Ein bisschen sind wir doch alle Loriot zwischen den Feiertagen, und der Spruch „Früher war mehr Lametta“ kann und wird gnadenlos auf alles heruntergebrochen, was sich zwischen Weihnachten und Dreikönig so abspielt: Früher war mehr Raclette, na klar, früher war sogar mehr Fondue. Früher war auch mehr Pasteten oder Schinken im Brotteig, dafür gibt‘s eh kein vernünftiges Rezept. Früher war mehr Schnee und früher war mehr Mühsal, die Tanne gerade in einen Baumständer gesetzt zu bekommen.
- Früher war mehr Weihnachtspost. Ja, auch die Redaktion Radolfzell bekennt sich schuldig, weniger Weihnachtskarten als sonst üblich in die weite Welt der Unterseemetropole und an die Gestade der Höri verschickt zu haben. Lag es nun daran, dass uns Weihnachten 2021 mit einem frühen ersten Advent so viel Vorlauf gegeben hat? Oder daran, dass die Karten – gefühlt – so spät zum Verschicken auf den Redaktionstisch kamen? Egal, es muss anderen noch schlimmer ergangen sein, bei ihrem Kampf gegen die Schreib- und Verschickungsstarre kurz vor Weihnachten. In der Redaktion Radolfzell kamen gerade noch etwa 30 Weihnachtsgrüße an, wir haben so an die 80 verschickt. Früher kamen über 50 Weihnachtsgrüße an und wir haben über 100 verteilt.
- Früher war mehr Tinte. So gut wie keiner mehr bemüht beim Kartenschreiben für den handgeschriebenen Gruß den edlen Füllfederhalter. So etwas steht heute nicht mehr auf dem Schreibtisch, so was wird von den Verwaltungen jedweder Art erst gar nicht mehr vorgehalten. Zu was gibt es Faksimile – also gedruckte Unterschriften –, die auch noch jeder lesen kann? Eben, damit die mit den Füllfederhaltern besonders herausstechen. Das sind Johannes von Bodman von der gräflichen Familie auf der anderen Seite des Bodanrücks und Markus Zähringer, Schulleiter des Berufsschulzentrums Radolfzell. Es ist nicht ihr einziges Alleinstellungsmerkmal, beide haben Unterschriften, die als Schriftzug lesbar sind. Diese Gabe hat nicht jeder.
- Früher war mehr Karte. Briefe und Mails lösen die gute, alte Weihnachtskarte ab. Diesem Zeitgeist stemmen sich die Landtagsabgeordnete Nese Erikli, Stadtrat Christof Stadler und Geschäftsführer Axel Nieburg von der Baugenossenschaft Hegau entgegen, um drei ausgewählte Verschicker zu benennen. Die drei legen großes Augenmerk auf die Gestaltung ihrer Karten. Fotograf Oliver Hanser hat Nese Erikli am Güttinger See mit Kerze in Szene gesetzt, Stadtrat Stadler hat die Alpen und das Münster aufs Eindeckblatt gehoben und Erich Kästner zitiert: „Rundheraus: Das alte Jahr war keine ausgesprochene Postkartenschönheit, beileibe nicht.“ Aha, so war das. Verschmitzt unheilig kommt die Baugenossenschaft Hegau mit dem „Hohoho“ des (amerikanischen) Weihnachtsmanns an seine Rentiere daher und mit Werbung für Bausachen: Fotos von Sonnenlichtspielen durch Schiebeläden und Treppenhäusern schwarz auf weiß, das bietet die Hegau in den Praxedis-Gärten in Singen. Axel Nieburg mag‘s modern.

- Früher war weniger Gemeinsamkeit. Zu dieser Weihnacht ist eine überraschende Einsendung aufgetaucht, es gibt eine vereinte Weihnachtspost per E-Mail aus dem Rathaus Radolfzell: „Glück, Gesundheit und persönliches Wohlergehen mögen Sie im neuen Jahr 2022 ständig begleiten!“ Unterschrieben ist der Wunsch von Simon Gröger, „Oberbürgermeister“, und Monika Laule, „Erste Bürgermeisterin“, bebildert ist die Mail mit einem Werk von Kindern der Kinderwohnung Radolfzell.
- Früher war mehr Kalender. In Zeiten wie diesen, in denen jeder seinen Kalender im Handtelefon mit sich herumträgt, ist es aus der Mode gekommen, zu Weihnachten Kalender zu verschenken und zu verschicken. Doch wenn einer kommt, zieht er alle Aufmerksamkeit auf sich. Wie der „Typo-typisch“-Kalender des Berufsschulzentrums Radolfzell, in dem Schüler des Technischen Gymnasiums die Stadt verteilt auf zwölf Monate in Szene setzen. Mehr Radolfzell, Münster und Untersee in Wort und Bild in einem Kalender war selten.

- Früher waren mehr Zitate. Die Anzahl der geflügelten Worte eines klugen Kopfes, die sich auf Weihnachtsgrüßen wiederfinden, scheint an einem Sättigungsgrad angekommen zu sein. Immer öfter genügen einfache „Weihnachtsgrüße aus Radolfzell“, wie etwa vom Team der Tourismus- und Stadtmarketing GmbH. Stilvoll auf einer Karte mit dem Konzertsegel als Krippe verewigt. Natürlich darf es auch ein Vers des Lyrikers Rainer Maria Rilke zur Geburt Christi sein: „Hättest Du die Einfalt nicht, wie sollte dir geschehen, was jetzt die Nacht erhellt? Sieh, der Gott, der über Völkern grollte, macht sich mild und kommt in dir zur Welt.“ Richtig, in diesen Höhen schwebt die Schule Schloss Gaienhofen auf ihrem Weihnachtsgruß. Stilecht mit einer Zeichnung ihres Haus-Künstlers Antonio Zecca. Letzte Frage: Fährt der Tannenbaum auf einem Skateboard vor oder täuscht das? – Wir haben es befürchtet: Früher waren mehr stehende Tannenbäume.