Es ist ein Thema, das die Grenzregion zwischen Waldshut und Konstanz schon seit Jahrzehnten beschäftigt – und aktuell mal wieder in Berlin auf dem Tisch liegt: Die "Umsatzsteuerbefreiung von Ausfuhren im nichtkommerziellen Reiseverkehr", besser bekannt als: der Ausfuhrschein.
Gut 15 Millionen dieser grünen Zettel werden jährlich an den Zollgrenzstellen zur Schweiz gestempelt. Jeder, der in der Region lebt, dürfte sich schon geärgert haben, wenn der schnelle Einkauf sich in die Länge zieht, weil an der Kasse die Frage "Ausfuhrschein?" mit einem "Ja" eines Schweizer Kunden beantwortet wurde.
Die schnellere, elektronische Abwicklung ist noch immer nicht mehr als eine Ankündigung.
Warum die Einführung so lange dauert, hat allerdings gute Gründe. Das sind die vier wichtigsten.
1. Die Entwicklung der App ist rechtlich und technisch kompliziert
Die Idee hinter der Ausfuhrschein-App ist, dass die Zollbeamten die Zettel nicht mehr stempeln müssen, um die Ausfuhr der Waren zu bestätigen, sondern dass das automatisch und elektronisch passiert. Dazu müssten sich die Kunden aus der Schweiz zunächst online registrieren und die Ware über die App zur Ausfuhr anmelden. Der Käufer soll dann eine Rückmeldung bekommen, ob die Zöllner an der Grenze die Ware kontrollieren wollen oder man einfach durchfahren kann.
Fraglich ist allerdings noch, ob man dann trotzdem an der Grenze kurz anhalten muss, damit das Smartphone registriert wird – oder ob das im fließenden Verkehr mittels Standortbestimmung möglich sein wird. Zudem gibt es dabei Betrugsmöglichkeiten. Denn letztlich muss ja nur das Smartphone über die Grenze – ob die Ware mit dabei ist, ist nicht zu überprüfen.
2. Die App-Entwickler sind nicht sehr erfahren auf diesem Gebiet
Entwickelt werden soll diese App vom Informationstechnikzentrum Bund, kurz ITZBund. Das ist der IT-Dienstleister der Generalzolldirektion. Allerdings wäre es die erste App-Entwicklung für das Technikzentrum. "Wenn von einer vollumfänglichen App-Entwicklung ausgegangen wird", ergänzt die Pressestelle auf Anfrage. "Allerdings werden bereits heute Apps durch das ITZBund gehostet. Das Thema App-Entwicklung rückt immer stärker in den Fokus des ITZBund, da die Nachfrage nach mobilen Lösungen auch in der Bundesverwaltung steigt."
Wann die App in den Betrieb gehen wird, ist allerdings noch völlig offen.
Der Bundesrechnungshof rechnete 2017 noch mit einer Einführung nicht vor dem Jahr 2020. Inzwischen dürfte aber auch diese Einschätzung überholt sein. "Das ins Auge gefasste Verfahren ist rechtlich sowie technisch komplex und erfordert unter anderem intensive Abstimmungen insbesondere auch mit den Landesbehörden und den Wirtschaftsbeteiligten", heißt es von Seiten des ITZBund. "Deshalb und wegen Vorgaben aus dem politischen Raum kann gegenwärtig noch keine Angabe zum Echtbetrieb gemacht werden."
3. Die Kosten für die Entwicklung wären immens
Die Kosten für Planung, Entwicklung und Betrieb einer App, bei der man nicht an der Grenze anhalten muss, schätzt die Generalzolldirektion auf 25,9 Millionen Euro – bis zum Jahr 2025. Das geht aus einem Bericht für den Rechnungsprüfungsausschuss des Bundestags hervor, der dem SÜDKURIER vorliegt. Allerdings würde sich das IT-Verfahren laut diesem Bericht nach sechs bis sieben Jahren durch die Einsparung von Personalkosten amortisiert haben.
