Dem Delinquenten wurden mit einem Wagenrad oder Eisenstangen die Knochen an Ober- und Unterarmen, Ober- und Unterschenkeln gebrochen. Er wurde geköpft, der Torso auf ein Rad gebunden und der Kopf aufgespießt, um den Toten zur Schau zu stellen. 400, 500 Jahre später findet Kreisarchäologe Jürgen Hald bei der Grabung auf der Richtstätte östlich von Allensbach im Frühsommer 2020 unter anderem das Skelett des Geräderten.

Es handelte sich um eine besonders brutale Art der Hinrichtung, die in der Regel bei Kapitalverbrechen wie Raubmord angewandt wurde, wie Hald erklärt. Der Anthropologe Michael Francken vom Landesamt für Denkmalpflege hat mittlerweile dieses und auch die anderen zehn weitgehend erhaltenen Skelette untersucht, die Hald und sein Team bergen konnten.

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Der Mann, der diesen schrecklichen Tod starb, sei zwischen 30 und 40 Jahre alt gewesen und bei recht guter Gesundheit. „Er war fit, nicht mangelernährt und hatte keine körperliche Gebrechen“, erklärt Francken. „Das muss eine eindrucksvolle, kräftige Gestalt gewesen sein.“ Wobei sie anhand der Befunde nicht sagen könnten, ob er zuerst geköpft und dann gerädert wurde – oder umgekehrt.

Klar sei aber: „Er ist sauber und gekonnt mit einer dünnen Klinge, einem Schwert enthauptet worden.“ Daraus könne man folgern, dass ein professioneller Henker am Werk war und kein Handwerker, der dies sozusagen nebenberuflich machte. Interessant sei zudem, dass dem Toten im Grab ein Ziegelstein auf den Brustkorb gelegt wurde – um ihn zu beschweren und daran zu hindern, als Wiedergänger aus dem Grab zurückzukehren. „Das spricht dafür, dass man Angst vor ihm hatte“, sagt Hald.

Kreisarchäologe Jürgen Hald (links) und der Anthropologe Michael Francken zeigen die gebrochenen Oberschenkelknochen des Mannes, der auf ...
Kreisarchäologe Jürgen Hald (links) und der Anthropologe Michael Francken zeigen die gebrochenen Oberschenkelknochen des Mannes, der auf der Richtstätte bei Allensbach durch Rädern hingerichtet wurde. | Bild: Zoch, Thomas

Doch wer der Mann war, könnten sie nicht sagen. Laut Francken sprechen Datierungen der Skelette dafür, dass die Hinrichtungen eher im 16. und 17. Jahrhundert stattfanden, wobei die Einschätzung bei dem Geräderten noch ungenauer sei.

Mit „Rad und Stangen“ gerichtet

Der Kreisarchivar und Historiker Friedemann Scheck ist bei der Recherche auf einige Fälle gestoßen, in denen die Delinquenten gerädert wurden:

  • Mit einer Einzelakte belegt ist zum Beispiel der Fall des Raubmörders Christian Valaster aus Montafon. Er war im Jahr 1699 als Eisenhändler mit einem Partner unterwegs. Im Wald bei Hegne erschlug er den Gefährten und raubte ihm den Geldbeutel.
  • Möglich wäre aber auch, dass es sich bei dem unbekannten Toten um einen Mörder aus Wollmatingen handelt, der 1559 zunächst zum Rädern verurteilt, dann jedoch „zum Schwert begnadigt“ und erst posthum gerädert wurde.
  • Passen würde auch ein Fall aus dem Jahr 1583, bei dem fünf Personen einer Familiensippe starben: Drei Frauen wurden verbrannt und zwei Männer mit dem „Rad und Stangen“ gerichtet, darunter ein Hans Karff, genannt Schwarzhans, von der Reichenau. Zuvor hatte man die beiden Männer mit einer glühenden Zange gefoltert.

Gründe für diese Hinrichtungen fand Scheck nicht. Der heutige Leiter des Landesarchivs in Karlsruhe, Wolfgang Zimmermann, hatte den Fall in den 1980er Jahren in einer Arbeit über Hexenverfolgung am Bodensee aufgelistet.

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Francken hat auch Skelettreste untersucht, bei denen er Beinbrüche ähnlich wie bei dem Geräderten feststellte. Von den elf ganzen Skeletten seien sieben Männer gewesen, der Jüngste 19 oder 20 Jahre alt, der Älteste deutlich über 50. Einige davon seien eindeutig enthauptet worden, bei den anderen lasse sich die Todesursache nicht feststellen.

