Die Logopädin und angehende Traumatherapeutin Ulrike Dischereit aus Radolfzell ist sauer auf das Landratsamt Konstanz. Das hat angewiesen, dass die 100 ukrainischen Flüchtlinge, die bis jetzt in der Mettnauhalle in Radolfzell untergebracht sind, in dieser Woche nach Engen in die Stadthalle verlegt werden. Das Landratsamt gibt als Grund für die Verlegung die Verpflegungsfrage an. In der Stadthalle Engen hätten die Flüchtlinge eine Kochgelegenheit zur Selbstversorgung. In der Mettnauhalle sollen nun nur noch Asylbewerber untergebracht werden, ihre Funktion als Sporthalle könne sie erst dann wieder aufnehmen, wenn es andere Unterbringungsmöglichkeiten wie Leichtbauhallen gebe, so das Landratsamt.
Ankündigung vor einer Woche
Ulrike Dischereit versteht, dass die Unterbringung von Flüchtlingen ein schwieriges Geschäft sei und es auch einmal eine Verlegung geben könne. Was Ulrike Dischereit allerdings kritisiert, ist, wie man das an die Leute in der Mettnauhalle herangetragen habe. Vergangenen Mittwoch und Donnerstag erst hätten die Ukrainer in der Mettnauhalle erfahren, dass sie Radolfzell verlassen müssten. Obwohl es anfangs hieß, sie seien bis zum 1. Dezember in Radolfzell, um dann eine Anschlusslösung in Radolfzell zu finden. „Und dann werden sie einfach nach Engen verfrachtet“, empört sich Ulrike Dischereit.
Die Logopädin betreut selbst einen Ukrainer, der in der Mettnauhalle untergebracht war. Sie schildert, was der Wechsel in der Unterbringung für die Flüchtlinge bedeutet: „Die Kinder müssen wieder aus der Schule, Leute die hier einen Job haben, werden ihn verlieren“, vermutet Dischereit. Denn sie könnten sich ein Drei-Zonen-Ticket des Verkehrsverbunds für die Strecke zwischen Engen und Radolfzell nicht leisten.
Ulrike Dischereit: „Das ist eine Zumutung“
„So geht man nicht mit Menschen um, das ist eine Zumutung“, sagt Ulrike Dischereit. Sie würden aus ihrem sozialen Kontext gerissen, ihre Unsicherheit, ihre Ängste würden durch die erneute Verlegung verstärkt. „Sie sind bereits mehrfach abgeschoben worden und werden erneut verlegt.“ Man habe diese kriegstraumatisierten Flüchtlinge nicht gefragt und habe sie einfach übergangen, erste mühsam angebahnte Kontakte würden unterbrochen. „Das ist alles andere als integrationsfreundlich“, findet Ulrike Dischereit.
Das Landratsamt Konstanz als zuständige Behörde begründet die Verlegung der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine nach Engen mit dem zunehmenden Platzbedarf für Asylsuchende. Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sind laut Bundesamt für Migration Flüchtlinge in der Regel keine Asylsuchende, ihnen wird auf entsprechenden Antrag eine Aufenthaltserlaubnis zum vorübergehenden Schutz erteilt. Anders verhält es sich für Flüchtlinge aus den Krisen- und Kriegsgebieten wie Syrien und Afghanistan, sie stellen in der Regel einen Asylantrag. Diese beiden Länder stellen nach einer Statistik der Online-Plattform Statista im Oktober mit knapp 80.000 Asylbewerbern das größte Kontingent für Asylsuchende.
Was das Landratsamt sagt
Warum die ukrainischen Kriegsflüchtlinge nach Engen verlegt werden und die Asylsuchenden in die Kreissporthalle auf der Mettnau untergebracht werden sollen, sei in den Regeln für die Verpflegung begründet, so das Landratsamt. Pressesprecherin Marlene Pellhammer schreibt auf SÜDKURIER-Anfrage: „Asylsuchende erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Hier ist es möglich, die Verpflegungskosten als Sachkosten über das Catering abzudecken.“
Die Frage der Bezahlung
Bei den ukrainischen Geflüchteten, die bereits Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch beziehen, sei es nicht möglich, die Verpflegung als Sachkosten abzubuchen. „Sie erhalten den vollen Leistungssatz ausgezahlt. Eine Einbehaltung funktioniert nicht“, so Pellhammer. Die Einführung eines Bezahlsystems für die Mahlzeiten der Ukrainer sei aufgrund der Umsatzsteuerverpflichtungen schwierig umzusetzen. Deshalb habe das Landratsamt als zuständige Behörde die Entscheidung getroffen, den ukrainischen Geflüchteten die Selbstversorgung zu ermöglichen. In der Stadthalle Engen seien Küchen vorhanden, dort könnten die Flüchtlinge ihr Essen selbst zubereiten.
Ortswechsel nach sechs Monaten
Zum Vorwurf, die Flüchtlinge aus der Ukraine würden aus ihrem nun wenigstens ein bisschen vertrauten Umfeld wie Deutschkurse, Schulunterricht für die Kinder und erste Jobs gerissen, schreibt Pellhammer: „Ukrainische Geflüchtete sind maximal sechs Monate in der Gemeinschaftsunterbringung des Landkreises, danach erfolgt zwingend der Wechsel in die Anschlussunterbringung in eine Stadt oder Gemeinde im Landkreis Konstanz.“ Wenn die Geflüchteten nicht eigenständig Wohnraum fänden, erfolge eine Zuteilung, „im Regelfall nicht in der Kommune der bisherigen Gemeinschaftsunterkunft“. Für diese Geflüchteten sei ein Ortswechsel deshalb spätestens nach sechs Monaten notwendig.
Auch verneint das Landratsamt das Argument, dass die Geflüchteten ihre bereits angetretenen Kurse oder Jobs aufgeben müssten: „Die Strecke von Engen nach Radolfzell ist mit dem Zug pendelbar, so können die bisherigen Angebote weiter wahrgenommen werden.“ Deshalb sei dieser soziale Aspekt berücksichtigt. „Uns ist bewusst, dass ein Ortswechsel nicht optimal ist. Unter der Berücksichtigung aller Argumente sehen wir das Vorgehen als vertretbar an“, reagiert die Pressesprecherin des Landratsamts auf die Kritik, die Verlegung der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine würde eine menschliche Katastrophe bedeuten.
OB stellt sich hinter das Landratsamt
Radolfzells Oberbürgermeister Simon Gröger hat sich auf Anfrage hinter die Maßnahme des Landratsamts gestellt. Der OB schreibt, die Belegung der Mettnauhalle liege alleine im Entscheidungsbereich des Landratsamts. Seit Beginn des Krieges in der Ukraine stünde die Stadt Radolfzell in engem Dialog mit dem Landratsamt, um den Menschen, die aus der Ukraine in den Landkreis Konstanz flüchten, eine gezielte Unterstützung zukommen zu lassen. Grögers Urteil lautet: „Das Team im Landratsamt, das sich um die Geflüchteten kümmert, ist sehr engagiert.“