Immer mehr junge Menschen leiden unter Essstörungen – häufig sind die Ursachen tief in der Biografie verankert. Um fundiert helfen zu können, baut Professorin Andrea Maier-Nöth an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen ein Weiterbildungsangebot im Bereich Ernährungspsychologie auf, das voraussichtlich im Herbst startet, informiert die Hochschule. Ziel ist es laut Mitteilung, Fachkräfte darin zu schulen, psychodynamische Hintergründe von Essstörungen zu erkennen und Betroffene sowie Angehörige kompetent zu begleiten.

Bachelorarbeit als Anstoß

Wie wichtig der ganzheitliche Ansatz ist, zeige auch die Bachelorarbeit von Ilka Eichwald. Die Studentin des Studiengangs Lebensmittel/Ernährung/Hygiene untersuchte, wie frühkindliche Erfahrungen, familiäre Strukturen und transgenerationale Traumata das Essverhalten beeinflussen – also seelische Verletzungen, die über Generationen weitergegeben werden. Eichwald zeige, wie stark frühkindliche Erfahrungen das spätere Essverhalten prägen können: So führen beispielsweise mangelnde Bindungserfahrungen oder unbewusste familiäre Muster dazu, dass Kinder dysfunktionale Glaubenssätze entwickeln – etwa „Ich genüge nicht“ oder „Ich muss immer stark sein“. Diese inneren Überzeugungen können im Erwachsenenalter zu unterschiedlichen Ausprägungen von Essstörungen führen. „Essstörungen sind häufig nicht das eigentliche Problem, sondern ein Ausdruck innerer Konflikte“, wird Eichwald zitiert. Und: „Viele Betroffene versuchen, über das Essverhalten emotionale Zustände zu regulieren – sei es durch Kontrolle, Vermeidung oder Überkompensation.“

Systemische und tiefenpsychologische Ansätze

Statt nur Symptome zu behandeln, setzen systemische und tiefenpsychologische Ansätze an der Wurzel des Problems an. Dazu gehören etwa Familienaufstellungen, Emotionsregulation während des Essens, körperorientierte Übungen und die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie. Ein weiterer zentraler Aspekt: die Einbeziehung von Angehörigen. „Auch das soziale Umfeld leidet oft mit und spielt zugleich eine wichtige Rolle im Aufrechterhalten oder Auflösen der Symptomatik“, erklärt Maier-Nöth. Angehörige sollen daher in einer qualifizierten Beratung die Möglichkeit erhalten, ihre Perspektive einzubringen, Verständnis zu entwickeln und zur Stabilisierung des familiären Systems beizutragen. Ziel des Weiterbildungsangebots ist es, Fachkräfte auszubilden, die essgestörte Menschen auf Augenhöhe begleiten.

Beratungskraft als verlässliche Anlaufstelle

„Wir wollen ein tieferes Verständnis dafür schaffen, wo Essverhalten seinen Ursprung hat“, sagt Maier-Nöth. „Nur so kann eine nachhaltige Veränderung gelingen – für Betroffene wie für ihr Umfeld.“ Da viele Menschen professionelle Hilfe suchten, stationäre und ambulante Behandlungsplätze rar seien, „kann eine ernährungspsychologische Beratungsfachkraft eine verlässliche Anlaufstelle über den gesamten Therapieverlauf hinweg sein und die Betroffenen in Form von Hilfe zur Selbsthilfe unterstützen und begleiten“.