Es hörte sich irgendwie nach einer Randnotiz an. Im Weiherhof, zwischen Max-Stromeyer-Straße und Bahnlinie, entsteht ein großer Gebäudekomplex. Unter anderem richtet dort die Spitalstiftung ein neues Pflegeheim ein. 86 Plätze wird es haben. Viele alte Menschen und ihre Familien werden froh sein, wenn dort Betreuung auf hohem Niveau möglich ist – und in einer modernen Umgebung, die auch für die Mitarbeitenden attraktiv ist. Das ist der gute Teil der Nachricht.

Zugleich schließt die Spitalstiftung aber auch die 24-Stunden-Pflege im Luisenheim. 60 Plätze fallen dort weg. Weitere 16 fallen im Haus Talgarten weg. Unterm Strich kommen also nach einer millionenschweren Investition gerade einmal zehn neue Pflegeplätze hinzu. Gerade einmal zehn Seniorinnen und Senioren finden eine neue Bleibe, gerade einmal zehn Familien mehr als bisher wissen einen lieben Menschen gut umsorgt. Das ist der schlechte Teil der Nachricht.

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Was im Bereich der Pflegeheime gerade passiert, ist mehr als bedenklich. Man könnte es auch als katastrophal bezeichnen in einer Gesellschaft, die rapide altert und die zugleich gerade die Pflege der Alten und Sterbenden immer weiter aus den Familien herausverlagert hat. Die Stadtverwaltung hat errechnen lassen, dass Anteil und Zahl der Hochbetagten stark steigen wird. Und die Antwort ist, ein Pflegeheim zu bauen und stattdessen ein anderes zu schließen? Ist das nicht paradox?

Hier, am Weiherhof, entsteht ebenfalls ein neues Pflegeheim. Doch im Kern ersetzt es vor allem die Plätze, die im Luisenheim und im Haus ...
Hier, am Weiherhof, entsteht ebenfalls ein neues Pflegeheim. Doch im Kern ersetzt es vor allem die Plätze, die im Luisenheim und im Haus Talgarten aufgrund von Landesregelungen wegfallen. | Bild: Steinert, Kerstin

In Konstanz hat sich von 2003 bis 2023 die Zahl der Menschen ab 85 nach städtischen Angaben von 1490 auf 2964 fast verdoppelt. Bis 2045 könnten es, wenn man Daten der Beratungsgesellschaft Empirica umrechnet, 4000 oder 4500 sein. Wenn von 1500 zusätzlichen Hochbetagten ein Drittel einen Heimplatz benötigt, braucht es innerhalb weniger Jahre sechs neue Weiherhof-Projekte.

Gebaut wird schon – aber neue Plätze entstehen kaum

Doch was tatsächlich passiert, ist etwas anderes: Zwar werden neue Pflegeheime gebaut, aber in großem Stil neue Plätze entstehen nicht. Die Caritas hat das Haus Zoffingen durchgefochten und unbeirrt darauf hingewiesen, wie wichtig diese Plätze sind. Zugleich hat sie aber das Marienhaus in der bisherigen Form geschlossen. Auch hier ist das zu erleben, was Luise Mitsch vom Altenhilfeverein zurecht als „Verschiebebahnhof“ bezeichnet: Netto neu entstanden sind genau drei Plätze.

Was passiert mit dem leerstehenden St. Marienhaus im Konstanzer Stadtteil Paradies? Die Pflegeplätze sind ins Haus Zoffingen umgezogen. ...
Was passiert mit dem leerstehenden St. Marienhaus im Konstanzer Stadtteil Paradies? Die Pflegeplätze sind ins Haus Zoffingen umgezogen. Größer ist das Angebot dadurch aber nicht geworden. | Bild: Scherrer, Aurelia

Der Spitalstiftung, der Caritas oder anderen Trägern dafür die Verantwortung zuzuschieben, ist grundfalsch. Sie alle müssen sich an die Landesheimbauverordnung halten. Und diese hat schon 2009 festgelegt, dass es ab 2019 nur noch Einzelzimmer in baden-württembergischen Pflegeheimen geben darf. Nun laufen letzte Übergangsfristen ab, und nicht überall können bestehende Doppel- vernünftig in Einzelzimmer umgebaut werden. Ja, man hätte das alles wohl früher kommen sehen müssen. Aber was hilft das jetzt?

