Die Corona-Pandemie hat das Leben vieler Menschen überschattet – und es in einem Ausmaß verändert, wie es sich niemand Anfang des Jahres hätte vorstellen können. Wir haben Menschen in systemrelevanten Berufen gefragt, wie sie das Jahr unter Corona-Bedingungen erlebt haben, was sie betroffen machte und was ihnen an 2020 trotzdem gefällt. Hier erzählt Anette Pohlmeier, Ärztin aus Markelfingen, von ihren Eindrücken.

Das Jahr unter Corona

Das Virus hätte auch sie überrannt, sagt Pohlmeier, und kann sich noch gut an den Anfang der Pandemie erinnern, als die Abläufe in der Praxis noch neu und die Sorgen groß waren, nicht genügend Schutzausrüstung zu bekommen. „Am Anfang war das wirklich schwierig, wir hatten kaum Ausrüstung. Die ersten FFP-Masken haben wir vom Mann meiner Arzthelferin bekommen. Er arbeitet auf dem Bau, wo solche Masken öfter benötigt werden“, sagt die Ärztin. Sie erinnert sich auch noch an die unheimlich vielen Telefongespräche mit Patienten. Viele hätten Angst vor dem unsichtbaren, neuen Virus gehabt – und Anette Pohlmeier musste sie erst beruhigen.

„Wir haben dann eine Infektionssprechstunde eingerichtet, um Verdachts- und Infektionsfälle räumlich und zeitlich von Routineuntersuchungen zu trennen.“ Während Patienten mit gewöhnlichen Symptomen früh in die Praxis kommen, behandelt Pohlmeier Verdachtsfälle gegen Mittag, macht den Abstrich draußen an der frischen Luft. Auch eine Videosprechstunde hat sie inzwischen eingerichtet und ihre Behandlungs- und Warteräume Corona-konform eingerichtet. Das heißt: mit Plexiglaswänden und Desinfektionsspendern. „Die Corona-Maßnahmen sind inzwischen Alltag geworden“, sagt die Ärztin.

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Verantwortungsbewusstsein für einander ist größer

Ob sie fürchte, sich selbst anzustecken? „Wenn die Corona- und die Quarantäne-Auflagen nicht eingehalten werden, dann schon. Aber eigentlich merke ich, dass wir als Gesellschaft gut aufeinander aufpassen. Das Hygienebewusstsein hat zugenommen, und es ist überhaupt keine Frage mehr, dass Patienten sich die Hände waschen oder Desinfektionsspender benutzten. Das Verantwortungsbewusstsein für einander ist größer geworden. Und das finde ich schön“, sagt Anette Pohlmeier. Sie registriere das auch im Rettungsdienst. Wenn sie als Notärztin auf den Straßen unterwegs sei, würde mittlerweile häufiger und schneller Platz gemacht.

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Was besonders herausfordernd war

Anette Pohlmeier holt erst einmal tief Luft und sagt dann: „Die Corona-Leugner unter meinen Patienten.“ Mit ihnen zu diskutieren und von ihnen beschimpft zu werden, sei „richtig anstrengend“ gewesen. „Solche Diskussionen will man irgendwann nicht mehr führen.“

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Was gut war an 2020 und Mut machte

„Ich glaube, dass viele Menschen bemerkt haben, wie verletzlich wir sind und dass daraus eine Form von Achtsamkeit entstanden ist“, sagt die Ärztin aus Markelfingen und kommt auf umsichtige Nachbarn zu sprechen, die für ältere Menschen wochenlang einkaufen gingen, auf ein schöneres Miteinander, „weil Gespräche plötzlich wieder wichtig wurden.“ Und auf den Bodensee, die deutsche Landschaft: „Ich fand es schön, zu sehen, dass Viele in Deutschland Urlaub gemacht haben. Man erkannt hat, dass man nicht immer wegfliegen muss und es hier auch wunderbare Orte gibt“, sagt sie.

Ärzte behandeln einen Corona-Patienten in einem Krankenhaus.
Ärzte behandeln einen Corona-Patienten in einem Krankenhaus. | Bild: dpa

Und noch etwas nimmt die Markelfinger Ärztin aus dem besonderen Corona-Jahr mit: „Mut macht es, wenn ich erlebe, wie dankbar Patienten sind, die eine Krankheit überstanden haben“, sagt Anette Pohlmeier. Zudem mache es Mut, wenn sie sehe, wie viele Menschen in die Wissenschaft und in sie als Ärztin Vertrauen haben. Die Wertschätzung, die sie als Ärztin erfahre, müsse aber noch in anderen Bereichen weitergehen, betont Anette Pohlmeier. Denn was sei etwa „mit Psychotherapeuten, mit Pflegern und dem Hilfspersonal im Krankenhaus, mit Notfallsanitätern, Kassierern in Supermärkten oder mit Erziehern in Kindertagesstätten?“, fragt sie. Auch deren Arbeit müsste gewürdigt – „gesehen werden“, wie Anette Pohlmeier sagt.