Was eine gute Moderation wert ist, zeigte sich im nahezu leeren Konstanzer Stadttheater bei der SÜDKURIER-Wahlarena – die Corona-Verordnung ließ außer den unmittelbar Beteiligten keine weiteren Personen in dem altehrwürdigen Haus zu.

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SÜDKURIER-Redakteurin Eva Marie Stegmann und ihr Kollege Torsten Lucht, Leiter der Lokalredaktion Konstanz, entlockten den Kandidaten auch ohne die sonst so hilfreichen unmittelbaren Reaktionen aus dem Publikum elementare und vielsagende Aussagen. Der Gewinner des Abends? In so einem Fall ist es der Wähler.

Die Vorstellung der Kandidaten

Es begann schon mit der Vorstellungsrunde. Levin Eisenmann (CDU), Jürgen Keck (FDP), Petra Rietzler (SPD), Nese Erikli (Grüne) und Thorsten Otterbach (AfD) verrieten gleich viel über sich und ihre An- und Absichten.

  • Levin Eisenmann hält nichts von Umfragen, nach denen er als Christdemokrat womöglich keine großen Chancen hätte, „denn dann hätte Stuttgart keinen CDU-Oberbürgermeister und in Freiburg wäre der Grüne Dieter Salomon noch OB„.
  • Jürgen Keck verspricht einen „demütigen Wahlkampf. Gesund und pragmatisch“.
Jürgen Keck (FDP)
Jürgen Keck (FDP) | Bild: Rau, Jörg-Peter
  • Petra Rietzler behauptet, als langjähriges Mitglied des Landeselternbeirats zu wissen, wie man Verbündete findet“, womit sie sich gerüstet sieht für die große Politik.
  • NeseErikli steht als alleinerziehende Frau ihrer Meinung nach „für die Vielfalt meiner Partei, denn wir haben einen Frauenanteil im Landtag von lediglich 25 Prozent“.
  • Thorsten Otterbach spricht sich gegen „unkontrollierte Einwanderung von Illegalen ein. Die wollen wir nicht“.

Hitzige Diskussionen beim Thema Corona

Bürger des Wahlkreises wurden in kurzen Videosequenzen eingespielt. Sie gaben mit ihren Fragen die Themenblöcke vor. „Corona ist der Elefant in jedem Raum. Da kommen wir nicht herum“, sagte Eva Marie Stegmann und ging damit auf Paula Bickel vom Ältestenrat Radolfzell ein, die die Impfregelung geißelte.

Levin Eisenmann verlangt eine „pragmatische Lösung“. Neulich sei er im Kloster Hegne gewesen, dort seien die Bewohner des Pflegeheimes geimpft worden, „nicht aber die Schwestern, die dort arbeiten, obwohl die das wollten. Die aber müssen sich einen Termin im Impfzentrum Singen organisieren“.

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Nese Erikli spricht von einer „Verwaltung des Mangels“ und sieht Zwänge bei der grün-schwarzen Landesregierung: „Wir sind an Vorgaben des Bundes und der ständigen Impfkommission gebunden. Allerdings sind wir bei der Impfung der über 80-Jährigen vorne“. Corona sei jedoch nicht dafür geeignet, Wahlkampf zu betreiben, „denn hier geht es um Menschenleben“.

Nese Erikli (Grüne)
Nese Erikli (Grüne) | Bild: Rau, Jörg-Peter

Jürgen Keck wollte sich diesen Worten nicht anschließen. Viele Dinge seien schief gelaufen und das sei auch eine Sache des Bundes, „aber andere Bundesländer sind besser dran. Wir müssen schon den Blick Richtung Sozialminister Manfred Luchta richten.“ Er vermisst einen Impf-Gipfel im Land, um Abläufe abzusichern.

Konstanz könnte ein eigenes Impfzentrum zwar vertragen, aber da das nicht ginge, schlug er Gratis-Taxifahrten nach Singen vor. Finanziert vom Land und vom Kreis.

Petra Rietzler denkt, dass es falsch war, nur ein Impfzentrum im Landkreis zu positionieren. „Konstanz ist nun mal die größte Stadt.“ 75 Prozent der Pflegebedürftigen würden außerdem zu Hause leben, „und die sind vergessen worden“.

Thorsten Otterbach sprach sich gegen ein weiteres Impfzentrum aus, „das würde dann auch leer stehen, weil zu wenig Impfstoff da ist“. Er verstehe auch nicht, „warum wir hier den Kampf führen, welches Bundesland das Einäugige unter den Blinden ist. Fakt ist: Es wurden zu wenige Impfmittel bestellt.“

Thorsten Otterbach (AfD)
Thorsten Otterbach (AfD) | Bild: Rau, Jörg-Peter

Er nannte Länder, in denen die Impfquote besser sein: Großbritannien oder Israel, „und selbst das Entwicklungsland Seychellen im Indischen Ozean hat mittlerweile 30 Prozent der Bevölkerung geimpft. In Deutschland sind wir bei drei Prozent“. Stand 8. Februar, dem Tag der Aufzeichnung der Wahlarena.

