Die Corona-Pandemie hat das Leben vieler Menschen überschattet – und es in einem Ausmaß verändert, wie es sich Anfang des vergangenen Jahres niemand hätte vorstellen können. Hier schildert Katrin Lücke, Apothekerin der Höri Apotheke in Öhningen-Wangen, wie sie das Jahr unter Corona erlebt hat, was sie betroffen machte und was gut war an 2020.
Das Jahr unter Corona
Ruhiger sei es diesmal. Draußen vor der Apotheke, wo sich an diesem Tag nur eine kleine Schlage von Menschen gebildet hat. „Im Frühjahr standen unsere Kunden lange an“, erinnert sich Katrin Lücke. Denn schon damals durften aufgrund der kleinen Ladengröße nur zwei Menschen gleichzeitig in die Apotheke.
Ruhiger ist es aber auch in ihrem Kopf, sagt sie. Seit 20 Jahre arbeitet Katrin Lücke als Apothekerin in Wangen, seit 16 Jahren leitet sie die Höri Apotheke. Und liebt ihren Job. Der Vielseitigkeit wegen, aber auch weil sie nah dran ist, an den Schicksalen der Menschen.
„Das habe ich während Corona wieder gemerkt. Für viele waren wir eine Anlaufstelle, zwar keine Seelsorger, aber die Fachfrauen vor Ort.“ Diejenigen, die erklären konnten, wie sich Corona überträgt, mit welchen Symptomen es sich zeigt oder wie man sich schützen könne. „Ich wollte ihnen zur Anfangsphase auch einen Teil der Ängste nehmen“, sagt Lücke.
Die Produkte waren ausverkauft
Denn viele ihrer Kunden seien unsicher und besorgt gewesen. Viele fragten nach Desinfektionsmitteln und Mundschutz. Doch genau das konnte ihnen die Apothekerin oft nicht geben. Die Produkte waren ausverkauft. Die Schubladen und Kühlschränke der Apotheke tagelang leer. Es fehlte an Medikamenten gegen Diabetes, an Blutdrucksenkern und sogar an Fieberthermometern.
Und das hatte seinen Grund: All die Produkte würden in Asien hergestellt, wo es durch Corona zu Herstellungsstops und Lieferengpässen kam. „Und plötzlich merkt man die Abhängigkeit im globalen System.“ Eine Abhängigkeit, die den Kunden nur schwer zu vermitteln sei. „Die sagen, wir leben in Deutschland, mitten in Europa, warum soll es die Medikamente oder ein einfaches Fieberthermometer nicht geben.“
Auch Katrin Lücke fand diese Entwicklung – vor Corona und erst recht mit der Pandemie – erschreckend. „Wenn wir die Herstellung von Medikamenten und Ausgangsstoffen an anderen Staaten abgeben, machen wir uns erpressbar und abhängig.“ So richtig bewusst sei ihr das geworden, als sie Desinfektionsmittel herstellen wollte. Doch so einfach war das dann gar nicht. Denn: Auch die Ausgangsstoffe dafür, Isopropylalkohol oder Ethanol beispielsweise, oder Glas- und Plastikfläschchen zum Abfüllen waren kaum zu bekommen.

Und dann war da noch die Sache mit dem Paracetamol: Am Anfang der Pandemie wurde das Schmerzmittel knapp. „Das war zu der Zeit, als im Internet die Nachricht kursierte, dass Ibuprofen schwere Krankheitsverläufe von Corona verstärke“, sagt Lücke. „Und plötzlich haben die Leute Paracetamol gehamstert.“ So sehr, dass es bald nicht nur ausverkauft, sondern auch nicht mehr zu lieferbar war.
Die Apothekerin wisse, wie besorgniserregend das alles klingt. Die Abhängigkeit von anderen Staaten könne man nicht schönreden, sagt sie und will trotzdem nicht, dass das Bild leerer Medikamentenkammern bleibt. „Das sind Momentaufnahmen“, schiebt sie deshalb hinterher. „Es war nicht so, dass es etwas über Monate nicht gab. Es war eher so, dass es ein Produkt ein paar Tage oder Woche nicht gab, dann wieder, aber dafür etwas anderes nicht.“ Aktuell fehle es beispielsweise immer wieder an Thermometern. „Da ist Produktion in Asien noch nicht nachgekommen.“
Was besonders herausfordernd war
„Die Flut an Informationen aus dem wissenschaftlichen Bereich zu verfolgen“, sagt die Apothekerin. Ihr war es wichtig gewesen, das Virus genau zu verstehen, jede Erkenntnis einzuordnen, um die Kunden besser beraten zu können. „Aber es wurde einfach zu viel publiziert.“ Da sei es schwer gewesen, den Überblick zu behalten oder überhaupt an fundierte Studien zu kommen. „Viele Studien wurden nur teilinterpretiert“, sagt Lücke. „Das verzerrt den Fokus und ergibt ein völlig falsches Bild.“
Was gut war an 2020 und Mut machte
Katrin Lücke muss trotz des harten Jahres nicht lange nachdenken und zählt sofort ein Dutzend Spaziergänge am Schienerberg auf, die sie mit ihren Kindern und ihrem Mann unternahm – und das Auftanken am See. „Ich glaube, wir haben alle dieses Jahr unsere Region, den Bodensee, wieder etwas mehr wahrgenommen. Und zu schätzen gelernt“, meint sie.
Mut gemacht, habe ihr auch eine Entwicklung: „Wir hatten dieses Jahr viel weniger Patienten mit anderen Infektionskrankheiten wie der Sommergrippe oder dem Magen-und-Darmvirus, sodass man merkt, dass Abstandhalten und die Masken wirken“, sagt die Apothekerin.
Was sie am meisten vermisste
„Für mich war es das Reisen“, sagt Katrin Lücke. Mit ihrer Familie fahre sie sonst im Wohnwagen durch die Provence, „dorthin, wo die Lavendelfelder blühen.“ Oder an die Küste Sardiniens zum Paddeln. Das seien Orte, an denen sie Kraft tanke. Orte, die sie inzwischen regelrecht vermisst. „Der Bodensee ist wirklich schön, aber das Fernweh ist immer noch da.“
Was aus der Corona-Zeit bleiben soll
Die Antwort kommt prompt. „Eine große Erleichterung war, was die Krankenkassen plötzlich möglich gemacht haben.“ Denn: Die Verträge, die die Kassen mit den Arzneimittelherstellern abschließen, erschweren ihr – in Normalzeiten – die Arbeit. Als Apothekerin dürfe sie nur Medikamente rausgeben, für die ein sogenannter Rabattvertrag besteht.
Das führt oft dazu, dass ein auf Rezept verordnetes Medikament gegen ein wirkstoffgleiches Mittel ausgetauscht werden müsse, wenn das Wirkstoffgleiche Teil eines Rabattvertrags sei. „Da kann es schon vorkommen, dass zwei Patienten mit gleichem Leiden mit zwei unterschiedlichen Mitteln nach Hause gehen.“ Eben, weil sie bei unterschiedlichen Krankenkassen seien.
Durch die coronabedingten Lieferengpässe waren die Kassen erstmals von ihren strikten Regel abgewichen, sagt Lücke und wünscht sich insgeheim, dass das so bliebe. „Für uns wäre das eine Erleichterung und für die Kunden nicht so verwirrend.“