Es passiert am frühen Morgen des 19. Oktober 2024. Kurz vor sieben Uhr kommt es an diesem Samstag zwischen der Tankstelle in der Reichenaustraße und dem Bodenseeforum zu einem beinahe tödlichen Konflikt. Nach mehreren Messerstichen geht ein 27-Jähriger zu Boden. Er überlebt dank der schnellen Reaktion der Umstehenden, die helfen, den Notruf wählen – und dank einer Notoperation. Wegen dieses Angriffs und weiterer Taten muss ein 37-Jähriger jetzt in Haft.
Vor dem Landgericht Konstanz muss sich der Mann wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verantworten. Am letzten der vier Verhandlungstage, Dienstag, 1. Juli, steht das Urteil an. Auf der Liste der Zeugen, die in dem Prozess aussagen sollten, sind noch zwei Namen offen. Sie sind trotz Bemühungen des Gerichts nicht erschienen. Aus Sicht der Kammer sind sie unerreichbar, damit ist die Beweisaufnahme geschlossen.
Die Anklageschrift listet sieben Tatziffern auf, im Verlauf der Verhandlung haben sich zwei davon schon erledigt. Die Staatsanwältin will sich – auch aufgrund der Hitze, die auch im Gerichtssaal spürbar ist – kurz fassen. Aus ihrer Sicht hat sich die Anklage bestätigt: Der 37-Jährige hat das Tatgeschehen bereits am ersten Prozesstag eingestanden.
Subjektiv habe er auch eingeräumt, dass er im Tötungsvorsatz zugestochen hat, so die Staatsanwältin. Das würde auch die Art und Weise der Stiche nahelegen. Er habe „wild zugestochen, in ganz schneller Abfolge“. Danach habe er sich im Wissen um die schweren Treffer, die er seinem Opfer zufügte, vom Tatort entfernt.
Die Staatsanwältin geht in ihrem Plädoyer davon aus, dass der Angeklagte gesehen habe, wie schwer sein Opfer verletzt war; der 27-Jährige sei zu Boden gegangen und habe sich den Bauch gehalten. Der Angeklagte habe damit rechnen müssen, dass die Messerstiche in den Bauchraum und in Richtung Lunge tödlich enden könnten. Neben dem Vorwurf des versuchten Totschlags sind noch weitere Taten angeklagt, darunter der Besitz einer verbotenen Waffe, Fahrzeugdiebstahl und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte.
Nebenklage wirft versuchten Mord in den Raum
Der Vertreter des Nebenklägers, dem Opfer des Messerangriffs, kommt zu einer anderen Bewertung. Er sieht das Mordmerkmal der Heimtücke als erfüllt an, das Opfer sei arg- und wehrlos gewesen. Die Situation wenige Minuten zuvor, als der Angeklagte seinem späteren Opfer ein Messer an den Hals gehalten haben soll, sei schon geklärt gewesen. Beim zweiten Aufeinandertreffen habe der Angeklagte dann unvermittelt zugestochen. Die Nebenklage beantragt deshalb, den Angeklagten wegen versuchten Mordes zu verurteilen.
Die Verteidigung betont das Geständnis, das gleich zu Beginn des Prozesses vom Angeklagten kam. Zudem sei er nicht davon ausgegangen, dass der 27-Jährige lebensgefährlich verletzt sei, dieser sei noch bei vollem Bewusstsein gewesen. Zugunsten ihres Mandanten sei auch auszulegen, dass er dafür um Entschuldigung bat. Zudem habe das Opfer keine bleibenden Schäden davongetragen, offenbar auch keine psychischen, wie der 27-Jährige selbst vor Gericht angab.
Das letzte Wort hat der Angeklagte. Er nutzt die Chance, um erneut um Entschuldigung zu bitten. Das Problem sei seine Drogensucht, sagt er. Er hoffe, dass er eine Chance bekommt, sie zu bekämpfen.
Haftstrafe für den Angeklagten
Das Urteil lautet letztendlich fünf Jahre und neun Monate Haft. Einige Punkte des Ablaufs an diesem frühen Morgen im Oktober 2024 bleiben zwar unklar, etwa warum es überhaupt zum Aufeinandertreffen von Täter und Opfer kam. Den Aussagen des Opfers glaubte die Kammer zumindest in Teilen nicht. Klar ist aber, dass der 37-Jährige zugestochen hat. „Man sieht, dass der Angeklagte unmittelbar das Messer einsetzt“, sagt Richter Arno Hornstein in Bezug auf die Überwachungsvideos, die die Tat aufgezeichnet haben. Mindestens zwei Stiche trafen das Opfer, das in akute Lebensgefahr geriet.
Der 37-Jährige hat nach Auffassung des Gerichts mit einem mindestens bedingten Tötungsvorsatz gehandelt. Die Absicht, das Opfer zu töten, konnte zwar nicht festgestellt werden. Aber beim Einsatz einer derart gefährlichen Waffe habe er zumindest billigend in Kauf genommen, dass der 27-Jährige sterben könnte.
Die Stiche hätten „ganz offensichtlich“ Wirkung gezeigt, trotzdem entfernte sich der Angeklagte wenige Sekunden später vom Tatort. Das Mordmerkmal der Heimtücke liegt für die Kammer nicht vor. Der 27-Jährige habe von dem Messer gewusst, als er erneut auf den Angeklagten zuging, er sei also nicht arglos gewesen.
Während der Verhandlung stand auch die Frage nach der Schuldfähigkeit des Angeklagten im Raum. Zwar sei es unstrittig, dass eine Abhängigkeit vorliege. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ordnet das Gericht aber nicht an. Die rechtlichen Voraussetzungen seien nicht erfüllt. So bleibt dem Vorsitzenden Richter nur, dem 37-Jährigen zu raten, schon während seiner Haft eine Therapie vorzubereiten. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Angeklagte kann innerhalb einer Woche Rechtsmittel einlegen.