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Dabei verschwieg er jedoch, dass beispielsweise Israel seinen Impfstoff auch mit der Lieferung medizinischer Daten seiner Einwohner an die Pharmaindustrie bezahlt hat. Man kann sich vorstellen, wie groß der Aufschrei vor allem vonseiten der AfD wäre, wenn die EU dies ebenfalls so gehandhabt hätte.

Moderator Torsten Lucht stellte nun fest, dass Otterbach nicht die Stimme der Partei spreche – dort nämlich würden sich Corona-Leugner finden und Anhänger der Querdenker, für die Maßnahmen überzogen seien.

Eva Marie Stegmann und Torsten Lucht von der Lokalredaktion Konstanz übernahmen die Moderation.
Eva Marie Stegmann und Torsten Lucht von der Lokalredaktion Konstanz übernahmen die Moderation. | Bild: Rau, Jörg-Peter

Otterbach behauptete, dass es keine Übersterblichkeit gebe und auf Nese Eriklis Einwand, dass dies wohl alternative Fakten seien, entgegnete er: „Das sind keine Fakten, das sind Zahlen des Statistischen Bundesamtes.“ Nach denen hätte es keine Übersterblichkeit der Gruppe der Menschen bis 65 Jahren gegeben, wohl aber der vulnerablen Gruppe der über 80 Jährigen. Womit er sich selbst widersprach.

Ist die Region ein „digitales Entwicklungsland“?

Petra Rietzler hält nicht viel vom Begriff Homeschooling, „denn das würde bedeuten, dass die Eltern ihre Kinder daheim unterrichten müssten“. Es müsse Schule zu Hause heißen. Sie hält auch nichts davon, auch nach Corona damit fortzufahren, „denn Schule braucht Menschen“. Doch sie möchte das Thema Digitalisierung mitnehmen, „denn das würde die Kinder vorbereiten und fit machen für die Zukunft“.

Petra Rietzler (SPD)
Petra Rietzler (SPD) | Bild: Rau, Jörg-Peter

Levin Eisenmann sprach vom Digitalpakt Schule, von denen auch Schulen im Landkreis profitieren würden. „Mein Vorschlag wäre ein neues Schulfach, damit das Thema fest im Stundenplan verankert ist“.

Jürgen Keck fordert einen politischen Bildungsfrieden: „Es kann nicht sein, dass sich das in jeder Legislatur ändert.“ Schüler und Lehrer kämen nicht klar, wenn jedes Mal ein neuer Lehrplan entstünde.

Thorsten Otterbach fordert den konkreten Einsatz von Steuergeldern für Digitalisierung an Schulen und in der Verwaltung. Deutschland bezeichnete er als „digitales Entwicklungsland“.

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Nese Erikli, die sich selbst als Kind einer bildungsfernen Familie bezeichnet, ist der Meinung, dass Kita-Gebühren nach Einkommen der Eltern zu staffeln seien, „das wichtigste ist aber zunächst einmal die gute Betreuung, die wir sicherstellen müssen“.

Thorsten Otterbach echauffierte sich darüber, „dass Baden-Württemberg jährlich Milliarden in den Länderfinanzausgleich zahlt und die Empfänger ihre Kitas gebührenfrei machen, während bei uns Kita-Gebühren anfallen. Das kann nicht sein“.

Ein Atemzug, eine Antwort, ein Standpunkt

In einer ausgiebigen Fragerunde hatten die Kandidaten exakt einen Atemzug Zeit, ihren Standpunkt darzulegen. Alle waren sich weitgehend einig, dass Familien mit Kindern unterstützt und entlastet werden müssen – ebenfalls der Handel sowie kulturelle Einrichtungen. „Die Novemberhilfe darf kein Osterhase werden“, verlangte Levin Eisenmann.

Petra Rietzler möchte die institutionalisierte Kultur und die kleinen Initiativen stärken: „Ohne Kultur fehlt etwas im Leben.“ Nese Erikli berief sich auf die vielen Hilfen und Fördermittel der Landesregierung für Künstler oder Solo-Selbstständige auch schon vor der Pandemie, „außerdem haben wir ein Strategiepapier zur Belebung der Innenstädte aufgelegt“.

Levin Eisenmann (CDU)
Levin Eisenmann (CDU) | Bild: Rau, Jörg-Peter

Thorsten Otterbach sieht die Innenstadt als aussterbende Spezies: „Wir müssen schnell alle Geschäfte wieder aufmachen, wenn die Hygienemaßnahmen eingehalten werden.“ Jürgen Keck stimmt ihm zu: „Der Einzelhandel lebt vom Agieren und nicht von Click&Collect. Wir müssen Perspektiven bieten. Es herrscht eine ganz bittere Not.“

Die SÜDKURIER-Wahlarena im Video

Das Video der SÜDKURIER-Wahlarena mit den Kandidaten des Wahlkreises Konstanz finden Sie auf SK on Air in voller Länge.