4. Parallel läuft noch die Forderung nach einer Bagatellgrenze
Bereits 2017 hatte der Bundesrechnungshof eine Bagatellgrenze gefordert, die auch als Wertgrenze bezeichnet wird. Damit würde die Mehrwertsteuer erst ab einem Betrag von 175 Euro erstattet werden. Ausfuhrscheine für Summen von ein paar Euro würde es dann nicht mehr geben. Dafür müsste aber das Umsatzsteuergesetz geändert werden.
In einem Bericht vom November 2018 hält der Bundesrechnungshof fest: "Ohne Wertgrenze verzichtet Deutschland auf Steuereinnahmen in dreistelliger Millionenhöhe und nimmt zugleich Mehrausgaben in jährlich zweistelliger Millionenhöhe in Kauf. Eine Wertgrenze könnte Deutschland Steuermehreinnahmen verschaffen, ohne die einheimische Bevölkerung zu entlasten."
Sollte Deutschland also lieber die von Verdi geschätzten 300 Millionen Euro Steuern jährlich einnehmen, statt 26 Millionen Euro für eine App ausgeben?
"Tatsächlich liegen die Dinge etwas komplizierter", entgegnet Claudius Marx, Hauptgeschäftsführer der IHK Hochrhein-Bodensee auf Anfrage. "Erstens wären die vermeintlichen Umsatzsteuer-Mehreinnahmen wohl geringer als der genannte Betrag, weil ein nicht mehr von der Umsatzsteuer befreiter Einkauf an Attraktivität und folglich an Volumen verlöre." Auf gut deutsch: Gibt es eine Bagatellgrenze, kaufen die Leute weniger ein und die Geschäfte machen weniger Umsatz. So viel Umsatzsteuer gehe dem Staat also gar nicht verloren.
Zweitens müssten laut Marx alle betroffenen Steuerarten in den Blick genommen werden. "Also auch die vom Einkaufstourismus induzierten Einkommens-, Lohn- und Gewerbesteuern. Sie würden mit einer Bagatellgrenze proportional zum Volumenverlust zurückgehen."
Und drittens zeige der Einkaufstourismus positive Effekte außerhalb der Welt der Steuern – insbesondere bei Beschäftigung und Ausbildung im Einzelhandel, bei Dienstleistungen und in der Gastronomie. "Anders als beim Bundesrechnungshof ist es Aufgabe der IHK, alle diese Aspekte zu berücksichtigen. Das erklärt, warum sie auch zu einem anderen Ergebnis kommt. Wir halten die sogenannte Bagatellgrenze nach wie vor für keine Bagatelle", so Marx.
Die Gewerkschaft verdi sieht das anders.
"Mit einer Wertgrenze könnten Beschäftigte beim Zoll von sehr eintöniger und nervenaufreibender Arbeit entlastet werden, die Staus an den Grenzübergängen zur Schweiz würden verringert und der Staat hätte Mehreinnahmen in Millionenhöhe", sagt Andreas Gallus.
„Die Beschäftigten beim Zoll sollten dort eingesetzt werden, wo wir sie dringend brauchen.“Andreas Gallus
Allein wegen des Brexits würden künftig 900 zusätzliche Zollbeamte benötigt. "Ganz zu schweigen von den unterbesetzten Dauerbaustellen in der Finanzkontrolle Schwarzarbeit und bei der Kontrolle des Mindestlohns", zählt Gallus auf.
Wie geht es nun weiter beim Thema Bagatellgrenze?
Der Rechnungsprüfungsausschuss hat in seiner jüngsten, nicht-öffentlichen Sitzung nach Informationen des SÜDKURIER noch einmal seine Forderung bekräftigt, eine Wertgrenze einzuführen. Bis 31. März 2019 muss das Bundesfinanzministerium einen Tätigkeitsbericht vorlegen.
Unter der Hand ist aus Berlin zu erfahren, dass die Einführung einer Wertgrenze beschlossene Sache ist – die Frage sei nur noch, wann diese kommt.