Was macht einer, der fast für den Oscar nominiert worden wäre?
Er sitzt im einem Café und beißt in seinen Mango-Schokomousse-Kuchen. „Man gönnt sich ja sonst nichts“, sagt Ben Bernhard, der Kameramann aus Konstanz.
Eigentlich wollte er entspannen
Eigentlich wollte er entspannen zwischen zwei Terminen, aber als das Telefon klingelte und der SÜDKURIER anfragte, meinte er :“Komm einfach vorbei“. Er rührt in seinem Milchkaffee, sagt „viel los gerade“ – und man würde es ihm kaum glauben, so entspannt sieht er aus, wäre die Stimme nicht so kratzig.
Viel los: Keine 24 Stunden zuvor hat Ben Bernhard erfahren, dass der Film Aquarela, für den er hinter der Kamera stand, nicht mehr im Rennen ist. Für die Oscars als bester Dokumentarfilm 2020. Der Film des russischen Regisseurs Viktor Kossakowski, lebt von seinen Bildern. Und es geht um Wasser – seine Schönheit, seine Stärke, seine rohe Kraft.
Alle Freunde waren im Scala-Saal
Am Freitag die Konstanz-Premiere im Scala-Saal des Cinestars. Alle Freunde von Ben Bernhard waren da, alle ehemaligen Arbeitskollegen. Die von dem Magazin, wo er gejobbt hatte. Die aus dem Restaurant, in dem er bedient hatte.
Das war in der Zeit in Konstanz, in der er seinen Weg suchte, wie er sagt. Damals war er noch kein gefragter Kameramann und per Du mit Größen wie Annika Pinske, die die Regieassistenz beim Film Toni Erdmann hatte. Mit ihr hat er gerade erst einen Spielfilm gedreht.
Oder eben Aquarela-Regisseur Viktor Kossakovsky, der bald sein viertes Projekt mit dem Konstanzer angeht. Trotzdem: Aquarela ist an der Oscarnominierung gescheitert, das weiß er seit 29 oder 30 Stunden.
Ein Abend im Dezember: Und die Gruppe rastete aus
Da war der Abend im Dezember, als Ben Bernhard erfuhr, dass der Dokumentarfilm auf der Shortlist ist. Er war gerade, mal wieder, auf einem Dreh, in Kenia, mit einer befreundeten Ethnologin. Kein Internet. Abends in der Unterkunft dann Verbindung mit dem Wlan. „Und das Handy macht so: Bing, bing, bing“, erinnert er sich.
Alle Bings aus der Whats-App-Gruppe „Aquarela Family.“ Für den Film waren sie in Sibirien, in Grönland, in Florida, Venezuela. Überall ein lokales Team dabei. Und nun alle in der Gruppe, eine riesige Whats-App-Gruppe. Die rastete aus an diesem Abend. „Shortlist, amazing!“, „Whuuu!“.
„Es sollte nicht um mich gehen“
Er hätte nicht damit gerechnet und war völlig perplex. Er jubelte alleine in seinem Zimmer, sagt er. Dann ging er auf die Party der befreundeten Ethnologin. „Ich habe es erzählt, aber bin nicht völlig ausgetickt, weil sie Geburtstag hatte, es sollte um sie gehen.“
Ja, er ist bescheiden. Beim Treffen mit dem SÜDKURIER spricht er über die alten Freunde aus der Heimat Konstanz. Erzählt, dass er jetzt in Berlin wohnt, wo er eigentlich nie hin wollte. Aber das Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin machte es nötig. Erzählt, wie toll das war, als der Regisseur Viktor Kossakovsky ihn das erste Mal anfragte. Dass er jedes Mal, wenn er mit der Fähre nach Konstanz fährt, Bilder macht.
Was er nicht erzählt: Von seinen Auszeichnungen. Unter anderem dem Kamerapreis für den Film Homework, den Preis beim Berliner Filmfestival für Lost Reactor. Er erzählt, dass sein Telefon oft klingelt und er viel absagen muss. Dass er in Israel war, aber nur unter der Bedingung, nach dem Dreh auch Urlaub zu machen. Dass er keine Homepage hat, weil er eigentlich lieber hinter der Kamera steht. Was er nicht erzählt: Dass Netflix bei ihm angefragt hat.
Von einem Projekt zum nächsten
Zurück zum Oscar. Wie war das, zu fiebern, seit dem Abend im Dezember und dem „Bing Bing Bing„ in der Whats-App-Gruppe?
Ben Bernhard sagt: „Ich war ja am Drehen. Direkt zu einem anderen Projekt nach Brasilien.“
Mal ehrlich, wie groß ist die Enttäuschung?
Eine Sekunde sagt er nichts. Zwei. Ein kurzes Seufzen. „Natürlich war die erste Reaktion, dass es schade ist. Aber auch keine Überraschung.“ Sein Favorit unter den Nominierten sei die Dokumentation The Cave von Regisseur Feras Fayyad. Mit ihm ist Ben Bernhard befreundet, klar. Es geht um den Krieg in Syrien. „Die haben über Jahre Material über die syrische Grenze illegal geschmuggelt und im Untergrund in syrischen Krankenhäusern gedreht. Um Kriegsverbrechen zu dokumentieren. Wahnsinn. Das ist eine andere Liga, das sind Filme, die brauchen diese Präsenz.“
Ben Bernhard ist schon wieder an den nächsten Projekten. Als Kameramann. Und als Privatmann. Er will, teilweise, zurück in die Region. „In Berlin habe ich den Input und die Connection. Aber ich merke, ich bin sehr gerne in der Natur, denke über Filme nach. Ich will einen Platz zum Sein. Vielleicht einen Kunstverein starten. Diese zwei Welten verbinden.“
Vielleicht bekommt die Doku Aquarela den Deutschen Filmpreis
„Aber heute“, er trinkt im Café den Milchkaffee leer, steht auf und zieht den Mantel an, „heute geh ich mit Freunden essen.“
Ach, und noch was: Auqarela hat es auf die Shortlist des Deutschen Filmpreises geschafft. Die Entscheidung fällt im Februar.