Vorbeugen ist besser als Heilen. Seit einigen Jahren zeichnet sich im Kontrast zu Fast-Food-Ketten und zu hohen Bodymassindizes ein Trend zu gesteigertem Körperbewusstsein ab: Es gibt immer mehr Bio-Märkte, vegetarische und vegane Gerichte reihen sich an das Fleisch- und Fischangebot auf den Speisekarten auch eher konventioneller Restaurants. Der Besuch im Fitnessstudio bildet gleichermaßen männliche wie weibliche Körper, die die ideale Grundfläche für Tattoos aller Couleur bieten. Geformt wird von innen und von außen, in der Hoffnung auf einen gesünderen Körper, oder sei es auch nur, um zumindest so zu wirken.
Doch einer Tatsache ist schwer zu entkommen: Unser Leben ist verdichteter als noch vor einigen Jahrzehnten. Die Lebensarbeitszeit ist länger. Die beruflichen Anforderungen in vielen Sparten des Arbeitsmarktes sind gestiegen. Durch die neuen Medien ist ein Arbeitnehmer häufig auch außerhalb der festen Arbeitszeiten erreichbar. Stundenlanges Sitzen am Computer belastet die Rücken- und Nackenmuskulatur einseitig. Für viele kommt die Angst hinzu, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, können sie dem beschleunigten Rhythmus nicht standhalten. Fälle psychovegetativer Erschöpfung nehmen seit Jahren zu. Das mag ein Grund dafür sein, dass manch einer im Urlaub auf Entschleunigung und Stille setzt. Die freie Zeit nützt, um seine Gesundheit auf Vordermann zu bringen. Die medizinischen Reha-Einrichtungen der Stadt Radolfzell, Mettnau, von vielen Radolfzellern noch Mettnaukur genannt, sind auf diese Zielgruppe ausgerichtet.
Die Quote der Kurgäste, die den Aufenthalt an der Mettnaukur selbst bezahlen, liegt bei 50 Prozent. Robin Schulze, Chefarzt an der Werner-Messmer-Klinik, berichtet, dass mehrere hundert Gäste zu den sogenannten Vielfachwiederholern zählen. Sie nutzten in den vergangenen Jahren des Öfteren das breitgestreute präventive Angebot der Kur. Einige Spitzenreiter kommen seit 55 Jahren auf die Halbinsel. "Da haben wir etwas richtig gemacht", kommentiert Schulze.
In der Kur wird zu 60 Prozent präventiv gearbeitet. Die Patienten kommen, weil ihr Hausarzt ein Krankheitsrisiko festgestellt hat, weil der Betrieb, in dem sie beschäftigt sind, ihnen eine Kur anbietet oder nach positiven Erfahrungen aus eigenem Antrieb und tragen die Kosten selbst. 40 Prozent der Patienten nehmen Rehabilitationsbehandlungen in Anspruch. Nachdem ein Patient nach größeren Operationen in der Regel nurmehr wenige Tage im Krankenhaus verbringt, übernehmen Rehabilitationseinrichtungen wie die Mettnaukur ebenfalls Anschlussheilbehandlungen.
Doch das Ziel, das man in den medizinischen Reha-Einrichtungen der Stadt Radolfzell anstrebt, sei es, möglichst viele der schweren Gesundheitsschädigungen zu vermeiden. Schulze zitiert Zahlen der Weltgesundheitsorganisation, nach denen 80 Prozent aller Fälle von Erkrankungen der Herzkranzgefäße und 90 Prozent von Erwachsenendiabetes vermeidbar wären. In einigen Bereichen der Medizin werde schon vorwiegend vorbeugend gearbeitet. War etwa ein Zahnarzt vor 100 Jahren hauptsächlich damit beschäftigt, Zähne zu ziehen, so verwende er heute 65 Prozent der Behandlungszeit auf die Prophylaxe. Diese Entwicklung wünscht Schulze sich auch für andere Bereiche. Vor allem für die Kardiologie. Hier sieht er ein großes Manko bei Vorsorgeuntersuchungen.
Während die Krebsvorsorge nach unserem Gesundheitssystem, vor allem für Frauen, noch engmaschig ablaufen kann, sind keine regelmäßigen Untersuchungen des Herzens vorgesehen. Unter anderem in dieser Lücke setzen die Reha-Betriebe der Mettnau an. Für jeden Patienten, der sich für eine präventive Kur entscheidet, werde eine individuelle Therapie zusammengestellt, sagt Kurdirektor Eckhard Scholz. Durch ein multiprofessionelles Team und mehr Zeit für Gespräche wolle man erreichen, dass ein Patient nicht nur in den drei Wochen seines Kuraufenthaltes, sondern auch in den restlichen Wochen des Jahres ein Plus an Lebensenergie genießen kann. Auf die Bedürfnisse des Körpers sensibler zu reagieren, darin wolle man die Patienten stärken, sagt Scholz. Das soll die Stoßrichtung für die nächsten Jahre sein, denn, so Scholz: "Man hat nur eine Gesundheit."
Reha-Einrichtungen und Angebote
- Gebäude: Zu den medizinischen Reha-Einrichtungen der Stadt Radolfzell, Mettnau, wie die Mettnaukur offiziell heißt, gehören vier Kliniken. Die Kurpark-Klinik kann unter den Gebäuden, die heute zum Klinikkomplex zählen, auf die längste Geschichte zurückblicken. Hier, wie auch in der Hermann-Albrecht-Klinik und der Klinik Seehalde, können Gäste präventiv behandelt werden oder Rehabilitationsmaßnahmen in Anspruch nehmen. In der Werner-Messmer-Klinik werden zusätzlich zum Präventiv- und Reha-Programm Anschlussheilbehandlungen nach Operationen durchgeführt. In der Werner-Messmer-Klinik stehen 220 Betten zur Verfügung.
- Angebote: Die Kur bietet medizinische und psychologische Betreuung, Ernährungsberatung sowie sportliche Aktivitäten und therapeutische Anwendungen. Spezialisiert ist die Mettnau-Kur auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Weitere Schwerpunkte sind Stoffwechselerkrankungen wie Übergewicht oder Fettstoffwechselstörungen. Vermehrt kommen auch Patienten, die unter Erschöpfungszuständen leiden. Nach einer medizinischen Untersuchung zu Anfang des Aufenthalts wird für jeden Patienten ein individuelles Programm zusammengestellt. Beratungen werden in Form von Vorträgen oder Einzelgesprächen angeboten. Zum Sportangebot gehören neben Gymnastik, Laufen und Schwimmen auch ungewöhnlichere Sportarten wie Zumba, Bogenschießen oder Klettern.
- Geschichte: Die traditionsreiche Einrichtung hat ihre Anfänge im Jahr 1958, als eine Sportkur auf der Mettnau eröffnet wurde. Der damalige Bürgermeister war Hermann Albrecht, nach dem inzwischen eines der Gebäude der Mettnaukur benannt ist. Zunächst war die Kur an das Radolfzeller Krankenhaus angeschlossen, erst 1965 wurde sie laut der Festschrift zum 50-jährigen Bestehen selbstständig. Der erste Leiter war der Sportmediziner Adolf Drews. Der jüngste Schritt bei der Neugestaltung der Reha-Einrichtung war die Eröffnung eines neuen Gästehauses als Anbau an die Hermann-Albrecht-Klinik im Frühjahr dieses Jahres. (rei/eph)