Wie beim Rechtsanspruch auf Kinder- und Schülerbetreuung hat der Gesetzgeber, sicher im besten Wollen, eine Regelung erlassen, die nun auf der untersten Handlungsebene umgesetzt werden muss. Im Fall der Pflegeheime heißt das: Stuttgart bestimmt, die Kommunen sollen es irgendwie lösen. Und das mit Folgen: Die Umstellung auf Einbettzimmer macht die Pflege noch teurer für die alten Menschen oder ihre Angehörigen. Oder die Lage mit einem alten und kranken Angehörigen noch prekärer, weil die Verfügbarkeit freier Plätze sinkt.

Platz im Doppelzimmer oder Warten aufs Einzelzimmer?

Die Träger selbst stehen nach eigenem Bekunden zum Einzelzimmer-Grundsatz. Und es ist auch keine schöne Vorstellung, im Bett versorgt und gewaschen zu werden, wenn der Zimmernachbar zuschaut. Das wünscht sich niemand für sich selbst oder seine Lieben. Trotzdem stellt sich die Frage, war besser ist: Kein Einzelzimmer oder halt doch ein Doppelzimmer? Und, ja, es geht auch hier um Standards, die alle gut und nachvollziehbar sind, von denen wir uns aber fragen müssen, ob wir sie uns auch künftig leisten können.

Auch hier ist die Pflege nicht der einzige Bereich, in dem wir womöglich heute Strukturen schaffen, die eine Gesellschaft am Ende ihrer wirtschaftlichen Wachstumsphase vielleicht morgen nicht mehr bezahlen kann. Bitter ist im Fall der heutigen Senioren, dass es nun diejenigen Altersgruppen trifft, die zu dem jahrzehntelangen Aufschwung besonders viel beigetragen haben. Wenn aber die Entwicklung bald so ist, dass eine Kluft aufgerissen wird zwischen denen, die (oder deren Angehörige) sich Pflege leisten können, und denen, die nur noch Minimalversorgung bekommen, ist nichts gewonnen.

Es braucht auch Personal

Die Herausforderung wäre, in Konstanz und anderswo, durch die relative Verknappung von Pflegeheim-Plätzen schon groß genug. Hinzu kommt der Umstand, dass sich Familien immer weiter in alle Winde zerstreuen und viele alte Menschen keinerlei Kinder oder Enkel mehr vor Ort haben. Das setzt auch dem Systemwechsel auf mehr Pflege in den eigenen vier Wänden enge Grenzen. Und dann natürlich der Fachkräftemangel! Gute, moderne Arbeitsplätze für Pflegende sind eine sinnvolle Antwort darauf. Doch nur zu bauen und dann einfach zu hoffen, dass sich schon Personal finden wird, kann auch nicht Antwort sein.

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Am Ende braucht auch eine Stadtgesellschaft ein offenes und ehrliches Gespräch darüber, wie sie mit ihren ältesten Mitgliedern umgeht, was sie ihnen anbieten kann und was ehrlicherweise auch nicht. Wie sie Pflegeberufe attraktiv halten und Nachwuchs dafür gewinnen will. Was sie dafür tun kann, dass nicht an der einen Stelle ein Pflegeheim gebaut wird, nur um an einer anderen eines zu schließen. Und auf welche Belastungen sich Familien künftig wohl (wieder) einstellen müssen. Leicht ist das nicht – aber es geht um die Zukunft. Und die gehört eben nicht nur den Jungen, sondern auch den Alten.