Für die Radolfzeller FDP ist es ein Schock: Jürgen Keck hat am Mittwochnachmittag in einem offenen Brief seinen Austritt aus der Partei erklärt. Der aktuelle Vorsitzende der Fraktion im Gemeinderat und bis Dezember 2024 auch des Stadtverbands sowie ehemalige FDP-Landtagsabgeordnete begründet seinen Austritt mit der inhaltlichen Entwicklung der Partei in den vergangenen Jahren.
Keck schreibt, die FDP befinde sich momentan „wenig grundlos“ zum zweiten Mal nach 2013 in der außerparlamentarischen Opposition wieder. Doch während er damals den Eindruck gehabt habe, dass man um eine Rückkehr in den Bundestag bemüht war, so scheine seine Partei, der er 30 Jahre angehörte, nun in der Bedeutungslosigkeit zu versinken.
Zwar sei er vor 30 Jahren voller Überzeugung der FDP beigetreten, die seine „ideologische Seele“ verkörpert habe. „Unter diese Ära und einen ganzen Lebensabschnitt setze ich heute einen wehmütigen wie enttäuschten Schlussstrich“, schreibt Keck jedoch. Er könne nicht länger anschauen, wie das Erbe von Theodor Heuss, Hans-Dietrich Genscher, Gerhard Baum, Friedrich Naumann und Hildegard Hamm-Brücher „auf das Übelste geschleift wird“.
Keck kritisiert Entscheidungen in der Ampelkoalition
Die FDP sei längst nicht mehr das, was seine politische Heimat ausmachen soll. Keck selbst steht laut eigener Aussage für wirtschaftliche Vernunft, soziale Gerechtigkeit, kulturelle Identität, verantwortungsvolle Entfaltung und unbehelligtes Denken. Es bleibe daher mit seinem „Gewissen unvereinbar, was im Augenblick als Markenkern verkauft wird“, erklärt er. Gerade Entscheidungen der jüngeren Vergangenheit, insbesondere innerhalb der Ampelkoalition aber auch unter jetzigen Funktionären, seien „tiefe Einschnitte in das Vertrauen auf die Verantwortlichen an der Spitze“ gewesen.
Als Beispiel nennt Keck das Mittragen des Gebäudeenergiegesetzes, das „Unternehmen gängelt“ und „Bürger an die Kandare nimmt“, sowie einen „verkopften Atomausstieg“, eine vermeintliche Abkehr von Technologieoffenheit und das Höhergewichten von Transformation gegenüber Prosperität und Wohlstand, Arbeitsplätzen und Wettbewerbsfähigkeit. Das habe die Partei auf einen falschen Pfad geführt, so Keck. Deutschland habe sich so vom Exportweltmeister zum Schlusslicht im internationalen Vergleich entwickelt.
Ganz so schlimm steht es um die deutsche Wirtschaft jedoch nicht. Das Statistische Bundesamt weist in einer Analyse von September 2025 auf Exporte in Höhe von 130,2 Milliarden Euro im Juli hin, was einem Rückgang gegenüber dem Vormonat um 0,6 Prozent und einem Wachstums gegenüber dem Vorjahresmonat um 1,4 Prozent entspricht. Damit liegen die Exporte auch deutlich über denen im Juli 2018 (110,1 Milliarden Euro) und 2019 (110,7 Milliarden Euro).
Kritik an Corona-Einschränkungen und Asyl-Politik
Keck kritisiert in seinem offenen Brief jedoch auch die Einschnitte in die Grundrechte während der Corona-Pandemie, die den Bewegungsradius Einzelner eingeschränkt sowie Unternehmen und der seelischen Gesundheit vieler geschadet hätten. Ebenso kritisiert Keck das Mittragen des Verbots des Verbrennungsmotors. Dass Verbote so locker sitzen, habe er bei einer Partei, die für den freien Markt eingetreten sei, für unmöglich gehalten.
Mit Blick auf die Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine sowie illegaler Migration spricht Keck von einer naiven Haltung der FDP. „Das Einsickern in unsere Sozialsysteme, ohne dem Fördern auch das Fordern voranzustellen, stellt einen Kardinalsfehler im Geiste der die Hartz-Reformen preisgebenden Bürgergeldmentalität dar“, schreibt Keck. Der „vehemente Asylmissbrauch“ sei die Mutter vieler Probleme hinsichtlich Kriminalität, unsicherer Rente, steigender Grundleistungssicherung und Krankenkassenbeiträgen.
Vorwurf mangelnder Orientierung
Auf der anderen Seite wird laut Keck die Freiheit „ins Absurde getrieben“, so zum Beispiel beim Selbstbestimmungsrecht zum Geschlechterwechsel. „Getrieben von einer linkswoken Agenda, ließ sich die FDP vor den Karren vermeintlicher Toleranz und Vielfalt spannen, um nicht im Klaren darüber zu sein, welche Spielräume zum Missbrauch geschaffen wurden“, so Keck. So verliere eine Gesellschaft ihren Kompass und ihre Orientierung.
„Da keine Besserung ist Sicht ist und ein Rückbesinnen zu den Wurzeln ausbleibt, werde ich mich zu anderen Ufern aufmachen, um dort Übereinstimmung mit meinen Werten und Prinzipien zu finden“, schließt Keck seine Erklärung. Welche dies sind, gab Keck noch nicht bekannt. Eine Nachfrage am Mittwochnachmittag blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Auch welche Folgen sein Parteiaustritt für die Radolfzeller FDP-Fraktion und die Kreis-FDP ist noch unklar. Die Stadtverbandsvorsitzende Lucia Daikeler und die Kreisvorsitzende Birgit Homburger waren bis Redaktionsschluss aus terminlichen Gründen noch nicht für ein Statement zu erreichen. Homburger kündigte jedoch ein offizielles Statements des Kreisverbands für Donnerstag an.