Wenn die Delinquenten erhängt wurden, dann nicht wie später praktiziert ruckartig durch Genickbruch: Vielmehr wurden sie von einer Leiter aus in die Schlinge gehängt, bis sie erstickten oder an mangelnder Blutzufuhr starben.

Denkbar wäre auch, dass bei Allensbach zum Teil Selbstmörder in nicht geweihter Erde verscharrt wurden. So lag bei dem Ältesten laut Hald eine Hippe, eine Art Sichel, die zum Weinbau oder Reisigmachen verwendet worden sei. Möglicherweise war dies das Tatwerkzeug eines Mörders – oder der Mann hatte sich damit selbst umgebracht.

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Bei vier der elf Skelette handelte es sich um Frauen zwischen 20 und 50 Jahren, berichtet Francken. Zwei seien enthauptet worden, allerdings stümperhaft. Der Henker benötigte mehrere Versuche, bis der Kopf vom Rumpf getrennt war. In dem einen Fall landete ein Schwerthieb im Schädel, in dem anderen im Brustkorb. Möglicherweise seien die Frauen nicht richtig fixiert gewesen und hätten auszuweichen versucht.

Bei den anderen beiden Frauenskeletten sei die Todesursache allein an den Knochen nicht zu enträtseln. Neben Hängen könnten sie auch ertränkt und dann verscharrt worden sein. Laut Hald ging es in den meisten Fällen, in denen Frauen ertränkt wurden, um Kindstötung. Francken stellte zudem bei den elf Skeletten von Hingerichteten fest: „Alle waren überraschend gesund.“

Es ruhen noch zahlreiche Hingerichtete in der Erde

Historiker Scheck hat bisher Belege für mehr als 40 Hinrichtungen auf der Richtstätte bei Allensbach gefunden, die meisten davon im 16. Jahrhundert. Seine wesentlichen Quellen sind zwei Protokollbücher aus dem früheren Kloster Reichenau, die im Generallandesarchiv Karlsruhe aufbewahrt werden. In dem einen gebe es Einträge zu Fällen aus den Jahren 1550 bis 1590, die aber möglicherweise auch älter gewesen seien.

Insgesamt seien in diesem Buch allein 38 Urteile und Hinrichtungen festgehalten: Die Delikte reichen von Diebstahl über Totschlag und Mord bis zu rund einem Dutzend Vorwürfen von Hexerei, die überwiegend Frauen das Leben kosteten. So etwa 1557, als eine Frau aus Wollmatingen verurteilt und verbrannt wurde. Im Jahr 1579 erlitten ein Mann und drei Frauen wegen Hexerei und Unholdenwerks den Flammentod.

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Ein interessanter Fall ist laut Scheck aus dem Jahr 1581 überliefert: Eine Frau war der Hexerei beschuldigt worden, starb aber bereits im Gefängnis. Sie wurde zunächst auf der Richtstätte verscharrt. Doch dann wurde auch deren Tochter der Hexerei bezichtigt – und sagte gegen die Mutter aus. Daraufhin gruben unsere Vorfahren den Leichnam der Mutter wieder aus und verbrannten ihn. Die Tochter richteten sie ebenfalls hin.

Beim Vorwurf der Hexerei war oft Verbrennen die Hinrichtungsmethode, so Kreisarchäologe Hald, wobei unklar sei, ob das bei lebendigem Leib geschah oder die Betroffenen vorher auf anderen Weise getötet wurden. Interessant ist hier die weitere Untersuchung der zwölf Brandgruben, die der Kreisarchäologe bei Allensbach gefunden hat. Rund 23 Kilogramm angebrannte Knochenfragmente seien daraus geborgen worden.

Kreisarchäologe: „Es gibt Grenzen der Erkenntnis“

Laut Francken hat sich sein Vorgänger bereit erklärt, sie zu untersuchen. Der pensionierte Anthropologe Joachim Wahl sei Spezialist für verbrannte Menschenknochen. Es gebe auch erste Analysen aus zwei der Brandgruben. Demnach lagen dort Reste von jeweils mehr als einer Person und sowohl von Männern als auch Frauen. Teilweise handelte es sich um Tierknochen, die möglicherweise als zusätzliches Brennmaterial auf dem Scheiterhaufen verwendet worden seien, so Francken.

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Aus der Verteilung der Knochenreste, die einer Person zuzuordnen seien, ließen sich Rückschlüsse darauf ziehen, ob es sich tatsächlich um eine Feuerexekution gehandelt habe. Wobei es auch möglich ist, dass herumliegende Leichenteile anderer Hingerichteter mit auf einen Scheiterhaufen geworfen wurden, wie Hald anmerkt. Sein Fazit: „Es gibt Grenzen der Erkenntnis.“