Es gibt sie noch, die Helden der Weihnachtspost, die sich wacker dem Trend des elektronischen Weihnachts- und Neujahrsgrußes widersetzen und mit einer gedruckten und von Hand unterschriebenen Karte, verschickt im guten alten Brief, ihre Empfänger beglücken. Wie viel Arbeit dahinter steckt, lässt sich nur erahnen, wenn man die Zahl der Adressaten schätzt.
- Held der Unterschrift: Wie viele Weihnachtskarten vom schaukelnden Ruderboot vor der Insel Reichenau mag der Konstanzer Bundestagsabgeordnete Andreas Jung verschickt haben? 1000, 2000, 3000? So ein Parlamentarier in seiner Gewichtsklasse als stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion in Berlin bekommt das Unterschriftenleisten als Hausaufgabe für die Nachtschicht mit. Da zahlt es sich auf Dauer aus, dass der Nachname nur aus einer Silbe besteht. Auch beim Vornamen will bei dieser Menge gespart sein. Ein „Andi“ macht mindestens zwei Schwünge weniger mit dem Füllfederhalter als ein „Andreas„ und spart bei diesem Unterschriftenmarathon entscheidend Zeit.
- Heldin der Individualität: Als Landtagsabgeordnete dürfte Nese Erikli (noch) nicht die Grußadressenzahl von Andreas Jung erreichen. In die Nähe der vierstelligen Zahl mag aber die Abgeordnete der Grünen kommen. Sie hat die persönlichste aller Karten geschickt. Zum einen hat Nese Erikli neben der Unterschrift noch ein paar Zeilen geschrieben, zum anderen ist sie selbst Modell gestanden. Das Foto zeigt die Abgeordnete, wie sie nahe der alten Rheinbrücke in Konstanz die Hand ihrer Tochter hält. Die Botschaft schwingt mit: Politikerin und Mutter – das geht.
- Held der Pressemitteilungen: Geschäftsmäßiger geht der Radolfzeller Landtagsabgeordnete Jürgen Keck die Sache an. In seinem Newsletter kokettiert er mit Weihnachtsmannmütze und der Schlagzeile: „Überraschung zum Fest statt Weihnachtskarten.“ Anstatt in Karten habe er das Geld in einen Tischkicker investiert und ihn der karitativen Werkstätte Seewerk in Radolfzell geschenkt. So ein E-Mail-Weihnachts-Neujahrsnewsletter hat auch seine praktischen Seiten. Keck hat dem Weihnachtsgruß gleich noch zehn Seiten Pressemitteilungen über seine aktuelle Arbeit angehängt. Damit nicht vergessen wird, was er alles macht.
- Held der unzähligen E-Mail-Adressen: Vielleicht hat Singens OB Bernd Häusler 2018 nach dem Unterschreiben der Weihnachtskarten unter Ermüdungserscheinungen im Handgelenk gelitten. Er ist ins Lager der E-Mail-Verschicker gewechselt. In seinem Datensatz lassen sich 346 Adressen zählen, was ein Verweis auf früher geleistete Unterschriftenarbeit ist. Dieser Wechsel ins elektronische Fach ist ein außerordentlicher Verlust. Die Weihnachtskarten aus dem Rathaus Singen zählten bisher zur Kategorie künstlerisch ausgesprochen wertvoll. Die E-Mail-Post ziert wenigstens ein farbiges Bild von der Museumsnacht 2019. Beim stichprobenartigen Überprüfen der Adressenliste fällt auf, die aktuellen Stadträte fehlen. Für seine 32 Parlamentarier hat Bernd Häusler dann wahrscheinlich zu einer „echten“ Karte gegriffen und von Hand unterschrieben. So ein ausgesuchter und damit noch wertvollerer Gruß kann sich auf Dauer politisch bezahlt machen.
- Held der Auslegung: Mit rein irdischen Dimensionen hält sich der Stadtrat und Pfarrgemeinderatsvorsitzende Christof Stadler nicht auf. Er hat seine Weihnachtskarte mit Motiven aus den farbigen Glasfenstern des Radolfzeller Münsters zusammengestellt. Die fünfblättrige Rose verweise auf die fünf Wundmale Jesus Christus, die von zwei Tieren der Wachsamkeit flankiert sei, dem Fuchs und der Gans. Die Gänse seien wegen ihrer Wachsamkeit vor den Stadttoren gehalten worden und seien Symbole der Geistigkeit und Hingabe. Der Fuchs dagegen, nutze seine Schläue nur zum eigenen Vorteil. Stadler schreibt, die vermeintliche Idylle der Krippe genüge nicht: „Es braucht Wachsamkeit und Solidarität, damit wir uns dem Unfrieden unserer Tage entgegenstellen und etwas zum Leuchten bringen, was den Menschen dient.“

- Held der Geschenkverschickung: Es ging nicht gerade das Licht an, aber gegrinst haben wir schon, als die Post aus dem Rathaus Radolfzell eingetroffen ist. OB Martin Staab hat es nicht bei einem Gruß zu Weihnachten und dem Wunsch für „einen guten Rutsch“ belassen, er hat auch ein kleines Buch als Präsent mitgeschickt. ZDF-Nachrichten-Mann Claus Kleber hat das 96 Seiten starke Werk geschrieben, der Titel lautet „Rettet die Wahrheit“. Wir in der Redaktion sehen das mal positiv und nehmen es als Auftrag, nicht als bösen Wink mit dem Zaunpfahl.
Aus der digitalen Welt
Gerade aus der digitalen Welt rechnet man mit elektronischer Post. Aber Wahrheit und Wirklichkeit sehen anders aus. Das Radolfzeller Software-Unternehmen Sybit hat uns eine „analoge“ Karte geschickt. Geschäftsführer Thomas Regele schreibt: „Normalerweise sind wir ja viel zu digital für Print-Weihnachtskarten. Aber besondere Adressaten erfordern besondere Maßnahmen.“ So schaut‘s aus, Sybit rettet die Weihnachtskarte.