Die Corona-Pandemie hat das Leben vieler Menschen überschattet – und es in einem Ausmaß verändert, wie es sich niemand Anfang des Jahres hätte vorstellen können. Herbert Grünacher von der Stadtbus Tuttlingen Klink GmbH und Busfahrer des Höribusses nach Stein am Rhein, schildert im sechsten Teil unserer Serie, wie er das Jahr unter Corona-Bedingungen erlebt hat, was ihn betroffen machte und was ihm an 2020 trotzdem gefällt.
Das Jahr unter Corona
Als Herbert Grünacher an einem Montag im März die Grenze zwischen Deutschland und der Schweiz passierte – es war noch Dunkel, kurz nach 4 Uhr, schätzt der Busfahrer – ahnte er noch nicht, dass eine Stunde später alles anders sein würde. Als die ersten Nachrichten über Corona kamen und er den Fahrerbereich abtrennen musste, sei Grünacher seltsam unaufgeregt gewesen.
„Corona war so unwirklich.“ Das Virus gar nicht greifbar. Doch an jenem Montag im März, merkte Herbert Grünacher das erste Mal, wie ernst die Lage war. Er sei seine übliche Tour gefahren, sagt der Busfahrer. „Von Radolfzell über die Höri nach Stein am Rhein.“
Und schon bei der zweiten Fahrt um 5.30 Uhr, hielten ihn Schweizer Polizisten vor der Grenze an. Dann sei alles sehr schnell gegangen. Die wenigen Fahrgäste Richtung Schweiz mussten aussteigen. Der Bus durfte offiziell nicht weiterfahren. „Es war aber kaum noch möglich, mit einem 18 Meter langen Bus im Dunkeln rückwärts durch Öhningen zu fahren.“
Also eskortierte die Polizei ihn noch bis zum nächsten Parkplatz in der Schweiz, wo Herbert Grünacher wenden konnte. In die Schweiz sollte der Busfahrer erst Monate später wieder fahren. „Aber an dem Tag ist mir bewusst geworden, wie einschneidend das Virus ist.“

Von jenem Tag an seien auch die Maßnahmen der Stadtbus Tuttlingen Klink GmbH verschärft worden. Den Fahrgast- und Fahrerbereich hatte man schon vorher abgetrennt. Doch „jetzt blieb auch die vordere Tür geschlossen. Tickets konnten bei uns nicht mehr gezogen werden. Weitere Sitzreihen wurde abgetrennt. Und zur Maskenpflicht hatten wir Durchsagen eingerichtet.“ Im frühen Sommer, als man die Fahrscheine wieder lösen konnte, seien die Busse zusätzlich mit Spuckschutzscheiben ausgerüstet geworden.
Ob er Angst gehabt habe, sich anzustecken
Grünacher schüttelt den Kopf. „Wir haben uns hinter den Scheiben immer sehr sicher gefüllt.“ Mit „wir“ meint er seine Kollegen, von denen er weiß, dass die Trennwände für sie etwas Entlastendes hatten. Weil sich tagsüber keine Fahrgäste mehr hinter oder neben die Busfahrer drängelten. Weil die Fahrten für sie leiser und gemütlicher gewesen seien.
Für Herbert Grünacher dagegen war die Scheibe ein kleines Fenster zur Welt seiner Fahrgäste. Fragt man den ihn, was in diesem Jahr anders ist, sagt er sofort: „Die Menschen sind umsichtiger geworden.“
Oft habe er beobachtet, dass die Leute aufeinander aufpassten. Steige jemand mit einer Behinderung ein, müsste Grünacher eigentlich aussteigen und an der hinteren Tür eine Rampe ausziehen. „Seit Corona ruft mir immer jemand zu, ich solle sitzen bleiben, derjenige mache das.“
Wären ältere Menschen im Bus, würden die Jugendlichen öfter Platz machen. Ziehe jemand seine Maske nach dem Einsteigen wieder aus, würde andere Fahrgäste das schon ansprechen. „Die sehen das teilweise schneller als ich.“
Und müsse jemand ein Ticket ziehen – was inzwischen wieder möglich ist – seien die Fahrgäste auf Abstand bedacht. „Und winken als Dankeschön.“
Was trotz allem gut war an 2020 und berührte
Zwei besondere Erlebnisse fallen Herbert Grünacher ein. Kurz nach dem Lockdown im Frühjahr hätten sich die Menschen vermehrt bei ihm bedankt. Dafür, dass er die Stellung hielt und trotz der Gefahr weiterhin fuhr. Und einmal hätte ein Mann bei ihm im Bus gesessen, der aus gesundheitlichen Gründen keine Maske tragen konnte. „Für ihn habe ich noch eine Durchsage gemacht, damit die anderen Fahrgäste Bescheid wussten und ihn nicht anpöbeln“, sagt der Busfahrer.
Doch schon ein paar Tage später entdeckte er diesen Mann mit einer Maske, die er die Fahrt lang anbehielt. „Das fand ich merkwürdig, also habe ich ihn darauf angesprochen.“ Trotz ärztlichem Attest wollte der Mann sich solidarisch zeigen.
Die Maske trage er, auch wenn es ihm schwerfalle, er damit kaum atmen könne, bis heute. „Das hat mich wirklich berührt“, sagt Grünacher.
Wofür er dankbar sei
Seine ganze Familie arbeite in systemrelevanten Berufen. „Meine Frau ist Arzthelferin, meine Sohn und meine Schwiegertochter sind Pflegekräfte“, sagt Herbert Grünacher. Weil seine Liebsten viel mit Corona-Patienten in Kontakt kämen, hatte er sich schon Sorgen gemacht. „Aber bisher sind wir alle gesund geblieben.“
Was er am meisten vermisse
„Das Zwischenmenschliche“, sagt der Busfahrer. „Ich hatte dieses Jahr fast keinen Kundenkontakt.“ Dabei seien viele seiner Mitfahrer Stammgäste. Man kenne sich, habe über die Jahre hinweg die ein oder andere Anekdote geteilt, sich beim Ein- und Aussteigen anerkennend auf die Schulter geklopft. Und zusammen gelacht.
Herbert Grünacher mag die Arbeit als Busfahrer – gerade wegen seiner Fahrgäste. „Aber dieses Jahr saß ich vorne auf meinem Sitz und habe vor mich hingearbeitet.“ Die kleinen Gesten seiner Fahrgäste fehlten ihm.
Nur eins ist geblieben: „Dieses Wahnsinnsgefühl so ein Fahrzeug zu steuern.“ Der Radolfzeller wird darum auch die nächsten Tage wieder mit dem Höribus unterwegs sein. Immer in aller Frühe, denn „das ist meine Zeit“, sagt er.