Eine Dankesrede vorbereiten? Steht noch auf ihrer Liste, sagte Maria Brendle aus Mühlhausen-Ehingen einige Tage vor der Oscar-Verleihung. Da war das ganz große Scheinwerferlicht schon greifbar nah und die Aufregung wuchs. So häufig kommt es dann doch nicht vor, dass man im Dolby Theatre in Los Angeles auf der Bühne steht und vor gesammelten Stars der Szene erklären darf, wem das preisgekrönte Werk auch zu verdanken ist. Wobei: Dass Preisträger aufstehen, ihre Lieben umarmen und zur Bühne laufen, sollte in diesem Jahr erstmals für acht Kategorien abgekürzt werden. Das Prozedere wurde kurz vor der dreistündigen Show aufgezeichnet, die Szenen wurden zusammen geschnitten und eingespielt.
Betroffen war auch die Kategorie des besten Kurzfilms – und damit Regisseurin Maria Brendle mit ihrem Kurzfilm „Ala Kachuu – Take and Run“ über die kirgisische Tradition des Brautraubs. So erfuhr sie schon kurz vor der live-übertragenen Show, dass sie nicht den Goldjungen nach Hause nehmen darf – und keine Dankesrede halten durfte. Stattdessen gewann „The Long Goodbye“ aus Großbritannien, wie Zuschauer gegen 3.42 Uhr zu sehen bekamen. Wer sonst noch die begehrten Oscars erhielt und wie eine Ohrfeige für einen Skandal bei der diesjährigen Verleihung sorgte, lesen Sie hier.
Allein die Nominierung hat viel bewirkt
Doch wer hätte gedacht, dass dieses Filmprojekt die 38-Jährige zu den Oscars führen würde? Sie selbst erzählte in Interviews immer wieder, wie schwer ihr die Vorstellung falle, tatsächlich zu gewinnen. Schon die Platzierung ihres Films auf der Shortlist, also der engeren Auswahl mit 15 möglichen Preisträgern, kurz vor Weihnachten sei ein riesiger Erfolg gewesen. Seitdem sprachen nicht mehr nur Besucher von Filmfestivals über die grausame Tradition des Brautraubs in Kirgistan, auf die Brendle aufmerksam machen wollte. Auch alte Hasen des Filmgeschäfts, die der Oscar-verleihenden Academy angehören, gaben ihm den Stempel „empfehlenswert“ – und ermöglichten damit ein ganz neues Publikum. Inzwischen läuft der Film in Schweizer Kinos, auch in Brendles alter Heimat Singen kam der 39-minütige Film endlich auf die große Leinwand.
Legt sich jetzt der ganz große Trubel?
Der Stempel einer Oscar-Nominierung wirkt auch für Maria Brendle selbst: Schon mit ihrem Erstlingswerk nach dem Studium in Zürich war sie im Rennen um einen Oscar, Jahre später empfahl sie sich erneut mit einem Herzensthema. Nach der Nominierung im Februar begann der große Trubel um sie und Produzentin Nadine Lüchinger von der Zürcher Produktionsfirma Filmgerberei. Einige Tage vor der Preisverleihung äußerte Maria Brendle die Hoffnung, nach den Oscars noch einige ruhige Tage in Los Angeles verbringen zu können. Ohne Druck.
Ob das gelingen wird, ist nach diesem internationalen Auftritt fraglich. Denn auch ohne dass Maria Brendle den Oscar gewann, hat nun ein internationales Millionenpublikum ihren Namen, ihren Film gesehen.

Der SÜDKURIER begleitet Maria Brendle und ihren Film seit Veröffentlichung:
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