Ein bisschen nervös ist Heinz Vogel, Stadtpfarrer von Radolfzell und Leiter der Seelsorgeeinheit St. Radolt, schon. Wie dieses Weihnachten wohl wird? „Ohne Gewusel und ohne Krippenspiel?“ Ob es überhaupt so etwas wie einen Gottesdienst geben darf? Die Corona-Verordnung ändere sich schließlich ständig.

Auch Kirchen müssen kurzfristig planen und spontan bleiben

Und Vogel hat sich damit abgefunden, immer nur in kleinen Schritten planen zu können. „Wir versuchen, ein möglichst vielfältiges Angebot zu machen“, sagt er. Zum Schutze der Besucher soll die Länge der Gottesdienste gekürzt werden: „In Moment denken wir an kleine Zeitfenster von 20 Minuten, zu denen man hingehen kann, zum Segen, zu einem gemeinsamen Vaterunser.“ Ein feste Gruppe oder ein Sänger sollen singen. Und das Krippenspiel will Pfarrer Vogel durch eine Mitmach-Krippe ersetzten.

Eine Krippe, die jeder mitgestalten kann

Eine Krippe, die wachse, weil jeder Besucher etwas mitbringe. „Das kann ein Licht sein, das man anzündet, oder ein Schäfchen, das man mitbringt und an die Krippe legt“, sagt Christina Wöhrle, katholische Klinikseelsorgerin und Vogels Kollegin.

Und weil Weihnachten für den Pfarrer vor allem Klang bedeutet, hat er sich etwas Besonderes überlegt: „Weihnachten ohne Musik ist einfach kein Weihnachten. Und es wird auch nicht jeder in die Kirche kommen wollen.“ Also sollen zu einer festgelegten Uhrzeit überall im Stadtgebiet die Kirchenglocken läuten und zum gemeinsamen Singen vom Balkon, aus den Fenster und den Wohnzimmern heraus, einladen.

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Eine Christmette um 23 Uhr soll es ebenfalls geben. Und auch hier will der Pfarrer seine Zuhörer auf andere Art mit einbeziehen. Mit ihnen in einen Dialog treten. „Weihnachten ist keine Blase“, sagt der Theologe.

Er will in seiner Predigt auf das Dunkle, die Unsicherheit, in diesem Jahr zu sprechen kommen. „Ich habe beim Hindenken auf Advent gemerkt, wie ähnlich die Weihnachtsgeschichte diesem Jahr ist: Da rückt ein junges Paar in den Blick, das aufbricht, dass nicht weiß, wo es eine Bleibe finden soll. Diese Unsicherheit, die uns seit Corona prägt, ist da schon drin“, sagt der Pfarrer.

Kirche leistet leise Arbeit im Hintergrund

Und man merkt: Er hat den Tag im März noch nicht vergessen, als das kirchliche Leben plötzlich stillstand. Ohne Vorwarnung. Und ohne Vorbereitung. „Keine Gottesdienste, keine Chöre mehr.“ Nur die leise Arbeit im Hintergrund.

„Es gab am Anfang die Kritik: Die Kirche sei nicht dagewesen in der Krise“, sagt Heinz Vogel. „Aber wir waren da. Wir kamen nur nicht mehr so in Szene, weil die Massen fehlten. Weil wir im Stillen gearbeitet haben.“

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Christina Wöhrle etwa war weiterhin als Klinikseelsorgerin im Krankhaus unterwegs – auch als dort keine Besucher mehr empfangen werden durften. Gerade während der Lockdown-Phasen seien die Kranken, aber auch Menschen, die sich Sorgen machten, die Angst vor Corona oder um ihre Existenz hatten, von sich aus zu ihr gekommen.

Weil sie merkten, dass ihnen da jemand zuhört. „Dass so ein Gespräch guttut“, sagt Wöhrle. „Für uns ist es eine Gratwanderung: Wir wollen da sein und trotzdem verantwortlich handeln.“

Wie handeln, wenn Nähe gefragt ist?

Die Gratwanderung zwischen Nähe und Verantwortung fiel Heinz Vogel besonders schwer. Denn: Was sei etwa, wenn jemand im Sterben liege, aber eine Krankensalbung wünsche? Und eben das Trost spende?

