Es war eine Tat, die über Konstanz hinaus für Aufmerksamkeit – und vor allem große Verunsicherung – gesorgt hat. In der Nacht zum Sonntag, 2. Februar, werden drei junge Männer im damaligen Alter von 17, 18 und 19 Jahren durch einen Messerangriff im Herzen der Konstanzer Altstadt mindestens schwer verletzt, der SÜDKURIER berichtete umfassend. Nun sitzt der dringend tatverdächtige 28-jährige Nordmazedonier seit Montag, 28. Juli, auf der Anklagebank des Konstanzer Landgerichts.
Ihm wird dabei laut der Anklageschrift vorgeworfen, die drei jungen Männer mit einem Klappmesser mit einer Klingenlänge von vier Zentimetern schwer beziehungsweise lebensgefährlich verletzt zu haben. Demnach stach er dabei einem der Opfer in den Hals, einem anderen in den Rücken und dem dritten in den Bauch sowie in die Brust. Das Opfer, das am Hals verletzt wurde, konnte nur durch eine Notoperation gerettet werden. Die Anklage geht sogar davon aus, dass der Angeklagte bei allen Opfern einen tödlichen Verlauf billigend in Kauf nahm.
Er soll außerdem eine junge Frau ebenfalls mit mindestens einem Faustschlag traktiert haben, nachdem er sie zuvor verbal sexuell belästigt und bedrängt haben soll. Ort des Geschehens war die Wessenbergstraße, Tatzeit kurz nach 2 Uhr in der Nacht auf den 2. Februar. Seit dem 6. Februar, an dem Kräfte der Kriminalpolizei ihn festnehmen konnten, sitzt er in Untersuchungshaft.
Er muss sich nun wegen versuchten Totschlags in drei tatmehrheitlichen Fällen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, und vorsätzlicher Körperverletzung verantworten. Verhandelt wird unter Leitung von Richter Arno Hornstein vor der vierten Strafkammer des Landgerichts Konstanz, zwei der Opfer sind durch eine Nebenklage vertreten. Claudia Fritschi sitzt für die Staatsanwaltschaft im Gerichtssaal, der Angeklagte wird durch seine Pflichtverteidigerin Kristina Müller vertreten. Ein Dolmetscher übersetzt für den Nordmazedonier, außerdem ist ein Sachverständiger vor Ort, der eine mögliche Schuldunfähigkeit prüfen soll.
Einlassung des Angeklagten
Zunächst gibt die Gerichtshilfe einen kurzen Bericht: Er zeichnet eine im Kern eine weitestgehend problemlose, allerdings von Armut geprägte Kindheit mit den Eltern und Geschwistern in Nordmazedonien nach, dann ein weitgehend isoliertes Leben in Konstanz seit seiner Ankunft im August 2023. Dann lässt der 28-jährige Angeklagte seine Verteidigerin eine Erklärung abgeben.
Darin gibt er an, in einer Bar in der Innenstadt mit einem Kollegen Alkohol getrunken und auch auf der Toilette Kokain konsumiert zu haben. Nachdem sie die Bar ziemlich betrunken verlassen hatten, seien sie wenig später auf die Gruppe der drei jungen Männer mit ihren Freundinnen getroffen. Er stellt die Sache dann anders dar als in der Anklageschrift festgehalten: So seien die Aggressionen keineswegs von ihm, sondern vielmehr von einem der Opfer ausgegangen.
Dass er die junge, weibliche Begleitung der späteren Opfer angemacht haben soll, kann er sich nicht erklären. In der Folge habe ihm dann ein größerer Mann aus der Gruppe ins Gesicht geschlagen. Er habe sich gewehrt und zurückgeschlagen. Auch ein zweiter Mann sei daraufhin auf ihn losgegangen, eine Rangelei habe sich entwickelt. Wie er dann das Messer genommen hatte und die Opfer damit verletzte, könne er nicht sagen.
Er könne sich nicht erklären, wie es zu den Verletzungen gekommen sei. Er sei danach nach Hause gegangen, habe nicht gedacht, dass „lebensgefährliche Verletzungen vorlagen“, heißt es in der Erklärung: „Niemals wollte ich, dass jemand sterben könnte.“ Er könne sich nicht mehr richtig an die Vorgänge erinnern, alles sei lückenhaft. Es sei falsch gewesen, das Messer zu benutzen; er wünsche sich, er hätte es nicht dabei gehabt. Dennoch möchte er sich bei den Opfern entschuldigen – und tut das im Verlauf der Verhandlung auch. Seine Familie hat auf seine Bitte hin in Nordmazedonien sein Auto verkauft, er hat jedem der drei Opfer beziehungsweise deren Rechtsbeiständen tausend Euro überwiesen.
Viele Fragen bleiben offen
Am ersten Prozesstag sagt neben einer Polizeibeamtin auch die gesamte Gruppe um die drei Opfer aus. Und sie alle haben eines gemeinsam: Diese Nacht wirkt bei allen noch nach, teilweise befinden sich die jungen Menschen wegen der erlittenen seelischen Belastungen weiterhin in Behandlung. Die Anspannung, ihrem Peiniger im Gerichtssaal gegenüberzusitzen, ist spürbar. Doch noch eines fällt vor Gericht auf: Sie alle machen durchaus unterschiedliche Angaben. Teilweise unterscheiden sie sich von dem, was sie der Polizei gesagt hatten.
Oft können sich die Zeugen darüber hinaus an das Geschehene nicht mehr genau erinnern. Gelegentlich gehen die Schilderungen deutlich auseinander. Manche können den Angeklagten als den Angreifer identifizieren, andere nicht. Es wird klar: Mittlerweile ist ein halbes Jahr seit der Tat vergangen, und viele Gespräche wurden geführt. Was Wahrheit, was echte Erinnerung und was Fiktion ist, scheint schwer voneinander zu trennen.
Am ersten Prozesstag bleiben vor dem mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzten Schwurgericht deshalb viele Fragen offen. Die Wichtigste: Was hat sich in der Nacht auf den 2. Februar wirklich abgespielt? Wie kam der Streit genau zustande? Wer hat ihn begonnen? Wie und wann kam es zu den Messerstichen? Woher kamen die Männer? Wer der Beteiligten war wie stark alkoholisiert? Hat der Angeklagte ein Problem mit Drogen oder Alkohol, schließlich wurden in einer Haarprobe Reste von Kokain festgestellt? Wohin und auf welche Weise flüchteten der Täter und sein unbeteiligter 24-jähriger Begleiter? All diese Fragen bleiben am ersten Prozesstag noch weitgehend ungeklärt.
Es sind drei Fortsetzungstermine angesetzt. Sie beginnen jeweils ebenfalls um 9 Uhr im Schwurgerichtssaal im Landgericht Konstanz und sind auf Dienstag, 5. August, und Mittwoch, 13. August, sowie Donnerstag, 14. August, terminiert. Bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung für den 28-jährigen Angeklagten. Bei einer Verurteilung steht eine Abschiebung im Raum.