Die Corona-Pandemie hat das Leben vieler Menschen überschattet – und es in einem Ausmaß verändert, wie es sich niemand Anfang des Jahres hätte vorstellen können. Wir haben Menschen in systemrelevanten Berufen gefragt, wie sie das Jahr unter Corona-Bedingungen erlebt haben, was sie betroffen machte und was ihnen an 2020 trotzdem gefällt. Den Anfang macht: Julia Spengler, Polizeihauptmeisterin im Radolfzeller Revier.
Das Jahr unter Corona: „Mittlerweile fährt kein Streifenwagen mehr durch Radolfzell ohne Schutzausrüstung an Bord“, sagt Spengler und will damit verdeutlichen, wie sehr das Virus ihren Arbeitsalltag prägt. Stoffmasken für den Alltagsgebrauch, FFP-Masken für Einsätze mit Infizierten, Ganzkörperanzüge und Desinfektionsmittel – all das gehört inzwischen so selbstverständlich zur Ausrüstung wie das Tragen von schusssicheren Westen.
Doch das war das nicht immer so. Spengler erinnert sich noch gut an den Tag vor der Grenzschließung zwischen Deutschland und der Schweiz. Weil die Bundespolizei Verstärkung angefordert hatte, war auch Spengler an diesem Tag im Einsatz und kontrollierte Einreisende. „Die waren teilweise noch in Skigebieten “, erinnert sie sich. „Und wir hatten keine Schutzausrüstung. Das war für uns nicht einfach, weil wir nie wussten, stecken wir uns jetzt an.“
Blickt Julia Spengler auf das Jahr zurück, kommt sie immer wieder darauf zu sprechen, wie stark sich ihr Aufgabenfeld verändert hat. Im Streifendienst hat sie es zwar immer noch mit Unfällen, Ladendiebstählen und Körperverletzungen zu tun. Doch häufig geht es mittlerweile schlicht um die Umsetzung der Corona-Verordnungen. Wird die Maskenpflicht, wird das Abstandsgebot eingehalten? Aus wie vielen Haushalten stammen die sich Treffenden?

Auch die Montags-Demonstrationen in Radolfzell, die sich gegen die Maskenpflicht und die Grundrechtseinschnitte richteten, hat Spengler miterlebt und „als sehr friedlich empfunden.“ Eins bemerkt die Polizeihauptmeisterin aber schon: „Es rufen jetzt öfter Menschen bei uns an, um ihre Nachbarn oder Passanten anzuzeigen, weil die sich nicht an die Verordnung halten.“ Eine negative Entwicklung, wie Spengler findet. Statt die Menschen direkt anzusprechen – und etwa den Kontakt zu den Nachbarn zu suchen – werde gleich die Polizei hinzugezogen.
Was besonders herausfordernd war: „Jede neue Corona-Verordnung im Hinterkopf zu haben“, sagt Julia Spengler. Als Polizistin sei sie schließlich dafür zuständig die Verordnungen umzusetzen. „Sonst mache ich mich strafbar.“ Und das sei in diesem Jahr eine ganze Menge an Informationen gewesen, die Spengler verarbeiten und sich jedes Mal wieder ins Gedächtnis rufen musste. „Immer wenn ich eine Verordnung verinnerlicht hatte, gab es wieder eine neue.“
Ob es auch Momente gab, die Mut gemacht haben? Die berührten? Julia Spengler denkt einen Moment nach und schüttelt dann den Kopf. Nein, da falle ihr nichts ein. „Für uns war es ein schwieriges Jahr.“ Und zuweilen auch ein gefährliches. Denn: Einsätze, die körperlich waren – etwa, weil sich zwei stritten oder weil Spengler eine Gruppe auseinanderreißen musste, die trotz Corona-Verordnung in zu großer Zahl feierte – das gab es auch. „Und das ist immer kritisch für uns: Weil wir da keinen Abstand halten können, wenn wir dazwischen müssen, wenn es eskaliert“, sagt Spengler. „Man muss sich in die Situation hineinbegeben und erfährt erst hinterher, ob man sich angesteckt hat.“
Problematisch sei es tatsächlich, wenn sich jemand in ihrer Einheit infiziert hätte, sagt die Polizistin. „Wir arbeiten in festen Dienstgruppen.“ Und bei einem Corona-Fall müsste die ganze Truppe freigestellt werden. Sollten nur wenige ihrer Kollegen dadurch ausfallen, könne man das noch gut kompensieren. „Aber wir sind ein kleines Revier.“ Wie das bei einem zu großen Ausbruch aussähe, will sich Spengler lieber gar nicht erst vorstellen.
Was gut war an 2020: Julia Spengler kann ihr Privatleben inzwischen besser planen als in den Jahren zuvor, weil wegen Corona Kontakte auf ein Minimum reduziert werden und die Polizistin deshalb Teil in einer festen Dienstgruppe ist.
Und weil so ziemlich alle Sondereinsätze ausfielen war das Jahr für sie zeitweise „ganz entschleunigend. Das ist für mich schon ein Luxus im Vergleich zu anderen Jahren.“