Der Aus- und Neubau der B33 wird voraussichtlich noch mindestens bis ins Jahr 2028 andauern. Doch zwischen Allensbach und Hegne ist mittlerweile ein einziger großer Baustellenbereich. Und damit ist für einen die Arbeit vor Ort beendet: Kreisarchäologen Jürgen Hald.

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Er hat vor allem seit 2015 immer wieder im Vorfeld der Baumaßnahmen Probeschürfe mit einem Bagger vornehmen lassen – insgesamt auf rund 30 Hektar – und dann bei Ausgrabungen vor allem zwei ganz besondere Fundstellen freigelegt: die frühneuzeitliche Richtstätte westlich von Allensbach und Reste einer frühen Siedlung aus der Jungsteinzeit inklusive dem ältesten bisher bekannten Grab am See südlich von Hegne.

Halds Fazit: „Ich habe schon damit gerechnet, dass wir auf Fundstellen stoßen, aber mit solch hochkarätigen Funden hatte ich nicht gerechnet. Das freut einen umso mehr. Das ist schon ein tolles Ergebnis.“ Die Richtstätte und die Jungsteinzeitsiedlung würden zu den wichtigsten Funden im Landkreis in den letzten 20 Jahren gehören.

Richtstätte zeugt von grausamen Tötungen

Wo aktuell der Anschlussknoten Allensbach-Ost gebaut wird, wurden mindestens seit dem 15. und bis ins späte 18. Jahrhundert zum Tode verurteilte Menschen hingerichtet. Denn hier war die rund 420 Quadratmeter große Richtstätte des Klosters Reichenau (ab 1540 unter dem Bischof von Konstanz), direkt nördlich der alten B33, damals auf einer Waldlichtung am Weg von Allensbach nach Hegne. Es gab einen mindestens 3,50 Meter hohen Holzgalgen auf zwei großen Steinfundamenten.

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Doch die Funde, die Hald mit einem Grabungsteam von April bis Juli 2020 machte, belegen, dass dort auch Delinquenten enthauptet, gerädert oder verbrannt wurden – bei letzterem lasse sich jedoch nicht sagen, ob dies bei lebendigem Leib oder posthum geschah, sagt der Kreisarchäologe. Er und sein Team konnten elf weitgehend erhaltene Skelette bergen: sieben von Männern, die im Alter von etwa 20 bis deutlich über 50 Jahren starben, sowie vier von Frauen im Alter von etwa 20 bis 50 Jahren.

Dies hat der Anthropologe Michael Francken vom Landesamt für Denkmalpflege bei der Untersuchung der Knochen festgestellt. Vier der Skelette lagen übereinander in einer Grube zwischen den Galgenfundamenten. Außerdem fand Hald verstreute Knochenreste, die daher rühren könnten, dass die Erhängten mitunter so lange am Galgen blieben, bis verweste Körperteil abfielen.

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Hald und Francken erklären, erste Datierungen hätten ergeben, dass diese Menschen vermutlich im 16. und 17. Jahrhundert hingerichtet wurden. Und die Archäologen fanden zwölf unterschiedlich große Brandgruben und in diesen insgesamt rund 23 Kilogramm angebrannte Knochenfragmente. Deren erste Untersuchungen haben ergeben, dass in den Gruben teils Reste von mehr als einem Menschen liegen und sowohl von Männern wie Frauen.

Der Kreisarchivar und Historiker Friedemann Scheck hat bislang Belege für mehr als 40 Hinrichtungen gefunden, die meisten davon aus dem 16. Jahrhundert. Die Gründe für die Todesurteile reichten von Diebstahl über Totschlag und Mord bis hin zu rund einem Dutzend Fällen von Hexerei. Kreisarchäologe Hald erklärt, es sei zwar aus Überlieferungen bekannt gewesen, dass in diesem Bereich früher ein Galgen stand.

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Das Bedeutende und deutschlandweit Seltene sei jedoch, dass die Richtstätte so gut erhalten gewesen sei. Die Untersuchung mit modernen Methoden liefere eine Vielfalt an Erkenntnissen etwa über die Strafjustiz der damaligen Zeit. „Die Richtstätte ist ein spektakulärer Fund gewesen.“ Ein interdisziplinäres Team untersuche dies weiter.

Über den aktuellen Kenntnisstand seien Vortragsabende geplant von ihm selbst, Francken und Scheck, so Hald: am 19. Mai im Pfarrheim Allensbach, am 6. Juli in der Sparkasse auf der Reichenau und am 13. Oktober im Archäologischen Landesmuseum in Konstanz.

Wer lag im ältesten Grab am See?

In gestreckter Lage auf dem Rücken lag der verstorbene Mensch, vermutlich eine Frau zwischen 20 und 30 Jahren und circa 1,60 Meter groß, in einem schmalen Grab rund 15 Meter südlich der B33 zwischen Hegne und der Waldsiedlung. Der rechte Arm war angewinkelt, die Hand ruhte auf dem Becken. Am linken Oberarm waren zwei Steinringe, und zwei Keramikgefäße waren im Grab beigelegt.

