Die Bombardierung ihrer Heimatorte, Vertreibung, Trennung von Familienmitgliedern – es sind traumatisierende Erlebnisse, die hinter vielen ukrainischen Kindern liegen. Auch an Kindern, die in Deutschland Zuflucht gefunden haben, geht das nicht spurlos vorbei. Das kann Natalia Hurvich berichten, Lehrerin und Kunstpädagogin aus dem ukrainischen Odessa, die seit April in Deutschland lebt und in Gaienhofen einen Wohnort gefunden hat.

Über den Freundeskreis Asyl bot sie in Radolfzell im vergangenen Jahr eine Kinderbetreuung an – und bemerkte, dass die Kinder Hilfe brauchen. Gezeigt habe sich das, weil sie sich im Spiel etwa unter Tischen vor Bomben versteckten oder Angst hatten. „Und es gab auch viele Kinder, die sehr schüchtern waren“, berichtet Anna Riedle, die für Natalia Hurvich übersetzt.

Sie wollte sich mehr einbringen

Natalia Hurvich, die während ihrer Ausbildung als Lehrerin auch psychologisches Wissen erworben hat, wollte helfen. Dafür wandte sie sich an die Diakonie in Radolfzell. „Sie kam zu uns und sagte, sie würde sich gerne mehr einbringen“, erinnert sich Anke Brednich, Leiterin des Fachbereichs Frauen, Migration und Soziales. Und sie habe selbst die Idee mitgebracht, für ukrainische Kinder Puppentheater anzubieten. Aufgeführt habe sie ein solches schon in ihrer Heimat.

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Gesagt, getan: Seit Oktober gibt es das Angebot für die Kinder bei der Diakonie. Zweimal in der Woche betreut Natalia Hurvich im TeggIn 10, den Räumlichkeiten der Diakonie in der Teggingerstraße, Gruppen für ukrainische Kinder. An einem Termin werde dabei geübt, wie man sich richtig auf der Bühne verhalte, wie man Präsenz zeige und deutlich spreche. An einem zweiten Termin werde mit Puppen gespielt und Theaterstücke eingeübt. Die einstudierten Stücke konnten die Kinder auch schon präsentieren: An drei Aufführungen traten sie bereits auf, unter anderem im Mehrgenerationenhaus vor weiteren geflüchteten Kindern.

Zusätzlich bietet Natalia Hurvich noch eine Malgruppe an. Ursprünglich habe sie geplant, darin andere Kinder aufzunehmen, schlussendlich stammen aber viele Kinder aus den Theatergruppen. In den Malgruppen malen sie etwa Dekorationen für die Aufführungen.

Die Rückmeldungen sind positiv

Das Angebot werde gut angenommen. Zu Beginn habe Natalia Hurvich eine Einladung in Telegram-Gruppen ukrainischer Geflüchteter gestellt. Bereits am ersten Tag seien alle Plätze – immerhin insgesamt etwa 20 – belegt gewesen. Außerdem seien nach jeder Aufführung weitere Kinder gekommen, die mitmachen wollten.

Ukrainische Kinder führen ein Stück im Mehrgenerationenhaus in Radolfzell auf.
Ukrainische Kinder führen ein Stück im Mehrgenerationenhaus in Radolfzell auf. | Bild: Marinovic, Laura

Und auch die Rückmeldungen seien gut: „Eltern bedanken sich bei ihr und sagen, dass die Kinder gerne kommen“, erzählt Anna Riedle, die Natalia Hurvich auch bei der Organisation geholfen hat – etwa der Beschaffung der Puppen für die Theatergruppen.

Weniger Angst und mehr Selbstbewusstsein

Es gibt weitere positive Entwicklungen zu vermelden: Denn wie Natalia Hurvich berichtet, helfe das Angebot den Kindern tatsächlich, mit ihren traumatischen Erlebnissen umzugehen. „Die Kinder haben nicht mehr das Bedürfnis, sich zu verstecken“, berichtet Anna Riedle. Durch die Übungen würden sie Selbstbewusstsein gewinnen und wieder mehr aus sich herauskommen. „Und man merkt total, dass sie sehr laut und deutlich reden“, sagt Anke Brednich.

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Neben den Übungen helfe auch, dass die Gruppenmitglieder „wie eine kleine Familie“ seien, so Riedle. Natalia Hurvich bemühe sich, dass die Kinder sich wohlfühlen, unterstütze sie und höre ihnen zu, wenn sie von ihrem Tag erzählen. Die positive Entwicklung sei für Hurvich „das pure Glück“. Sie erhalte selbst viel positive Energie zurück.

Ihre Bilder sollen gezeigt werden

Die Angebote von Natalia Hurvich sollen laut Anke Brednich auf unbestimmte Zeit fortgeführt werden. Und sie plane noch ein weitere Projekt: eine Ausstellung im Hospizzentrum in Singen. Denn in der Ukraine habe sie als professionelle Fotografin gearbeitet und Portraits geflüchteter Kinder aufgenommen – unmittelbar, nachdem sie in Deutschland ankamen und nach einer Weile des Aufenthalts.

Zeigen ihr Können beim Puppenspiel (von links): Solomiya Kitsela, Viktor Chabanenko, Katerina Kravets, Polina Panchenko und Dmitriy ...
Zeigen ihr Können beim Puppenspiel (von links): Solomiya Kitsela, Viktor Chabanenko, Katerina Kravets, Polina Panchenko und Dmitriy Chabanenko | Bild: Marinovic, Laura

„Man hat gemerkt, wie die Kinder sich verändern“, übersetzt Anna Riedle für Natalia Hurvich. Das Motto der Bilderserie sei daher die Dankbarkeit gegenüber Deutschland für die Rettung der Kindheit. Die Bilder will Anke Brednich gerne auch in Singen zeigen – mit jeweils einer kleinen Geschichte zu den fotografierten Kindern.