So ein Verhalten hat der Richter noch nicht erlebt, sagt er mitten in der Verhandlung. Vor dem Landgericht Konstanz muss sich ein 37-Jähriger wegen versuchten Totschlags verantworten. Am zweiten Prozesstag ist es allerdings der erste Zeuge, der gleichzeitig als Nebenkläger auftritt, an den der Vorsitzende Richter Arno Hornstein deutliche Worte richtet. Der 27-Jährige, der im Oktober 2024 mit mehreren Messerstichen verletzt wurde, will dem Gericht auch auf mehrfache Nachfrage keine Namen der Personen nennen, mit denen er an diesem Tag unterwegs war.
Er war eigentlich schon auf dem Heimweg, sagt der 27-Jährige. Zuvor sei er mit Freunden in verschiedenen Bars gewesen. Als um fünf Uhr der letzte Laden schloss, seien sie zur Tankstelle in der Reichenaustraße gelaufen. In der Nähe des Bodenseeforums sei er dann auf eine Gruppe getroffen, der auch der Angeklagte angehört hatte.
Die Gruppe hätte laut miteinander diskutiert, der 27-Jährige wollte sie darum bitten, ruhig zu sein, erklärt er. Doch nach einem kurzen Wortwechsel hätte der Angeklagte ein Messer gezogen und es ihm an den Hals gehalten. Aus Reflex habe der 27-Jährige dessen Hand weggeschlagen, daraufhin seien die beiden getrennt worden. Von wem genau könne er nicht mehr sagen, es muss einer seiner Bekannten gewesen sein.
Wenige Minuten später soll jemand dem Geschädigten gesagt haben, der Angeklagte hätte ihn beleidigt. Daraufhin sei er nochmal auf den 37-Jährigen zugegangen, um das verbal zu klären, schildert er vor Gericht. Doch dazu sei es aber nicht gekommen. Unvermittelt hätte der Angeklagte ein Messer gezogen und mehrfach zugestochen. Zuerst habe der 27-Jährige gedacht, dass der Angeklagte nur „ein paar gute Treffer“ mit der Faust gelandet habe. Erst kurz darauf habe er gemerkt, dass er blutet.
Opfer drohte zu verbluten
Ein Rettungswagen brachte den 27-Jährigen ins Krankenhaus, es folgte eine Notoperation. Vor Gericht spricht auch eine Sachverständige, die am Institut für Rechtsmedizin in Freiburg arbeitet. Sie hat Akten, Krankenunterlagen und Fotos von den Verletzungen vor und nach der Operation erhalten. Aus den Unterlagen geht hervor, dass dem Opfer des Messerangriffs ein inneres Verbluten gedroht hätte. Mehr als 3,5 Liter Blut seien während der Operation aus seinem Bauchraum abgesaugt worden.
Zum genauen Hergang gibt es einige Fragen, die der Geschädigte aber nicht umfassend beantwortet. Schon bei den Namen der Bekannten, mit denen er an diesem Abend unterwegs war, möchte er keine Aussage machen. Auch der Hinweis des vorsitzenden Richters, dass die Namen bereits in der Akte vermerkt sind, ändert daran nichts. Nach mehrmaliger Nachfrage von Richter, Staatsanwältin und Verteidigerin, ob er diesen oder jenen Namen kenne, bestätigt er das. Dabei fallen auch deutliche Worte des Richters. So zu blocken, das habe er noch nicht erlebt. Auch der Tonfall der Antworten bringt dem 27-Jährigen eine Ansage vom Richter ein.
Immer wieder sagt das Opfer des Messerangriffs auch, dass er sich aufgrund der langen Zeit, die seit der Tat vergangen ist, nicht mehr zu 100 Prozent erinnern könne. Und er wolle keine falschen Angaben machen. Auch Unterschiede zwischen seiner Aussage vor dem Landgericht und in den zwei Vernehmungen durch die Polizei erklärt er dadurch. Das sei zwar verständlich. Trotzdem sagt Richter Hornstein deutlich, dass er einige der Aussagen nicht glaubt.
Zweiter Zeuge und Überwachungskameras
Ein zweiter Zeuge beschreibt die Situation an diesem frühen Morgen etwas anders. Er sei selbst mit einem Freund unterwegs gewesen und hätte dann an der Tankstelle den Geschädigten zufällig getroffen. An der Stelle am Seerhein, die kurz darauf zum Tatort werden sollte, seien einige Menschen gestanden. Man hätte sich unterhalten, sich gegenseitig bekannt gemacht. Wenige Minuten später kam dann auch der Geschädigte an diesem Ort an, erinnert sich der Zeuge.
Kurz danach sei es dann – für den Zeugen ohne erkennbaren Grund – zu dem Messerangriff gekommen. Er habe weniger als zwei Meter entfernt gestanden, erinnert er sich. Von dem vorherigen Vorfall, als der Angeklagte dem Geschädigten ein Messer an den Hals gehalten haben soll, habe er nichts mitbekommen. Auch sonst habe er vorher keinen Streit zwischen den Kontrahenten wahrnehmen können.
In dem Bereich um den Tatort gibt es mehrere Überwachungskameras. Zwei Ausschnitte der Aufnahmen, die die Tat zeigen, werden im Gerichtssaal abgespielt. Die Aufnahme startet um 6:52:44 Uhr. Wenige Sekunden später ist zu sehen, wie ein Mann zu Boden geht, ein anderer lässt von ihm ab. Gleich stehen mehrere andere um ihn herum, ein anderer Mann entfernt sich einige Schritte und telefoniert. Das passt zur Schilderung der Tat.
Auf einem anderen Video soll zu erkennen sein, dass der Angeklagte etwas wegwirft, als er sich vom Tatort entfernt. Ob es sich dabei um die Tatwaffe gehandelt hat, blieb zunächst offen. Diese und weitere Fragen werden vielleicht im weiteren Verlauf des Prozesses noch geklärt werden. Fortgesetzt wird das Hauptverfahren am Dienstag, 24. Juni, im Landgericht.