Der Pfarrer hatte kürzlich wieder so eine Situation: „Ich wurde zu einem Sterbenden gerufen, der einen Tag später auch verstorben ist. Der nicht mehr schlucken konnte, sodass eine Kommunion nicht möglich war, nur noch die Salbung.“ Dafür müsse er aber die Hand auflegen, „spüren wie am Kopf der Puls ist. Also muss die Hand eine Weile liegen. Bis der Sterbende ruhiger wird.“

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Anfangs, so erzählt es Vogel, habe er Krankensalbungen mit Maske und Handschuhen vorgenommen. „Aber die direkte Berührung ist in diesem Moment so wichtig.“ Darum nun ohne Handschuhe. „Aber es bleibt eine Gratwanderung“, gesteht der Pfarrer. Seine Hände desinfiziert er nach den Salbungen.

Manchmal muss einfach eine Umarmung sein

Und trotzdem gibt es – wenn auch selten – Momente, da muss er einfach jemanden umarmen. Einen Witwer etwa, der in Stahringen, bei der Beerdigung seiner Frau im wahrsten Sinne des Wortes den Boden unter den Füßen verlor. Sich setzten musste. Nach Halt suchte. Nach einer Hand.

„Ihn konnte ich nicht so zitternd sitzen lassen.“ Vieles, das spürt der Pfarrer, sei aufs Wesentliche reduziert. „Man ist schneller am Lebensnerv.“ Und: „Die Sehnsucht nach einem Fest wächst dadurch.“

Christian Link, Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde, vor dem Altar in der Christuskirche.
Christian Link, Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde, vor dem Altar in der Christuskirche. | Bild: Daniela Biehl

Auch bei der Evangelischen Kirchengemeinde in Radolfzell laufen die Planungen für Weihnachten auf Hochtouren. Und obwohl Pfarrer Christian Link sagt, Weihnachten werde anders, ist er doch ein wenig stolz auf sein Team, mit dem er seit Wochen an einem Konzept für die Festtage feilt.

Sollte es keine weiteren Einschränkungen geben, will die Evangelische Kirchengemeinde Heiligabend draußen, um 18 Uhr, am Konzertsegel feiern. „Es wird ein Online-Ticketsystem zur Anmeldung geben, damit wir die Teilnehmerzahl im Blick haben und kontrollieren können, dass es nicht zu viele werden“, sagt Link.

Das Krippenspiel wäre verantwortungslos

Aber kein Krippenspiel. „Das wäre verantwortungslos.“ Bis zu 500 Besucher strömen sonst an Heiligabend in seine Kirche. Weil es jetzt am Konzertsegel sicher nicht so viele werden können, will der Pfarrer schon vor Weihnachten einen Gottesdienst aufnehmen und ins Internet stellen.

Erfahrung damit hat Link während Corona reichlich gesammelt: Vom ersten Tag des Lockdowns an hat der Pfarrer ganz aufs Telefon und auf kleine Videoclips gesetzt. Er hat Senioren, Familien und Konfirmanden angerufen, manchmal hat er ihnen auch Briefe geschrieben. Um den Kontakt zu halten.

Telefonpredigten und andere Wege, die Menschen zu erreichen

Später hat er ganze Gottesdienste ins Digitale verlegt. Oder Telefonandachten organisiert – also über das Telefon gepredigt: „Das war schon eine seltsame Erfahrung“, sagt der Pfarrer. „Wir haben weder die Nummern noch Namen der Angerufenen gesehen. Wir wussten nur, wie viele es waren.“ Und das waren bei den Telefonandachten schon so einige.

Weihnachten findet ohne Zweifel statt

„Ich denke auch, dass Nicht-Kirchgänger darunter waren“, meint Christian Link. Vielleicht, weil sie sich in der Anonymität wohler fühlten. Vielleicht, weil sie in diesem Jahr besonderen Halt brauchten. Eine Telefonandacht soll es an Weihnachten zwar nicht geben.

Aber sollte es doch zu weiteren Einschränkungen kommen, hätte Christian Link einen Plan B: „Es wäre dann jemand von uns in der Kirche, der alle Stunde die Weihnachtsgeschichte liest. Notfalls übertragen wir das online.“ So oder so: „Weihnachten findet statt, alles andere wäre Horror.“