Woran die Person gestorben sei, lasse sich an den erhaltenen Knochen nicht ablesen, so Jürgen Hald, aber es handele sich um das bisher älteste bekannte Grab am See, dessen Ufer damals einiges weiter nördlich verlief. Eine C14-Datierung habe ergeben, dass das Grab zirca aus dem Jahr 4880 vor Christus stammt, plus-minus 80 Jahren. Fünf ähnlich alte Gräber seien im Landkreis bisher nur 1994 bei Mühlhausen-Ehingen gefunden worden. Und das Grab bei Hegne gehörte zu einer frühen Siedlung aus der Jungsteinzeit, von der Hald und andere Fachleute in den Jahren 2016 und 2017 Reste fanden.

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Aus wissenschaftlicher Sicht sei diese Fundstelle mindestens ebenso bedeutsam wie die Richtstätte, so Hald, denn diese würden belegen: „Dieser Bereich am Bodensee ist bereits 1000 Jahre früher besiedelt gewesen, als wir vermutet hatten.“ Erdverfärbungen ließen darauf schließen, dass es genutzte Gruben und Pfosten von Gebäuden gab sowie einen etwa 60 Meter langen Holzzaun zum See hin sowie Keramikscherben, Knochenreste und botanische Belege wie Getreide.

Zufällig machten Hald und seine Leute ähnliche Funde ebenfalls 2017 bei Bodman. Die Funde stammten aus der Zeit etwa 4900 bis 4500 vor Christus und seien damit deutlich älter als die aus der Pfahlbauzeit (circa ab 4000 vor Christus). Die Menschen betrieben damals schon Ackerbau und Viehhaltung, sie bauten so genannte Langhäuser, 20 bis 30 Meter lang, zum Leben und Wirtschaften. Bekannt und belegt war dies bisher aber nur von Grabungen etwa im zentralen Hegau und nicht in Seenähe. „Das war eine ganz neue wissenschaftliche Erkenntnis“, so Hald.

Das Keltengrab bei der Richtstätte

Weitere aufschlussreiche Funde machte Kreisarchäologe Hald direkt nördlich angrenzend an die Richtstätte bei einer weiteren Grabung Ende 2020: die Reste von vier Keltengräbern, die auf die Zeit zwischen 650 und 550 vor Christus datiert werden können. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts hatte der damalige Bezirksförster von 36 Grabhügeln in diesem damaligen Waldstück berichtet, von denen einige geöffnet wurden.

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Doch diese Gräber aus der Keltenzeit habe man lange nicht genau lokalisieren können, so Hald, weil der Wald dort gerodet und die Fläche seither landwirtschaftlich genutzt worden war. Dadurch seien aber wohl auch viele Funde zerstört worden. Immerhin fand Hald aber das recht gut erhaltene Grab einer Frau. Von deren Skelett waren zwar nur Fragmente erhalten, aber es gab bemerkenswerte Grabbeigaben: mehrere Armringe aus Bronze und anderen Materialien sowie ein Keramikservice, bestehend aus Schälchen, Schüsseln und Töpfchen.

Einzelfunde aus der Jungsteinzeit

Im Bereich der Siedlung aus der Jungsteinzeit zwischen Hegne und der Waldsiedlung machten die Archäologen noch einige Einzelfunde. So etwa Reste von Harpunen und Pfeilspitzen aus Feuerstein aus dem 8. Jahrtausend vor Christus, also der Mittelsteinzeit, als die Menschen noch als Jäger und Sammler, nicht als Siedler lebten, so Hald. Zudem seien Scherben aus der mittleren Bronzezeit gefunden worden, um 1600 bis 1300 vor Christus. Und gefunden wurde ferner eine Münze aus der Römerzeit.

Dieses etwa zwölf Zentimeter lange, gut erhaltene Steinbeil aus dem vierten Jahrtausend vor Christus fand der Kreisarchäologe bei ...
Dieses etwa zwölf Zentimeter lange, gut erhaltene Steinbeil aus dem vierten Jahrtausend vor Christus fand der Kreisarchäologe bei Erkundungen im Vorfeld von Bauarbeiten westlich von Allensbach. | Bild: Zoch, Thomas | SK-Archiv

Einen recht schönen Einzelfund habe er westlich von Allensbach nahe der Nägelriedbrücke gemacht, so Hald: eine circa zwölf Zentimeter lange, recht scharfe Steinklinge eines Beils aus dem 4. Jahrtausend vor Christus. „Die lag einfach im Oberboden.“ Weil es in diesem Bereich aber keine Hinweise auf eine Siedlung aus dieser Zeit gab, vermutet der Kreisarchäologe, dass das Beil einem Bewohner einer nahen Pfahlbausiedlung gehört hatte – vielleicht der im Bereich des Campingplatzes Allensbach. „Die Klinge wurde wahrscheinlich verloren.“

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