Archäologen haben die mindestens 1000 Jahre alte Schiffsanlegestelle des frühen Klosters Reichenau gefunden. Das ist ihnen bei einer Forschungsgrabung auf der Wiese zwischen Haito- und Burgstraße auf der Insel geglückt. Demnach gab es eine teils befestigte natürliche Bucht, deren Ende etwa auf Höhe des heutigen Seniorenzentrums war.
Hier konnten Schiffe anlanden und Waren sowie Materialien liefern. Diese versorgten die Mönche im 724 gegründeten Kloster und auch die Menschen, die für diese arbeiteten. „Das ist ein neues Kapitel zur Reichenauer Geschichte“, sagt Grabungsleiter Bertram Jenisch vom Landesamt für Denkmalpflege, ein aufs Mittelalter spezialisierter Archäologe.
Zumal die Funde zudem neue Erkenntnisse ermöglichen zum mittelalterlichen Leben im Handwerkerbereich, denn direkt an der Bucht müssen Werkstätten gewesen sein. Während die Geschichte des Klosters und der Kirchen schon recht umfangreich erforscht ist, gehe es hier um das bislang weniger bekannte wirtschaftliche Umfeld, die Grundlagen des Klosters. „Da haben wir viel herausgefunden“, so Jenisch, der die Grabung deshalb als vollen Erfolg wertet.
Hafen bestand wohl schon im Jahr 724
Ab dem 16. Jahrhundert gab es den Klosterhafen Herrenstedi im Bereich des heutigen Yachthafen-Parkplatzes. Doch wo zuvor die damals typischen Bodenseeschiffe, Lädinen, angelegt hatten, war unbekannt. Archäologische Untersuchungen mit Georadar vor bereits rund 20 Jahren hatten Jenisch aber vermuten lassen, dass im jetzt aufgegrabenen Bereich die frühere Anlegestelle gewesen sein könnte.
Denn eine Art Hafen müsse es schon bei der Gründung im Jahr 724 gegeben haben zur Versorgung mit Waren und Baumaterial über den See. Die Bodenradaraufnahmen hätten Anomalien und Strukturen gezeigt, die darauf hindeuteten. Die Erwartungen seien sogar mehr als erfüllt worden, sagt der erfahrene Archäologe. Es gebe nun neue Erkenntnisse nicht nur zum Ort der alten Anlegestelle, sondern auch zu zwei historischen Phasen ihrer Nutzung.
Das sei anhand der Georadaraufnahmen nicht absehbar gewesen. Zum einen deuten Funde und die Bodenschichten auf das 10./11. Jahrhundert hin, aber auch noch auf eine frühere Zeit. Hier können vor allem die zahlreich gefundenen Holzkohlereste eine genauere Datierung ermöglichen. Dazu brauche es aber eine C14-Untersuchung im Labor, was einige Monate dauern dürfte, so Jenisch.
In der südlichen von zwei großen Gruben, die jeweils einen guten Meter tief waren, sei man auf das Ende der mittelalterlichen Bucht und auf Reste einer befestigten Begrenzung am Ufer gestoßen. Eine dort gefundene Keramikscherbe dürfte aus dem 11. Jahrhundert stammen. In der Grube sah man ein dunkles, humusreiches Areal, darunter sei Seekreide, so Jenisch. Hier war Wasser, das Ende des Anlegebeckens, so der Archäologe.

Überreste von Feuerstellen gefunden
Daneben gebe es eine Verfüllung mit Kies, dort war das Ufer. Dunkle Streifen in diesem Kies und Reste von vermoderten Holzbalken deuten darauf hin, dass der Kies in quadratische Einfassungen aus Holz und festem Flechtwerk gefüllt war als Uferbefestigung und Begrenzung des Hafens und wohl als Schutz vor Überschwemmungen. Damit gebe es auch Erkenntnisse, wie die Anlegestelle konstruiert war.
Doch es gab noch einen weiteren Befund, der auf eine frühere Zeit als das 10. Jahrhundert hinweise: orangefarbene Flecken. Diese entstehen durch verbrannten Lehm, wo Feuerstellen waren, erklärt Jenisch. Dort dürften Öfen von Handwerkern gestanden haben, denn man habe zudem Schlacke und Reste geschmolzener Metallobjekte gefunden. „Hier wurden Buntmetalle geschmolzen und gegossen“, erklärt Jenisch.
Er gehe davon aus, dass hier auch Eisen geschmiedet wurde. Es gebe auch Hinweise auf andere handwerkliche Tätigkeiten – so etwa Reste von gesägten und gebohrten Tierknochen und Geweihteilen wie zum Beispiel für Messergriffe oder Beschläge. Zudem gebe es Schriftquellen, die auf einen südlich angrenzenden Markt hindeuten zur Versorgung der Landwirte und Handwerker, die fürs Kloster tätig waren.
An die neuen Erkenntnisse knüpfen sich aber auch neue Fragen an, so Jenisch. Nach solch einer Grabung beginne für Archäologen die Arbeit erst richtig. Jetzt gelte es – neben den Laboruntersuchungen – die Funde zu reinigen und weiter zu analysieren, ebenso Fotos und Dokumentationen der Bodenstrukturen zu bearbeiten. Das alles solle dann, voraussichtlich im Spätherbst, in den Grabungsbericht einfließen. „Dann wissen wir genauer, wo wir stehen.“
Im 8. Jahrhundert war die Insel kleiner
Erstaunlich sei, dass es über diese ursprüngliche Anlegestelle des Klosters keine Überlieferungen gebe, sagt Bertram Jenisch. Obwohl diese wichtig war zur Versorgung des Klosters mit Lebensmitteln, Baumaterial und anderen Waren. Dagegen lasse sich der spätere Hafen, die Herrenstedi, durch eine schriftliche Erwähnung aufs frühe 16. Jahrhundert datieren. Dazu passten die Funde in der nördlichen Grabungsgrube. Dort sei das alte Becken der Bucht gewesen, so der Experte. Diese sei im Spätmittelalter wohl zum Trockenlegen mit Unrat verfüllt worden.
Das ursprüngliche Kloster im Mittelalter war nördlich des Münsters, wo heute die neuen Klostergärten sind. Diese Lage des Klosters sprach ebenfalls für die frühere Anlegestelle in diesem Bereich. Wobei die Uferlinie im frühen Mittelalter circa 100 Meter weiter südlich gewesen sei, sagt Jenisch. „Der See hat sich verändert im Lauf der Zeit. Im 8. Jahrhundert war die Insel kleiner. Das Kloster wurde unmittelbar am Seeufer gegründet.“ Manche Bereiche wie beim Yachthafen seien später gezielt zur Landgewinnung aufgefüllt worden.