Passend zum Jubiläum 25 Jahre Welterbe Klosterinsel Reichenau, das in diesem Jahr gefeiert wird, versuchen Archäologen, eine spannende Frage zu klären: Wo war der ursprüngliche Hafen des Klosters im Mittelalter? Fachleute vermuten, dass diese Anlage im Bereich der Grünfläche nordwestlich des Münsters war. Dies soll bei einer Forschungsgrabung nach Fronleichnam geklärt werden, so der für das Projekt zuständige Bertram Jenisch.

Er ist Mittelalter-Archäologe und beim Landesamt für Denkmalpflege als Gebietsreferent für die Reichenau zuständig. Einen Hafen müsse es schon seit der Klostergründung im Jahr 724 gegeben haben, damit Menschen auf die Insel kommen und Waren angelandet werden konnten. „Die Mönche sind sicher nicht geschwommen“, so Jenisch.

Im Jubiläumsjahr 2024 habe das Landesamt verschiedene, auf der Reichenau gemachte Funde näher untersucht und ausgewertet, berichtet Jenisch. Unter anderem ging es um Bodenradaraufnahmen, die vor rund 20 Jahren gemacht wurden. Damals wurden im Bereich der heutigen Klostergärten im Boden Strukturen gesehen, die von den ursprünglichen Klosterbauten nördlich des Münsters stammen.

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Mauern oder ähnliche Reste liegen im Untergrund

Vor dem Anlegen der neuen Gärten habe man dann bei Grabungen die Fundamentreste von Gebäuden gefunden. Und dabei sei dann auch die Frage aufgekommen, wo der Hafen gewesen sein könnte, so Jenisch. Bei den damaligen Untersuchungen seien auch im Bereich der Grünfläche Strukturen bis in zwei Metern Tiefe entdeckt worden, markante Anomalien, die auf Mauern oder ähnliche Reste im Untergrund hinweisen.

„Wir sind heute sicher, dass die vom Hafen sind“, so der Archäologe. Und man könne davon ausgehen, dass dieser über eine längere Zeit genutzt wurde. Wobei dies dennoch bisher nur eine Vermutung sei, Klarheit soll die Grabung bringen. Jenisch vergleicht das mit einer ärztlichen Untersuchung mit Ultraschall. Dabei erkenne ein Arzt mitunter auch Anomalien und stelle einen Befund. Doch Genaueres wisse man manchmal erst nach einer Operation.

Der Archäologe Bertram Jenisch ist Mittelalterexperte im Landesamt für Denkmalpflege und für die Reichenauer zuständig.
Der Archäologe Bertram Jenisch ist Mittelalterexperte im Landesamt für Denkmalpflege und für die Reichenauer zuständig. | Bild: Sammlung Jenisch

„Wir machen das ähnlich wie bei einer Ultraschalluntersuchung“, erklärt Jenisch. Geplant sei „ein kleiner, chirurgischer Schnitt“ in der Grünfläche, circa zwei Meter breit und acht Meter lang. Die Grabung werde etwa vier Wochen dauern. Die im Bodenradar sichtbaren Linien könnten Mauerreste der Hafenbegrenzung sein oder auch Reste einer Holzkonstruktion. „Da gibt es viele Möglichkeiten.“

Wenn man Hölzer finde, könne man diese näher untersuchen und datieren. Vielleicht finde man auch botanische Reste, die auf die Ernährung und Lebensweise im Mittelalter schließen lassen. Oder auch Gegenstände, die früher dort ins Wasser gefallen sind. „Solche Missgeschicke der damaligen Menschen sind ein Glück für heutige Archäologen.“

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Einst lag das Reichenauer Kloster direkt am Wasser

Aber wie kann ein Hafen gewesen sein, wo heute Grünfläche und Häuser sind? Der Wasserstand des Sees und damit die Uferlinie der Reichenau haben sich im Laufe der Jahrhunderte verändert, erklärt Jenisch. „Das alte Kloster lag unmittelbar am See.“ Das heutige Erscheinungsbild sei auch durch Aufschüttungen des Geländes entstanden. Bekannt ist zudem, dass es nördlich des Münsters, etwa im Bereich des heutigen Parkplatzes beim Yachthafen, den Hafen Herrenbruck gab.

Doch diese Anlage sei erst im frühen 16. Jahrhundert gebaut worden, so Jenisch. „Wir sprechen eigentlich von zwei Häfen.“ Nun gehe es um den ursprünglichen Klosterhafen, der vielleicht vom 8. bis 15. Jahrhundert genutzt wurde. „Wir gehen von einer natürlichen, bogenförmigen Bucht aus, die als Hafen ausgebaut war.“ Dafür spreche auch die günstige Lage, da der Bereich durch das Baurenhorn im Westen der Insel windgeschützt gewesen sein dürfte.

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Wenn sich die Voruntersuchungen und Vermutungen durch Funde bestätigen ließen, wäre das recht bedeutsam und aufschlussreich. Denn über Häfen aus der Karolingerzeit sei wenig bekannt, so Jenisch. „Das wäre tatsächlich ein Novum. Ein Hafen aus dem 8.¦Jahrhundert wäre schon ein Hammer.“ Man werde parallel zur Grabung auch wöchentlich Informationsveranstaltungen über erste Ergebnisse organisieren, kündigt der Archäologe an.

Es wäre sogar möglich, dass sich der Hafen, dessen Reste gesucht werden, in eine noch frühere Zeit datieren ließe. Denn: „Es müssen schon vor Pirmins Klostergründung Menschen auf der Insel gelebt haben“, so Jenisch. Dafür gebe es immer mehr Hinweise. Unter anderem seien 2024 auch Skelette von früheren Gräberfunden in Mittel- und Niederzell genauer untersucht worden. „Es gab überraschend frühe Datierungen.“ Einige der Skelette stammten demnach aus dem 7. Jahrhundert.

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Nördlich des Münsters lag einst ein Kloster aus Holz

Diese Grabfunde seien aber noch nicht abschließend ausgewertet. Klar ist für Jenisch schon länger, dass es spätestens mit der Gründung des Klosters zu dessen Versorgung notwendig gewesen sei, dass es Bauern und Handwerker gab, die auf der Insel siedelten. Denn in den Benediktiner-Klöstern dieser Zeit wurden Sprösslinge des Hochadels aufgenommen, die kaum selbst einen Pflug geführt haben dürften.

Bekannt ist zudem aufgrund bisheriger Funde, dass das Ur-Kloster 724 nördlich des heutigen Münsters aus Holz gebaut wurde. Wohl ab der Mitte des 8. Jahrhunderts, als die Reichenauer Abtei zum fränkischen Reichskloster ernannt wurde, seien die Holzbauten nach und nach durch Steingebäude ersetzt worden, so Jenisch. Die ältesten Teile davon gebe es noch in der östlichen Wand der Klostergärten, wo auch noch später zugemauerte Rundbögen des Kreuzgangs erkennbar seien.