in seinem Plädoyer: „Da hat kein bewaffnetes Handeltreiben stattgefunden.“ Die 50 Gramm Kokain hat er eingeräumt. Aber am 24. Februar sei nichts gefunden worden, womit der Kokainbrocken hätte verkleinert werden können. Ebenso sei keine Feinwaage gefunden worden.
Der Waffenbesitz ist jedoch Fakt. Der Angeklagte habe nur in die Luft geschossen, niemand wurde verletzt, hält Stutz fest und fügt an: „Letzten Endes ist nicht so viel passiert. Er ist ohne Widerstand festgenommen worden.“ Der Verteidiger beantragt eine mildere Strafe, deutlich unter jener, die die Staatsanwältin gefordert hat. Und er spricht sich dafür aus, die Unterbringung in einer Therapie anzuordnen.
„So kann es nicht weitergehen. Er kann die Kurve noch kriegen“, so Stutz. „Ich denke, er hat jetzt kapiert, dass es um mehr geht.“ Bislang waren es Fälle mit geringer Strafandrohung beim Amtsgericht. „Jetzt, mit Fußfessel, hat es eine andere Bedeutung“, sagt Henning Stutz und er fügt an: „Ich denke, eine Therapie wird jetzt eher von Erfolg gekrönt sein.“
Chance, der Abwärtsspirale zu entkommen
Das Gericht sieht letztlich Drogenhandel als nicht erwiesen an. Damit ist der Vorwurf des bewaffneten Dealens vom Tisch. Die Beweislast hinsichtlich Diebstahl von E-Bike und E-Roller, Bedrohung, Besitz einer Patrone, Beleidigung, tätlicher Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Besitz von Crack und Kokain in nicht geringer Menge, Verstoß gegen das Waffengesetz und Schießen mit einer Waffe sei erdrückend, so Dospil.
Der Vorsitzende Richter rügt den Angeklagten auch in Anbetracht der zahlreichen Vorstrafen: „Sie sind unbelehrbar; ein notorischer Rechtsbrecher.“ Zugute hält ihm die Kammer seine Drogensucht und die schwierige Lebenssituation. Dospil verkündet im Anschluss folgendes Urteil: Vier Jahre und neun Monate Freiheitsstrafe. Eine Bewährung zieht die Kammer nicht in Betracht. „Ohne Therapie geht aus meiner Sicht gar nichts“, sagt der Vorsitzende Richter.
Die Kammer spricht sich für den Paragraf 64 des Strafgesetzbuches (StGB) – Unterbringung in einer Entziehungsanstalt – aus; „vielleicht braucht es zwei Jahre Therapie“, so Dospil. Er erläutert: Sieben Monate saß der Angeklagte bereits in Untersuchungshaft. Nach weiteren sieben Monaten folge die Therapie. „Wenn Sie nicht mitmachen, geht es zurück in die JVA“, stellt Dospil unmissverständlich klar und fügt an: „Aus unserer Sicht ist das Ihre letzte Chance.“ Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig; es können noch Rechtsmittel eingelegt werden.