Acht Uhr morgens in der Bücklestraße in Petershausen. An der Einfahrt zum ehemaligen Siemensareal fegt ein Hausmeister Herbstlaub fort, eine ältere Frau geht mit dem Hund spazieren. Nur ein Schild mit der Aufschrift "Landgericht Bücklestraße 11" weist darauf hin, was hinter dem Stacheldrahtzaun passiert, der das ehemalige Siemensareal umgibt. Dahinter bereiten sich dutzende Justizbeamte, Polizisten, Richter und Anwälte auf einen der größten Gerichtsprozesse vor, den Konstanz je erlebt hat.
Früher Kantine, heute Gerichtssaal
Monatelang wurde die ehemalige Siemenskantine zum Gerichtssaal umgebaut, weil das Konstanzer Landgericht an der Laube zu klein gewesen wäre und gerade ohnehin saniert wird. Wo noch vor kurzem mehrere hundert Konstanzer Arbeiter täglich Mittagspause machten, sitzen gleich neun mutmaßliche Mitglieder einer italienischen Mafiazelle auf der Anklagebank.
Sechs von ihnen sind in unterschiedlichen Gefängnissen in Untersuchungshaft und werden kurz vor Verhandlungsbeginn getrennt vorgefahren, damit sie sich nicht begegnen und absprechen.
Bei dem Umbau mussten spezielle Sicherheitsbestimmungen berücksichtigt werden, wie Mirja Poenig,
Richterin und Pressesprecherin am Landgericht Konstanz, im Vorfeld betonte. Details könne sie aus Sicherheitsgründen nicht nennen. Gerade auch, weil der Tatvorwurf auf organisierte Kriminalität lautet. An den Eingängen stehen mehrere Justizbeamte, es gibt Videoüberwachung.
Besucher, Presse, Anwälte und auch die Angeklagten, die nicht in Untersuchungshaft sitzen, müssen durch eine Schleuse und werden auf Waffen kontrolliert.
Einer der Besucher ist Helmut Grathwohl. "So ein Prozess", sagt er, "findet schließlich nicht jeden Tag in Konstanz statt". Grathwohl kennt das Gebäude von früher, als Lieferant für Siemens habe er immer mal wieder hier zu Mittag gegessen. Nun sind Wände hochgezogen und Fensterscheiben getönt, nach Kantine sieht es hier nicht mehr aus. Dort, wo früher die Essensausgabe war, ist nun der Wartebereich für das Publikum.
Der Gerichtssaal selbst ist mit dem Notwendigsten ausgestattet für die neun Angeklagten und ihre 17 Verteidiger. Der Richtertisch steht leicht erhöht auf Pressspanplatten.

Nachdem die ersten beiden Prozesstage in Karlsruhe stattfanden, soll die Kammer für den Rest des Verfahrens mit ursprünglich 67 geplanten Verhandlungstagen in der umgerüsteten Kantine tagen.
Drogen, Erpressung, versuchter Mord
Bei allen Angeklagten wird ein Bezug zu den Mafia-Organisationen Cosa Nostra und 'Ndrangheta vermutet. Die Männer im Alter von 26 bis 53 Jahren sollen laut Anklage über Jahre kiloweise Drogen gekauft, geschmuggelt und vor allem im Schwarzwald-Baar-Kreis weiterverkauft haben. Ihnen werden zudem Körperverletzung und illegaler Waffenbesitz sowie in einem Fall versuchter Mord zur Last gelegt.
Placido Anello aus Rottweil könnte aus Sicht der Staatsanwaltschaft einer der führenden Köpfe der Mafia-Zelle im Schwarzwald gewesen sein. Mit seinem Konstanzer Anwalt Tomislav Duzel präsentiert sich Anello gerne den Fotografen – und lässt erklären, dass er namentlich und für jedermann erkennbar abgebildet sein wolle; er sei unschuldig.
Sein Verteidiger beantragt später eine Aussetzung des Verfahrens und fordert Einblick in die Originalakten. Sein Mandant müsse wissen, „was andere Angeklagte über ihn gesagt haben“. Mit dem Hinweis, dass der Anwalt genug Zeit gehabt hätte, die Akten an der Geschäftsstelle einzusehen, wird der Antrag von der Strafkammer abgewiesen.
Angeklagte sind teilweise miteinander verwandt
Drei andere Angeklagte ließen erstmals Angaben über sich von ihren Anwälten vortragen. Sie waren unter anderem in der Gastronomie und im Einzelhandel tätig, in zwei Lebensläufen sind Schulden ein Thema. Untereinander sind die Männer den Angaben nach teilweise verwandt. Im Publikumsbereich sitzen einige Familienangehörige der Angeklagten, die eigens angereist sind.
Es fliegen Luftküsse, es wird gewunken, eine Frau zeigt einem der Angeklagten einen Rosenkranz. "Kein Kontakt" heißt es immer wieder von Seiten der Justizbeamten, während die Angeklagten sich zu ihrer Familie umdrehen.
Zur Sache selbst will sich bislang keiner der Angeklagten äußern. Der nächste Prozesstag ist für den 23. Oktober angesetzt, dann soll der erste Zeuge gehört werden.