Der Beifall ist langanhaltend und verteilt sich quer durch den Ratssaal. Nur bei den Bürgerlichen rührt sich kaum eine Hand, als Niklas Becker, Stadtrat von FGL&Grünen, seinen Beitrag beendet hat. SPD, Linke Liste, Junges Forum: Sie alle tragen offenbar den Vorwurf mit, den Becker soeben formuliert hat. Uli Burchardt, Oberbürgermeister der Stadt Konstanz und stellvertretender Vorsitzender der CDU-Kreistagsfraktion, überschreite seine Kompetenzen, wenn er in einem umfassenden Schreiben die nicht-staatliche Rettung von Flüchtenden auf dem Mittelmeer kritisiere.
Im Kern geht es dabei darum, dass Burchardt über die städtische Pressestelle und unterschrieben mit „Uli Burchardt, Oberbürgermeister der Stadt Konstanz“ eine Erklärung zu einer Angelegenheit des Kreistags versenden lässt, in der es wörtlich heißt: „Nichts ist gut in der Seenotrettung, und nichts ist gut in der Migration.“ Damit, so Becker, spreche Burchardt nicht für die Stadt als ganze, die er als Oberbürgermeister vertrete. Burchardt verstoße also gegen seine Neutralitätspflicht.
Hintergrund ist ein umstrittener Antrag der CDU-Fraktion im Kreistag, dass der Landkreis die Hilfsorganisation Sea-Eye nur noch unterstützen solle, wenn deren Schiffe die Geretteten zurück nach Afrika oder die Türkei und nicht mehr nach Europa bringe.
Aus Sicht der Grünen, aber auch des Sprecherrats des Flüchtlings-Helferkreises im Kreis Konstanz wäre das unmenschlich – und für Niklas Becker auch eine Aufforderung, gegen die Seerechtskonvention der Vereinten Nationen zu verstoßen. Zumal sich die Stadt Konstanz zum „sicheren Hafen“ erklärt habe, Sea-Eye ebenfalls unterstütze und sich so ausdrücklich gegen die Kriminalisierung der Seenotrettung positioniert habe.
„Ich hatte persönlich das Bedürfnis, mich zu äußern“
Eine derart offene Kritik am Oberbürgermeister ist selten im Konstanzer Gemeinderat. Entsprechend deutlich reagiert Burchardt. Er habe nur geschrieben, was die „Sichtweise von 90 Prozent der Bürgermeister in Deutschland“ sei. Es sei ein Thema, „zu dem ich persönlich das Bedürfnis hatte, mich zu äußern, weil hoher Druck auf mich ausgeübt wird“. Und er habe seine Stellungnahme abgegeben, weil er als Oberbürgermeister von Medien danach gefragt worden sei, wie sich das Handeln der der CDU-Kreistagsfraktion mit dem Beschluss der Stadt Konstanz in Sachen „Sicherer Hafen“ vereinbaren lasse.
Zugleich geht Burchardt aber auch auf Distanz: „Ich habe den Antrag nicht geschrieben, es ist der Antrag meiner Fraktion“, betont er, und er habe ihn auch nicht unterschrieben. Dass die Namen aller Fraktionsmitglieder unter dem Papier stehen, entspreche lediglich den üblichen Gepflogenheiten. Dennoch nehme er den Vorwurf – SPD-Stadträtin Zahide Sarikas sagt dazu noch, Burchardt habe „Futter der AfD gegeben“ – ernst. Er werde die Rechtsabteilung im Rathaus nun prüfen lassen, ob er tatsächlich gegen das Neutralitätsgebot verstoßen habe.