Die Überraschung kurz vor Weihnachten war groß. Das Sozialministerium des Landes Baden-Württemberg hatte seine anfängliche Ablehnung der Projektförderung für ein geburtliches Gesundheitszentrum in Radolfzell in eine Zusage umgewandelt. Seit einem halben Jahr arbeiten Bürgermeisterin Monika Laule und die Hebammen Mela Pinter und Oktavia Kamra an einem Konzept für solch ein Gesundheitszentrum. Nun soll alles ganz schnell gehen.

Hebammen-Plattform für mehr Übersicht

Bereits im Frühjahr 2020 soll eine Hebammen-Zentrale eingerichtet werden. Ziel ist es die freiberuflichen Hebammen aus Radolfzell auf einer Plattform zu bündeln und so besser zu koordinieren. Gleichzeitig sollen Qualitätsmanagement und Administration ebenfalls zentral geregelt werden, sodass die Geburtshelferinnen mehr Zeit für die Betreuung der Frauen haben.

Hebammen sollen mehr Zeit mit ihren Schwangeren bekommen und weniger am Schreibtisch sitzen

„Fast 40 Prozent der Arbeitszeit der Hebammen gehen für Verwaltung drauf“, sagt Hebamme Mela Pinter. Durch die Einrichtung einer Zentrale könnten die Hebammen viel Zeit für ihre eigentliche Arbeit gewinnen. Ressourcen die angesichts immer weniger Hebammen und immer mehr werdenden Müttern dringend gebraucht werden.

(von links) Bürgermeisterin Monika Laule, Maria Engelmann, Personalleiterin von Engmatec, die beiden Hebammen Mela Pinter und Oktavia ...
(von links) Bürgermeisterin Monika Laule, Maria Engelmann, Personalleiterin von Engmatec, die beiden Hebammen Mela Pinter und Oktavia Kamra und Oberbürgermeister Martin Staab. | Bild: Schneider, Anna-Maria

Sie wolle nicht von einem Hebammenmangel sprechen, den es gäbe genug Hebammen. Nur hätten sich einige aus dem aktiven Dienst zurückgezogen, weil die Arbeitsbedingungen nicht mehr tragbar waren oder weil sie die hohen Versicherungsprämien nicht mehr leisten konnten. Andere, die noch aktiv sind, können nicht genügend Frauen aufnehmen, weil ihnen die Zeit fehle.

„Ich bekomme jede Woche rund 60 Anfragen. Das ist keine komplizierte Situation, das ist ein Mangel an Versorgung, der eigentlich nicht sein müsste“, so Pinter.

Wochenbett-Sprechstunde und -Ambulanz für dringende Fragen

Des weiteren sei geplant, eine Wochenbett-Sprechstunde und Wochenbett-Ambulanz einzurichten, damit auch Frauen, die keine Hebamme gefunden haben, eine geburtliche Betreuung erhalten. „Viele Frauen landen mit ihren Fragen beim Gynäkologen, Kinderarzt oder sogar in der Notfall-Ambulanz, obwohl ihnen nur gezielt eine Hebamme helfen kann, sie aber keine haben“, erklärt Oktavia Kamra.

Durch eine Wochenbett-Sprechstunde könne man auch die anderen Abteilungen entlasten und den werdenden Müttern die Hilfe zukommen lassen, die sie brauchen. Ebenfalls soll das Gesundheitszentrum eine Anlaufstelle für junge Hebammen und Wiedereinsteiger sein, da dort Informationen und Fortbildungen gebündelt zur Verfügung stehen.

Geburtshaus Roseninsel schloss 2014

Die Hebammen Mela Pinter und Oktavia Kamra haben viel Erfahrung als Geburtshelfer und kennen sich mit der Organisation und Struktur der Hebammenarbeit bestens aus. Oktavia Kamra musste das Gebutshaus Roseninsel  2014 wegen Personalmangel schließen. Seit 2017 können in Radolfzell – außer Hausgeburten – gar keine Kinder mehr auf die Welt kommen.

Werden künftig leer bleiben: Babybetten auf der Radolfzeller Geburtsstation.
Werden künftig leer bleiben: Babybetten auf der Radolfzeller Geburtsstation. | Bild: Jarausch, Gerald

Im März 2017 schloss die Geburtenstation am Krankenhaus. Was die Situation für werdende Mütter verschärft hatte. Aus diesem Grund sei es langfristig das Ziel, im zweiten Teil der Landesförderung durch das Sozialministerium auch das Geld für ein Geburtshaus zu bekommen. Dies könne schon 2021 der Fall sein. Träger der Einrichtung wäre der Spitalfond der Stadt Radolfzell.

Bürger beteiligen sich an den Kosten

Ganz im Sinne des Spitalfonds, das wohlhabende Bürger sich für die Grundversorgung anderer einsetzen, wird auch das geplante Gesundheitszentrum von einer Radolfzeller Familie finanziell unterstützt.

Das Ehepaar Maria und Josef Engelmann von der Firma Engmatec haben laut eigener Aussage nicht lange überlegt, als sie von den Plänen der Stadt hörten. „Die Zukunft der Gesellschaft beginnt mit der Geburt eines jeden Einzelnen“, sagt Maria Engelmann. Wolle man die Familien unterstützen, müsse man die ersten Schritte ins Leben optimal begleiten.

Radolfzell soll als Pilotprojekt dienen

Gleichzeitig wird das Projekt von der Universität Konstanz begleitet. Dort wolle man herausfinden, wie sich so ein Konzept auf eine andere Kommunen übertragen und umsetzen ließe. Radolfzell dient dabei als Vorreiter in der städtischen geburtlichen Versorgung.

Laut Oberbürgermeister Martin Staab seien bis zu 100 000 Euro Fördergelder vom Land zu erwarten. Mit einem gewissen Eigenanteil und der Spende der Familie Engelmann sei die Einrichtung des Gesundheitszentrums für geburtliche Vor- und Nachsorge „sehr gut zu bewerkstelligen“, so Staab.

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